Das kuratierte Leben

Jenny Keller
1. September 2016
Bild: Screenshot von Instagram @farrowandball

Interior-Bloggerin oder -Blogger sollte man sein. Da wird man zu den schönsten Essen, Festen und Reisen eingeladen, erhält dazu einen tote bag voller Give-aways, und alles, was man tun muss, ist ein Foto mit einem Filter zu posten und mit Hilfe von hashtags zu erwähnen, wie #amazing oder #beautiful und natürlich #eclectic es gewesen ist. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe nichts gegen solche Blogs, sie ergänzen die traditionelle Medienlandschaft meist sehr aktuell und ansehnlich, manchmal auch bereichernd. Was mich stört: Jeder will ein Blogger sein these days. Früher hiess die Losung, mit der sich Architektinnen oder Innenarchitekten von der Plebs distinguieren wollten: «Everybody is a designer». Damit brachte man zum Ausdruck, dass jeder Kunde ja immer am besten wusste, wie sein oder ihr Haus auszusehen habe und wie nervig das war, wenn dieser wieder mit ausgeschnittenen Bildchen aus irgendwelchen Interior-Magazinen daherkam, ohne das grosse Ganze im Auge zu haben.
 
Heute müsste es heissen: #everyoneisablogger. Das führt dazu, dass sogar private Instagram-Profile so aussehen, als hätte die Menschheit im 21. Jahrhundert in der westlichen Hemisphäre nichts anderes zu tun, als wöchentlich die Wohnung umzugestalten. Mit bunten, aber nicht zu farbigen Fähnchen im Kinderzimmer, der Büchersammlung des Nachwuchses in einer alten, selbst bemalten Apfelkiste, einer Mini-Sukkulenten-Sammlung in zusammengewürfelten Töpfchen, einem Blumenstrauss aus dem Garten oder vom Markt und irgendeinem Element aus Stoff (sei es ein Kissen oder ein Teppich) mit Rautenmuster.
 

Rautenmuster und Kaktus-Gewächs. Was will man mehr? Bild: Screenshot via Instagram @igorjosif

Schön, könnte man denken. Mich beschleicht beim Betrachten dieser Bilder jedoch eine grosse Langeweile – und es stimmt mich nachdenklich. Denn: Welche gesellschaftlichen Vorstellungen transportieren diese Bilder? Um was geht es eigentlich? Langweilig wird mir, weil die Innenräume überall gleich aussehen (Sukkulenten, Rauten, Fähnchen). Dazu kommt, dass die Leute, die diese Bilder posten, damit über sich aussagen: «Ich bin wie alle, eine dekorierte Wohnung ist mir wichtiger als alles andere. Mein Leben, meine Kinder und meine Küche sind kuratiert und sehen immer gut aus.» Egal, ob draussen der Job wackelt, der Terror bereits in den Nachbarländern angekommen ist und wir darüber diskutieren, ob man mit Burkini baden gehen darf.

Die Message ist nicht einmal, «seht her, ich bin so kreativ!», denn es sieht ja alles gleich aus. Das hingegen sei nicht weiter verwunderlich, besagt eine Studie der University of London (UCL) zum Thema «Why we post». Darin wurden die Social-Media-Gewohnheiten in verschiedenen Ländern untersucht, und die Verfasser kommen unter anderem zum Schluss: «Social media is not making us more individualistic.» Und gepostet wird ja, damit man gemocht und gelobt wird, dislike buttons gibt es keine, wir swipen weg, was uns nicht anspricht. Bei uns Menschen verhelfen Essen, Sex, Geld und soziale Reputation zu Glücksgefühlen1, wobei wir uns die soziale Anerkennung schneller, einfacher und unkomplizierter via einem sozialen Netzwerk unserer Präferenz einholen. Posten wir Bilder unserer Wohnung, exponieren wir uns nicht mit unserem eigenen Gesicht, sondern unserem untrüglichen Stilempfinden, und weil bessere Inhalte zu mehr likes und followern führen – und schlussendlich zu einem besseren Selbstwertgefühl –, muss halt oft umgestellt werden.

Die pressure to perform2 nimmt zu, je vernetzter man wird, und aus den ganzen posts wird ein Business, bei dem wir, die wir doch eigentlich nur gefallen wollen, mitmachen: Dass die Wohnung oder das Haus des Einen immer mit der Geschäftstüchtigkeit und des Profits eines Anderen zu tun hat, wissen wir. Nur ist es traurig, dass diejenigen, die sich wegen der Geschäftstüchtigkeit der Anderen kein Haus kaufen können, nun sinnlos Geld ausgeben, um ihre Wohnung zu dekorieren, wenn die Wohnsituation schon nicht optimiert werden kann. Dafür werden dann online Dinge bestellt, die man nicht braucht, die sich auf den erwähnten Fotos zwar gut machen, aber eine Saison später kaputtgegangen oder aus der Mode gekommen sind – und wieder auf dem Müll oder bestenfalls im Brockenhaus landen. Dies ist kein Plädoyer für Designklassiker und Altbewährtes, aber ein Manifest für mehr Nachhaltigkeit (ja, ich brauche dieses Wort hier, obwohl ich es seit Jahren nicht mehr hören mag) und für weniger Dekoration des manchmal ach so tristen Lebens.

Screenshot via Instagram @farrowandball

Dass man sich in politisch unsicheren Zeiten zurückzieht und aufs Innere besinnt, ist nichts Neues; aber dass man von seinem Inneren im Wochentakt ein Bild postet, ist es. Dabei wird es mir so serviert, als ob wir, die Konsumgesellschaft, nur noch Gefallen finden an vulgärem Besitz, der dann in einer Saison oder zwei wieder ausgedient hat, weil Sukkulenten nicht mehr en vogue sind – oder überwässert wurden.

Was das alles mit Architektur zu tun hat? Mehr als man vielleicht hören mag: Schliesslich hatten die Architektinnen und Architekten den Designprozess einmal gänzlich unter Kontrolle. Sollte etwas über das Gebaute veröffentlicht werden, wurde das von Redaktorinnen und Redaktoren in Publikationen des Vertrauens gemacht, die man kannte und denen man auf die eine oder andere Art verpflichtet war. Langweilige, austauschbare Grundrisse und triste Räume (die entstehen, wo die Geschäftstüchtigkeit des Einen wichtiger ist als das architektonische Credo der Anderen) müssen vielleicht dekoriert werden, damit man sich wohlfühlt. Und so wird heute der Designprozess, der Entwurf, automatisch zu einem shared thing3, denn die Gemeinschaft redet mit und shared, was und wo es ihr Recht ist – ausser natürlich, man macht es wie die grossen Möbelproduzenten und lädt angesehene Blogger zu einem netten lunch mit goodie bag ein, wo es gemäss posts der geladenen Gäste angeblich immer #amazing sein soll.


  1. Gefällt euch, wer ich bin?, in ZEIT Wissen Nr. 5/2016, 16. August 2016
  2. How Snapchat Helps Me Cope With My Anxiety, in Vogue.com/culture/opinion, 10. August 2016
  3. «The role of architect is changing to a participating approach», Sven Pfeiffer auf www.digitalbauhaussummit.de

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