Lebendiges Museum

Inge Beckel
7. Juli 2016
Eine alte Drogerie. Bild: Freilichtmuseum Ballenberg

Bei der Eröffnung vor bald einmal 40 Jahren umfasste das Freilichtmuseum im Berner Oberland 16 Museumsobjekte, also 16 Bauten. Zwei Jahre später waren es bereits 25 und im Jahr 1985 gehörten 61 Gebäude zum Freilichtmuseum. Heute stehen 110 Bauten aus der ganzen Schweiz auf dem Gelände. Das Museum ist aber nicht nur eine kulturelle und wissenschaftliche Institution, sondern auch eine Sehenswürdigkeit für Touristen, zieht es doch jährlich rund 250’000 Besucherinnen und Besucher aus aller Welt an. – Was nun ist aber die Arbeit der Architektin im Freilichtmuseum Ballenberg?

Abbau der alten Ziegelei in Péry. Bild: FLM/Karin Sander

Deine Stelle heisst Leiterin Bau- und Architektur; du bist Mitglied der Geschäftsleitung. Was genau umfasst diese Arbeit?
Es sind vier Bereiche, die in meine Zuständigkeit fallen. Einmal ist dies die Planung von Bauvorhaben. Nicht von Neubauten, schliesslich sind wir hier in einem Museum. Doch kommt ein neues Haus auf den Ballenberg, ist es meine Aufgabe, den Abbau am ursprünglichen alten Standort und den Wiederaufbau hier auf dem Ballenberg, also die Translozierung, zu planen und zu koordinieren.

Ein weiterer Bereich betrifft die Fortschreibung der unter Walter Trauffer und Edwin Huyler begonnen Baudokumentation. Es geht also um Forschungsarbeit. Wir planen auch, das Archiv der Schweizerischen Bauernhausforschung, das heute in Zug ist, zu uns zu nehmen. Auch die Architekturvermittlung, bei der ich eng mit der hiesigen Abteilung Wissenschaft zusammenarbeite, fällt in meinen Zuständigkeitsbereich.

Ein wichtiger Teil der künftigen Arbeit aber wird es sein, ein Konzept zu erarbeiten, wie die hierher transportierten historischen Gebäude nachhaltig instandgesetzt und instandgehalten werden können. Gewisse Bauten wurden unter anderen klimatischen Bedingungen errichtet, als sie der Ballenberg bietet. Beispielsweise wurden sie nicht dafür geplant, eine Schneelast zu tragen, wie sie es hier zuweilen müssen. Es gilt also zu überlegen, wie der Unterhalt dieser Häuser aussehen muss, um ihnen einerseits historisch gerecht zu werden und anderseits die Bedingungen vor Ort nicht ausser Acht zu lassen.
 
Wurde dies denn in der Vergangenheit nicht gemacht?
Grundsätzlich schon. Doch überblickt man die 38 Jahre seit der Eröffnung des Museums, ging es während der ersten Jahrzehnte natürlich vor allem darum, Objekte zu sammeln. Möglichst aus allen Gegenden der Schweiz und auch Repräsentanten verschiedener Bautypen und Nutzungen.

Neuer Standort der Ziegelei auf dem Ballenberg; Grundsteinlegung vom 24.06.2016. Bild: FLM/Karin Sander

Gibt es heute Zuwachs auf dem Ballenberg?
Das Museum ist eigentlich «gebaut». Jedoch habe ich das Glück, die auf absehbare Zeit vorerst letzte Translozierung begleiten zu dürfen. Wir bereiten gerade die Übersiedelung einer Ziegelei aus dem Berner Jura vor. Sie steht heute in Péry. Doch ist sie schon seit über 100 Jahren ausser Betrieb. Für uns ist sie deshalb besonders interessant, weil sich durch den langen Leerstand sehr viel historische Substanz erhalten hat. Zudem wird sie hier bei uns die ländlichen Handwerksbauten ergänzen. Wir haben schon eine Köhlerei und eine Schindelmacherei, wo das jeweilige Handwerk betrieben wird. Aber grundsätzlich herrscht auf dem Ballenberg Aquisationsstopp bezüglich neuer Bauten. Deswegen werde ich mich vornehmlich um den Unterhalt des Museumsbestandes, aber auch um die mittlerweile in die Jahre gekommenen Infrastrukturbauten zu kümmern haben.
 
Wie geht ihr denkmalpflegerisch vor? Ich nehme an, es gibt in der Regel keine Dokumente, die den ursprünglichen Bestand bis ins letzte Detail nachzeichnen lassen? Und etwa auch die Ziegelei wird im Laufe der letzten 100 Jahre gewisse Veränderungen erfahren haben?
Das ist richtig. Schauen wir uns auf den Plänen das Bauprojekt der Ziegelei an, wie wir sie auf dem Ballenberg erstellen, so gehen wir von rund 70 Prozent Befund – also alte, vorgefundende Bausubstanz – aus. Der Rest umfasst Fehlstellen und durch zeitweilige andere Nutzung bedingte Ein- und Umbauten.

Ja, wie geht man hier vor? Das ist eine andere zentrale Frage meiner Arbeit. Wir ersetzen bespielsweise beschädigte Balken und ergänzen nach Fotobefund den hölzernen Ofenturm. Aufgrund von alten Dokumenten – vor allem alten Fotografien – wissen wir weitgehend, wie die Ziegelei ursprünglich ausgesehen hat. Zudem hat der archäologische Dienst des Kantons Bern Dokumente aus der Erbauungszeit recherchiert, die Rückschlüsse über den Betrieb und den Aufbau der Ziegelei ermöglichen. Nutzungsfremde Umbauten machen wir rückgängig. Es gibt aber unbestrittenermassen einen zu interpretierenden Teil, wie zum Beispiel die rückwärtige Fassade.

Lebendiges Handwerk, hier in der Hutmacherei. Bild: Freilichtmuseum Ballenberg

In gewissen historischen Häusern auf dem Ballenberg wird gearbeitet. So hat es beispielsweise eine alte Drogerie, eine Hutmacherei oder eben die Köhlerei oder Schindelmacherei. Führt das zu Konflikten angesichts des bewahrenden Gedankens dieser alten Bauten?
Nein. Ich finde es gut, dass die Bauten mitsamt ihrer Nutzung Teil des Museums sind. So kann man traditionelles Handwerk am angestammten baulichen Ort zeigen. Gleichzeitig kann man Handwerkstätigkeiten wie die Schindelmacherei oder das Kalkbrennen zeigen. Und indem wir das tun, tragen wir zu deren Erhalt oder sogar Fortführung bei. Wir sind ein lebendiges Museum.
 
Braucht es hier spezielle Handwerker?
Es braucht vor allem solche, die das traditionelle Handwerk noch beherrschen. Das ist gar nicht immer einfach. Auch bei den Architekten braucht es solche, die bereit sind, sich auf das alte Wissen und die alten Bauten einzulassen. Die aber auch fähig sind, zeitgenössische Anforderungen zu integrieren. Solche Architektinnen bräuchten wir mehr, beipielsweise wenn es darum geht, in ein altes Haus ein modernes Restaurant einzubauen. Architekten müssen sensibel mit dem Kontext arbeiten, das Vorgefundene aber behutsam weiterentwickeln können.

Hast du ein Lieblingshaus?
Ich mag das Bauensemble aus Novazzono im Tessin sehr gut. Es handelt sich hierbei um ein ganzes Konglomerat von Bauten, die aus verschiedenen Epochen vom 13. bis zum 19. Jahrhundert datieren. Das Ensemble musste dem Bau der NEAT weichen.

Generell sind Fragen wie die, warum ein Gebäude von seinem ehemaligen Standort hat weichen müssen, oder auch, wie es heute dort aussieht, interessant. Derlei Antworten sind unser diesjähriges Jahresthema. 14 kurze Filme beleuchten die aktuellen Situationen an jenen Orten der Schweiz, wo einst ein Ballenberg-Haus stand. Sie regen an, die heutige Schweiz vom Ballenberg aus zu reflektieren.

Nochmals Ziegelei in Pery: Foto vom Zeitschnitt 1903. Bildquelle: ADB

Karin Sander hat ihre Ausbildung in Mailand absolviert und als Architektin in Mailand, Berlin, Südtirol und Graubünden gearbeitet. Vor ihrer jetzigen Tätigkeit war sie mehrere Jahre Bauberaterin bei der Kantonalen Denkmalpflege Graubünden.

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