An den Fortschritt glauben

Jenny Keller
16. Februar 2017
Patrik Schumacher redete über «AI-Architecture». Bild: swiss-architects

Er ist kein Linker, aber eigentlich ein Netter, auf jeden Fall wirkte Patrik Schumacher nicht unsympathisch an diesem Abend im 21. Stock des Swissmill-Turms, also des neuen Kornsilos in Zürich von Harder Haas Architekten. Der alleinige Partner von Zaha Hadid Architects tritt nach Hadids überraschendem Tod vor bald einem Jahr aus ihrem grossen Schatten und verschafft sich immer öfters Gehör. Das passiert nicht nur zur Freude der anderen Architekten, die, so der politisch korrekte gemeinsame Tenor, sich nicht erst seit Aravenas Biennale und der Flüchtlingsströme in Europa auf ihre soziale Verantwortung rückbesinnen wollen. Schumacher will das nicht. Er baut lieber für vermögende «signal clients», gerne in China, denn er will, dass die Architektur die Gesellschaft verändert. Und mit Architektur meint er Algorithmus-basierte Entwürfe, die anpassungsfähig und «intelligent» sind. Die Zeitschrift Archithese lud ihn deshalb zur Vernissage ihres neusten Hefts mit Titel Science-Fiction nach Zürich ein, um vor 100 interessierten Gästen und vielen Skeptikern über «AI-Architecture» zu sprechen (also über Architektur und künstliche Intelligenz).

«Parametrismus»
Patrik Schumacher, ein gebürtiger Deutscher, der schon lange in London lebt und mehrere Lehraufträge an Architekturfakultäten in Grossbritannien und den USA innehatte, redete an diesem Abend auf Englisch, sehr schnell, sehr rastlos mit einer begleitenden Slideshow aus verpixelten Bildern und Filmen, die zum Teil funktionierten, zum Teil nicht – das war etwas enttäuschend, wenn man bedenkt, dass sein Architekturbüro einst berühmt wurde wegen der neuartigen und revolutionären Darstellung von Architekturplänen. Und das noch heute Renderings und Filme hervorbringt, die «state of the art» sind. Wie auch immer, es war nicht nur einfach, seinen Theorien zu folgen, insbesondere dann, als es um den von ihm begründeten «Parametrismus» ging, der in seinen eigenen Worten so zusammengefasst wird: «Die Massengesellschaft, die von einem einheitlichen, nahezu universellen Konsumstandard geprägt war, hat sich zu einer heterogenen, pluralistischen Gesellschaft entwickelt. Der wachsenden gesellschaftlichen Komplexität entspricht eine reiche Palette von parametrischen Entwurfstechniken.»1 Der Inhalt der theoretischen Grundlage von Schumachers «Parametrismus» ist komplex. Kann es sein, dass alle seine Aussagen am Schluss als libertär (negativ konnotiert) und kapitalistisch gesehen werden, weil man ihn nicht ganz versteht? Wie wäre es denn, wenn wir Patrik Schumacher als Visionär sehen würden, der die Zukunft (der Architektur) aktiv mit gestaltet, statt sich und die Gesellschaft als Opfer der vielen, zum Teil ungewissen Veränderungen zu sehen?

Er wolle nicht als Agnostiker dastehen, erklärte er zu Beginn des Vortrags, und Science-Fiction als Eutopie begreifen, nicht als Dystopie. Er suche nach Visionen, die wie in den 1960er-Jahren positiven Aufbruch ausstrahlen und nicht Horrorvisionen und modernistische Albträume heraufbeschwören. Seine Forschung beinhaltet auf empirischen Daten basierende Systeme, in denen Vermittler (im AI-Jargon so genannte «Agents») den Raum determinieren. Mit Sensoren und Kameras werden Regeln aufgestellt, die im realen und virtuellen Raum erforschen, wie er genutzt wird, damit die Architektur oder der Stadtraum «intelligent» gestaltet werden können. Umgekehrt begreift die Lehre des «Parametrismus» die Architektur als semiologisches System, das dem Benutzer signalisiert, wie er sich verhalten soll.

Blick aus dem Swissmill-Turm auf Zürich. Bild: swiss-architects

«Big curves» statt «little boxes»
Unzählige Lehrtätigkeiten, eine Professur in Innsbruck, Studien (neben Architektur) in Mathematik und Philosophie machen Patrik Schumacher zu einem Intellektuellen, einem Theoretiker, der die einst unbaubaren Formen von Zaha Hadids Entwürfen nachträglich in einen akademischen Jargon verpackt hat. Verstehen wir die Formen parametrischer Entwürfe nicht, oder missfallen sie uns, erklärt er, dass sich die Morphologie und die Schönheitsideale in der Architektur mit den technischen und soziologischen Möglichkeiten verändern. Oder etwas schumacherischer: Wir finden das schön, das zu «high performance» fähig sei.

Und so will Schumacher nicht für die breite Masse bauen, die immer noch den modernistischen Traum von den «Little Boxes» (das Haus, das Auto, das Studium, der Fernseher, die Ferien) träumt, sondern für Google oder (aktuell) den Sberbank Technopark in Moskau, «denn Banken werden immer mehr Tec- und Computerscience-Firmen, die offen sind für Ideen der Zukunft». Wenn Zaha Hadid Dinge sagte, wie «an Kompromissen bin ich nicht interessiert»2 (und dabei noch kein einziges Gebäude gebaut hatte), legt man solche Aussagen posthum auf die Goldwaage. Ihre kompromisslose Haltung aber sei der Schlüssel zu ihrem Erfolg als Architektin gewesen. Wenn Patrik Schumacher, der seit 1988 an Hadids Seite arbeitet und nun Alleininhaber der Firma ist, Dinge sagt, wie «China ist ein mutiges und vorwärts schauendes Land, während Europa stagniert», dann wird er als verantwortungsloser libertärer Kapitalist bezeichnet. Dabei könnte man auch ihn kompromisslos nennen. Auch Zaha Hadid hat betont: «Ich habe China viel zu verdanken, die Experimente, die wir dort gemacht haben, wären im Westen nie passiert»3. Man merkt, es ist auch der Ton, der den Unterschied macht. Und: man erhält selten eine zweite Chance, um einen ersten Eindruck zu machen – sie erinnern sich: Patrik Schumacher wollte Aravenas Biennale schliessen und befürwortet den Brexit.

Provoziert er nur?
Patrik Schumacher hat eine Art, sehr «straight forward» und wenig diplomatisch seine Thesen zu vertreten, dadurch wirkt er polemisch. Doch an dem Abend im Swissmill-Turm ging es mir wie dem Guardian-Journalisten Oliver Wainwright, der schrieb: « (...) it is often hard to tell whether he actually believes in what he is saying, or if he is merely playing the provocateur.»4 Aber als Theoretiker haftet ihm nichts Anrüchiges an, und auch seine Architektur beschreibt er mehrmals mit den Adjektiven offen, tief und kommunikativ. Sichtbeziehungen innerhalb eines Gebäudes spielen bei jedem Entwurf eine grosse Rolle, ein Gebäude soll «bottom-up» entwickelt werden, indem die Nutzer es nach ihren Präferenzen formen und verändern, und die Stadt soll als Supergehirn oder High-Performance-Maschine 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche die «key-players» vernetzen und so neues Wissen generieren.
 
Schumacher ist nicht die Reinkarnation des Bösen. Und: Es braucht beides. Eine linke, sozial engagierte Architekturhaltung und auch den Glauben an den Fortschritt und die Forschung darüber. Ob die architektonische Zukunft formal so aussehen muss wie das Opernhaus in Gangzhou, ist offen, aber wird in Verbindung mit Zaha Hadid davon geschrieben, ist es «organisch geformt» und «futuristisch», bringt man es mit Patrik Schumacher in Verbindung, steht es im «autoritären China». Beides stimmt, die Welt ist schliesslich nicht Schwarz-Weiss.


Quellen
1) www.patrikschumacher.com/Texts/Parametrismus
2) Süddeutsche Zeitung: «Wie man Beton zum Schwingen bringt», 4. Juni 2016

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