Kulturerbejahr 2018

Susanna Koeberle
1. März 2018
Baukultur umfasst die gesamte gebaute Umwelt. St. Gotthard Hospiz von Miller & Maranta. Bild: ©Miller & Maranta

Europa hat das Jahr 2018 zum Kulturerbejahr erklärt. Das Bundesamt für Kultur ist der Hauptpartner der Schweizer Kampagne. Dadurch möchte es auf die Bedeutung des Kulturerbes für alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens aufmerksam machen. Oliver Martin, Leiter Sektion Heimatschutz und Denkmalpflege, gibt im Gespräch Auskunft über verschiedene Aspekte des Kulturerbejahrs 2018.

Im Januar lud Bundesrat Alain Berset die europäischen Kulturministerinnen und -minister nach Davos zu einer Konferenz zum Thema Baukultur ein und eröffnete damit das Kulturerbejahr. Wie würden Sie Baukultur umschreiben?
Baukultur umfasst die gesamte gebaute Umwelt. Also nicht nur Denkmäler oder historische Bauten, sondern auch zeitgenössische Architektur, Landschaftsgestaltung sowie Planungsprozesse. Wir möchten den Wert von baulicher Qualität unterstreichen und zwar nicht nur die technischen und ökonomischen, sondern ebenso die sozialen und menschlichen Aspekte.

In Davos wurden auch Strategien und Massnahmen beschlossen. Können Sie diese erläutern?
Die Erklärung von Davos bildet den Anfang eines längeren Prozesses, sowohl auf internationaler, als auch auf nationaler Ebene. In der Erklärung von Davos verpflichten sich die Teilnehmenden zur weiteren Umsetzung. In einem ersten Schritt wollen die Kulturminister das umfassende Konzept der Baukultur bekannt machen, namentlich auch bei den jungen Generationen. Dann soll die Vision einer hohen Baukultur in alle sektoriellen Politiken als zentrales Ziel einfliessen.

​Um dies zu erreichen, soll der öffentliche wie der private Sektor seine Verantwortung für das Gemeingut Baukultur wahrnehmen, gerade auch, wenn es um Investitionen geht. Die Politiker engagieren sich, alle Beteiligten dazu aufzufordern. Die Initiative stösst auf grosses Interesse und viele Länder haben diesen von der Schweiz lancierten «Davos-Prozess» sehr begrüsst: In Davos wurde bezüglich der qualitativen Entwicklung unseres Lebensraums ganz klar grosser Handlungsbedarf diagnostiziert. Auf nationaler Ebene arbeiten wir beim Bund seit zwei Jahren an einer interdepartementalen Strategie zur Förderung der Baukultur, die 2019 dem Bundesrat vorgelegt werden soll.

Die Stiftsbibliothek des Klosters St. Gallen gehört zum Unesco Welterbe. Bild: Bundesamt für Kultur BAK

Wie sieht die Balance zwischen bewahrenden und erneuernden Bestrebungen aus?
Das ist ein wichtiger Punkt, denn genau diese getrennte Beurteilung möchten wir aufheben. Das Ziel ist stets die hohe Qualität, ob es sich um die Erhaltung des kulturellen Erbes handelt oder um andere Aspekte. Unser kulturelles Erbe muss gepflegt und geschützt werden, Neu hinzukommendes und Veränderungen müssen die Qualität der gebauten Umwelt verbessern. Unsere Städte, unsere Dörfer und unsere Landschaft befinden sich in einem stetigen Transformationsprozess, wir betrachten das Gesamtbild.

Welche Rolle kommt dabei dem öffentlichen Raum zu?
Baukultur umfasst auch den gebauten öffentlichen Raum, aber ebenso Freiräume, Strassen, Plätze oder die Landschaft. Wir möchten uns die Frage stellen, wie diese Umwelt auf uns wirkt; es geht dabei also auch um soziologische oder sogar architekturpsychologische Fragen. Im Zentrum dieser Fragen stehen diese Bedürfnisse der Menschen, die vor rein ökonomischen und technischen Interessen Vorrang haben sollten.

Das Bundesamt für Kultur hat auch einen Ideenwettbewerb lanciert. Dadurch soll das breite Publikum an der Debatte zum Kulturerbe teilnehmen können. Wie sind die ersten Erfahrungen damit?
Sehr gut, es gibt bereits über 200 Eingaben, die ganz unterschiedlich sind. Das Ziel war ja, zu kommunizieren, dass Kulturerbe alle etwas angeht. Auf der Dialogplattform kann man auch Kommentare hinterlassen und abstimmen. Der Enthusiasmus ist gross. In einem zweiten Schritt schreiben wir auf der Grundlage der prämierten Ideen einen Projektwettbewerb aus . Die besten Projekte werden umgesetzt und vom Bundesamt für Kultur unterstützt.
 

Gebäude Clarté von Le Corbusier in Genf. Bild:© Office du patrimoine et des sites, Claudio Merlini

Kulturerbe ist nichts Statisches, es definiert sich ja durch verschiedene Facetten wie Traditionen, Bauten, Landschaft, Handwerk oder auch Essen. Wir wird diesem Umstand Rechnung getragen?
Ein Motto des europäischen Kulturerbejahres ist sharing heritage. Dabei ist der Gedanke des europäischen Kulturraums, des europäischen Geists zentral. Denn auch lokale Traditionen halten sich nicht immer an Grenzen und die europäische Geschichte ist von Austausch und Einfluss geprägt. Im Vergleich zum europäischen Denkmalschutzjahr von 1975 umfasst dieses Jahr 2018 sehr viel mehr, nämlich auch das immaterielle Kulturerbe. Jede Gesellschaft und jede Generation definiert für sich neu, was Kulturerbe ist und bedeutet. Wichtig ist, die Bevölkerung dafür zu sensibilisieren.

​Sie differenzieren drei Wirkungsebenen des Kulturerbes: eine individuelle, eine gesellschaftliche und eine kontextuelle. Können Sie letztere erläutern?
Diese Ebenen sollen die Potentiale des Kulturerbes vermitteln. Es geht darum, Sinn und Gewinn des Kulturerbes zu kommunizieren. Also nicht nur das wie, sondern auch das warum und für wen. Das bauliche Kulturerbe und historische Ortsbilder tragen zu Wohlbefinden und Lebensqualität bei. Das beweisen repräsentative Untersuchungen. Das Thema Verdichtung etwa ist hochaktuell: Hier wird oft behauptet, die Denkmalpflege verhindere sinnvolle Verdichtungsprojekte. Das ist falsch. Die Denkmalpflege sorgt für Qualität, denn erst die respektvolle Auseinandersetzung mit den vorhandenen baukulturellen Werten kann zu guten und auch von der Bevölkerung akzeptierten Verdichtungsprojekten führen. Wir möchten dieses Jahr auch als Chance nutzen, diese Debatte zu führen.
 

Die Rhätische Bahn bei der Alp Grüm: Unesco Weltkulturerbe. Bild: Bundesamt für Kultur BAK

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