Der Weg ist das Ziel

Jenny Keller
21. September 2017
Die Anreise auf dem Wasserweg zum Bürgenstock ist sehr zu empfehlen. Bild: jk

Architekturkritik ist subjektiv, sie soll aber auch objektiv begründet werden. Wir in der Schweiz sind zurückhaltende Kritiker, nennen uns meistens nicht einmal so, sondern ganz diplomatisch «Architekturjournalistin». Negative Kritik ist selten zu lesen, denn erfüllt ein Gebäude die Qualitätsansprüche einer Kritikerin, oder Journalistin nicht, wird es ganz einfach nicht publiziert. Zu kostbar ist der «Sendeplatz», zu begehrt der Newsletter oder das gedruckte Heft, als dass man es mit mediokren Beispielen füllen möchte. Fundamentalisten (und davon gibt es in der Architektur nicht wenige) gehen sogar so weit, dass sie sagen, ein Kritiker sei erst zu Kritik befähigt, wenn er oder sie selbst ein gutes Gebäude erstellt habe. Dieser Gattung wird empfohlen, hier mit dem Lesen aufzuhören.

Man kann indes auch aus schlechten Beispielen lernen. Und es sollte darüber berichtet werden, weshalb dieses oder jenes Gebäude aus diesen oder jenen Gründen nicht «gut» ist. In einer Fachpublikation ist diese Form der Vermittlung wahrscheinlich weniger wichtig als in einer Publikumszeitung. Wir alle leben in einer gebauten Umwelt, sind tagtäglich mit Architektur konfrontiert und können ihr nicht ausweichen. In der Schweiz, wo Architektur längst mehr zu erfüllen hat, als Schutz vor Witterung oder vor wilden Tieren beeinflusst gute wie schlechte Architektur unser Leben, Denken und Handeln. Eine Architekturkritik sollte deshalb auch über das Verfahren berichten, über die Finanzierung aufklären und den Bau in einen Kontext einbinden, damit man ihn und das System Bauen versteht.

Das neu gebaute Bürgenstock Hotel. Bild: pd

Kommen wir zur Sache
Das Bürgenstock Hotel, das letzte Woche eröffnet worden ist, befindet sich auf dem Hotel-Berg, der einst vibrierte und viel Prominenz anlockte, dann an Glanz verlor und 2008 von Investoren aus Katar «gerettet» wurde. Die Pioniere des Bürgenstock-Resorts, Franz Josef Bucher und Josef Durrer, haben 1871 die «Alp Tritt» auf dem Grat des Bürgenbergs, 500 Meter über dem Vierwaldstättersee, gekauft. Sie gaben dem Hoteldorf den einprägsamen Namen «Bürgenstock» und bauten unter anderem das «Grand Hotel» (1873), das «Palace Hotel» (1904), die Bürgenstock-Bahn (1888), den Felsenweg (1905) und den Hammetschwand Lift (1905). Sie schufen ein Paradies, das in den 1950er- und 1960er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts Prominenz aus der ganzen Welt anlockte. Unter anderem haben Konrad Adenauer, Indira Gandhi, Jimmy Carter und Sean Connery hier Erholung gefunden. Die Filmstars Sophia Loren und ihr Mann Carlo Ponti haben zeitweise im Resort gewohnt. Audrey Hepburn und Mel Ferrer haben 1954 auf dem Bürgenstock geheiratet und 12 Jahre in einer Villa auf dem Bürgenberg gewohnt. Seit 2008 besitzen nun Investoren aus Katar das Bürgenstock-Resort. Sie werden vertreten durch die Bürgenstock Selection mit Sitz in Zug.

Das «Palace» und die Kleinbauten aus den 1950er-Jahren sind heute denkmalgeschützt. Letzteres wurde mit grosser Eingriffstiefe renoviert. Das «Grand Hotel» war betrieblich nicht brauchbar und ist im Verlauf seiner Geschichte nicht zu seinen Gunsten renoviert worden. So musste es dem Neubau des Bürgenstock Hotels weichen. Rüssli Architekten AG aus Luzern haben das Bürgenstock Hotel entworfen. Das Interior stammt von MKV Design aus London.

Die Aussicht ist überwältigend. Aber dafür können die Architekten nichts. Bild: pd
Bei Nebel ist man aufs Innere fokussiert. Bild: pd

Diversität
Das Angebot auf dem Hotelberg ist sehr divers. Fünf Hotels stehen den Gästen zur Auswahl, ist einmal alles eröffnet. Und im asiatischen Restaurant «Spices» kann man chinesisch, japanisch oder thailaändisch essen. Sicher auf hohem Niveau, die Köche wurden aus den entsprechenden Ländern eigens rekrutiert. Neben den Hotelzimmern gibt es auch Wohnungen zu mieten inklusive Hotelservice – man befindet sich in der Tourismuszone und darf die Wohnungen nicht verkaufen. Und divers ist auch die Architektur der einzelnen Objekte, oder das Interieur des neu eröffneten Bürgenstock Hotels. «Divers», diplomatisch für «too much» ist für Bruno Schöpfer, Managing Director der betreibenden Bürgenstock Selection positiv konnotiert, wird er darauf angesprochen. Die Diversität bringe die Gäste zurück. So ist es mit Kritik, man hört, was man hören will.

Die Oberflächen im neuen Hotel sind jedoch so divers, dass man sich etwas Einheitlichkeit wünschte. Alle paar Meter ändert der Bodenbelag, es glänzt und glitzert und von der Decke hängen Kronleuchter, die aussehen als bestünden sie aus leeren Parfumflaschen mit Tulpen drin. Aber auch an kleinen Details kann man sich stören, oder was haben Plastick-Orchideengestecke auf den WCs verloren?

Unzählige Muster und Oberflächen auf wenigen Metern. Bild: jk

Wird ein Blick-Reporter zu einer Besichtigung auf den Bürgenstock eingeladen, interessiert ihn der höchste Zimmerpreis. Wer also Superlativen und alle Zahlen rund um das Bürgenstock-Resort lesen will, dem sei diese Meldung empfohlen.
 
Das wertvollste im neuen Bürgenstock Hotel liegt aber nicht im begehbaren Weinkeller oder ist durch Zimmerpreise zu beziffern. Das wertvollste ist wohl die Aussicht, doch dafür können die Architekten  und Interior Designer nichts. Die Aussicht wurde indes, wo immer möglich durch grosse Fensteröffnungen gerahmt. So hat auch das hauseigene Kino – ein Fenster. In den Zimmern inszenieren grosszügige Erkerfenster die Sicht auf den See. Viele Vorgaben scheinen von der Bauherrschaft in einem detaillierten Anforderungskatalog schon im Wettbewerb bestimmt worden. So zum Beispiel das auskragende Körper, in dem sich das Restaurant «Spices» befindet oder die Badewannen am Fenster. Man müsse klare Vorstellungen haben, sonst sei ein Hotel schwer zu verkaufen, ist Bruno Schöpfer überzeugt. Er plant seine Hotels von innen nach aussen und ist – und das ist löblich – vom Wettbewerb überzeugt. Er hat für viele Bauvorhaben auf dem Hotelberg Wettbewerbe oder Studienaufträge durchführen lassen.

Gelungen
Auch von Rüssli Architekten stammen die Diamond Domes auf dem Resort. Es handelt sich um zwei Tennis- und Multifunktionshallen, in deren Mitte sich ein weiterer offener Tennisplatz aufspannt. Die Überdachung der Hallen war in Glas angedacht, als das Architekturbüro den Studienauftrag gewonnen hat. Weil jedoch niemand zu finden war, der solch ein Dach versichert, haben die Hallen nun ein Dach in Holzbauweise, was ihnen wahrscheinlich zugutekommt.

Gelungen: Die Diamond Domes. Bild: jk
Die Diamond Domes von aussen. Bild: pd

Man hat es gelesen, Investoren aus Katar haben den neuen Bürgenstock finanziert, eine Anlage in Immobilien in der sicheren Schweiz in sicherem Franken scheint für die Geldgeber aus Nahost sinnvoll zu sein. Und auch wenn die Häuser von der Bürgenstock Selection mit eigenen Bauherrenvertretern ohne GU erstellt worden sind, wird im Innern des Bürgenstock Hotels die fehlende architektonische Kultur der Investoren sichtbar. Oder vielleicht fehlt sie nicht, sondern ist einfach anders. Luxus glänzt in Katar anders als in Europa.
 
Um auf die Architekturkritik zurückzukommen: Beurteilen kann man sowieso nur, was man selbst gesehen und erfahren hat. Jeder Ort, jedes Gebäude lebt vom Licht, von der Stimmung, vom Genius Loci. Die Anreise per Schiff über den Vierwaldstättersee auf den Bürgenstock ist traumhaft. Sie dauert auch nur eine halbe Stunde, und mit der neuen Bürgenstock-Bahn fährt man direkt ins neue Hotel ein. Tagesgäste sind im Sinne der Betreiber, ein Nachtessen im Sterne-Restaurant im Palace liegt für alle, die das zahlen möchten und können, drin. Das ist positiv. Der Bürgenstock ist divers – und offen für alle.

Im orientalischen Restaurant sind die Geldgeber ganz offensichtlich zu spüren. Bild: pd

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