Wie im Himmel so auf Erden

Susanna Koeberle
6. April 2017
Installation aus Stühlen bei der Torre Capellini. Bild: sk

Wer hat den schönsten? Das Wetteifern um den spektakulärsten Palazzo ist für viele Hersteller bereits weit vor dem Mailänder Designmegaevent Salone del Mobile ein Thema. Und schon vor dem Salone künden eine Unzahl von Blogs, Newsletter und PR-Mitteilungen von den bevorstehenden  Installationen, Events und Ausstellungen. So dass sich bereits im Vorfeld angesichts des Überangebotes eine latente Überforderung bemerkbar macht - zumal der «Fuori Salone» jedes Jahr zu wachsen scheint. Die Verkaufszahlen mag dies aber nicht wirklich anzukurbeln, es geht vornehmlich um Imagepflege. Den «passenden» Ort dafür auszuwählen, gehört dazu. Welches Bild will man nach aussen tragen, lautet die Hauptfrage. Mit welchen Themen sichert man sich Aufmerksamkeit? Auf welche Weise lässt sich Gesprächsstoff generieren? Das Ganze nimmt mittlerweile auch etwas absurde Züge an. Dennoch pilgern jedes Jahr mehr Menschen im April nach Milano. Milano wird quasi zum parareligiösen Wallfahrtsort. Welche Sehnsüchte stillt Design? Mehrere offenbar.

Bezüglich der Themen scheint es ein paar klare Tendenzen zu geben. Omnipräsent ist etwa das Thema Kooperationen: Nichts mehr geschieht im Alleingang, alles ist «Co-creation». Der Austausch von Wissen und «Knowledge» oder so genannte «Circular Values» scheinen zu einem kategorischen Imperativ geworden zu sein. Das geschieht auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Der Möbel-Riese Ikea zum Beispiel macht auf Festival, in welchem sich «food, music and joy» wie moralische Werte anhören, ohne die die Welt zugrunde gehen würde (vielleicht haben sie ja gar nicht Unrecht damit, denn diese wird ja zurzeit von Unbill nicht gerade verschont). Der schwedische Einrichtungskonzern scheint Branding erfunden zu haben, er weiss jedenfalls, wie man gerade jüngere Kunden anspricht.

Einen Austausch der besonderen Art hat der britische Designer Christopher Jenner mit seinem Projekt Yixing Ceramics gewagt. Er war in China und dort fasziniert von einem speziellen, seltenen Ton und der Formensprache von chinesischer Alltags-Keramik. Seine Kollektion ist ein Versuch, diese Kultur zu würdigen und zugleich in Formen und Funktionen zu übertragen, die uns geläufig sind. (Zeit für eine Prophezeiung zwischendurch: Nach der Kaffeewelle wird die Teekultur für unser Seelenheil sorgen. Es geht manchmal ganz einfach.)

Christopher Jenner/Yixing. Bild: sk

Auch private Stiftungen und Institutionen wissen das Thema Kollaborationen auszuschlachten, dabei steht das Thema Handwerk im Vordergrund. Auch in Mailand sind dieses Jahr verschiedene Ausstellungen zu sehen, bei denen Designer mit Handwerkern zusammengebracht werden und gemeinsam neue Objekte schaffen. Im Palazzo Litta, einem der beliebten Ausstellungsörtlichkeiten des «Fuori Salone», führen das die Belgier mit «Belgitude» und die Japaner mit der Schau «Japan Creative Projects» vor. Während beim belgischen Projekt ausschliesslich Designer aus dem eigenen Land teilnehmen, hört sich die Liste der Designer beim japanischen Pendant wie das Who-is-who der angesagtesten Gestalter aus aller Welt an. Und obwohl das Thema Handwerk in den letzten Jahren fast etwas viral geworden ist, faszinieren die aus diesen Kooperationen entstandenen Artefakte stets aufs Neue. Dabei geht es sowohl um das Wiederaufleben von vergessenem Handwerk als auch um das Entwickeln neuer Materialien. In beiden Bereichen sind die Japaner Weltklasse.

Die Ausstellung «Doppia Firma» in der Galleria d’Arte Moderna, die von zwei italienischen Stiftungen und dem Magazin Living Corriere della Sera initiiert wurde, handelt auch von Begegnungen zwischen grossen Handwerksmeistern und Industriedesignern. Unter den 15 geladenen Designern ist auch der Schweizer Dimitri Bähler, der mit dem Keramiker Maurizio Tittarelli Rubboli zusammengearbeitet hat. Die antike Technik des «lustro» erzeugt wunderschöne irisierende Effekte. Die Ausstellung ist schon nur wegen den Räumlichkeiten einen Abstecher wert. Den gezeigten Objekten ist eine quasi sakrale Aura eigen, der man sich als Betrachterin kaum entziehen kann. Auch in der Welt des Designs macht sich die Sehnsucht nach dem Aufladen von Objekten mit Bedeutung gerade stark bemerkbar. Diesen merkwürdigen «Mehrwert», den Gegenstände zuweilen bekommen können (es kann ja auch nur ein Stein sein, den man auf einer Wanderung gefunden hat) thematisiert auch die Ausstellung «Talisman», die von der Stiftung In Residence finanziert wurde. 46 (!) Designer aus aller Welt wurden angefragt, einen Talisman zu entwerfen. Die Artefakte reflektieren die Beziehung Mensch-Objekt und die rituelle Bedeutung, welche Gegenstände annehmen können. Die Resultate sind verblüffend unterschiedlich ausgefallen. Am Samstag, 8. April um 15 Uhr werden die Objekte in einer Auktion versteigert. Auch die diesjährige Wallpaper-Schau hat das Sakrale zum Ausgangspunkt gemacht: «Holy Handmade!» deklariert die Ausstellungsräumlichkeiten ganz offen als Tempel und spricht explizit von «sacred union» der Materialien. Dass diese Aufladung der niederen Materie auch in Konsumtempeln der Massenkultur geschieht, wird dabei ausgeblendet. Vielleicht fehlt dem ganzen Brimborium um Heiligkeit etcetera die Komponente Humor... Oder die Reflexion. Item.
 

Objekt aus der Ausstellung «Talisman». Bild: pd

Neben der Sakralisierung der Objekte ist eine weitere Konstante, die sich immer stärker bemerkbar macht, das Verschwinden der Produkte als solche. Das Business und die Produkteschlacht finden eben auf der Messe statt. Ganze Showrooms (wie etwa bei Foscarini mit «Fare Luce» – und wieder das Sakrale) werden geleert und machen Installationen Platz. Es geht um das Schaffen von Raumstimmungen, um die Interaktion mit dem Besucher. Eine neue Ära der Emotionalität ist angebrochen. In einem ehemaligen Kino an der Via Pietro Mascagni inszeniert COS ( schon wieder ein Schwede, der weiss, wie es geht) das Immaterielle. Das Londoner interdisziplinäre Büro «Studio Swine» ersann eine Installation, die kollektives Staunen erzeugt. Man will die Blasen (Achtung: ein Memento-mori-Motiv) einfangen, aber sie verflüchtigen sich vor unseren Augen zu Rauch. Das Flüchtige und Gestische zelebriert auch die nendo-Ausstellung «Invisible Outlines» im gigantischen Jil-Sander-Showroom. Neben den Taschen, Schuhen und Kleidern, die Oki Sato für Jil Sander entworfen hat, wird die sensible Arbeit des Gestalters gezeigt. In einem Raum etwa sieht man kleine 3-D-gedruckte Objekte, die auf eine reine Linie reduziert sind und zugleich die Geste des Papierfaltens vorführen. Das geht ganz ohne Pathos und zeigt, wie Design im Alltag kleine Momente des Staunens und Innehaltens bewirken kann.

COS x Studio Swine. Bild: Courtesy of COS

Zuletzt sei die gelungene Installation «Mystical Solace» (schon wieder die Religion) des in London ansässigen Schweizerisch-Italienischen Duos De Allegri and Fogale für Casone erwähnt. Man staunt, dass der Entwurf für den Raum aus Marmorresten in einer Woche entworfen und in zwei Wochen realisiert wurde. Der gelb-schwarze steinerne Raum, der zwischen Tempel und Spiegelkabinett oszilliert, spielt gekonnt mit unserer Wahrnehmung und lässt auch Platz für ironische und spielerische Töne. Sakrale Orte können schon ziemlich verwirrend sein, aber auch ganz einfach nur schön.

Die Installation «Mystical Solace». Bild: sk

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