10 Thesen für Schinkels Bauakademie

Jenny Keller
21. März 2017
Schinkels Bauakademie um 1868, Gemälde von Eduard Gaertner

Ulf Meyer hat auf German-Architects bereits über den geplanten Wiederaufbau der Berliner Bauakademie berichtet, nun wenden sich drei Architekturvermittler aus Deutschland in der Frankfurter Alllgeminene Zeitung FAZ an eine interessierte Öffentlichkeit und fordern «einen besseren Weg» für das Projekt. Mit zehn Thesen begründen sie, warum es dieses Jahr noch keinen Wettbewerb geben darf und wie der Weg zu einer «Neue Bauakademie» aussehen kann. Unterstützt werden sie unter anderem von Andreas Ruby, Direktor des S AM und Christian Holl, ehemaliger German-Architects-Redaktor.

1. Nie wieder Schloss!
Die Neue Bauakademie darf kein zweites Stadtschloss werden! Das Humboldtforum ist zum neopreussischen Fassadenzombie geworden, hinter dessen Oberfläche aus Natursteinschnitzereien eine zeitgenössische Kulturmaschine versteckt wird. Deren inhaltliche Ausrichtung viel zu spät definiert wurde, was zu den bekannten, gewaltigen Konflikten mit dem Schlossfassadenkorsett geführt hat. Der Bauakademie droht jetzt dasselbe Schicksal. Ein Architektur¬wettbewerb mit dem Zwang zur Fassadenrekonstruktion würde ein weiteres Debakel produzieren. Dieser Fehler darf sich nicht wiederholen.

Eine Neue Bauakademie hingegen kann in der verkrampften Rekonstruktionsdebatte gänzlich neue Wege bestreiten. Wir haben die einmalige Chance, es besser zu machen.


2. Keine Eile
Der vom Bundesbauministerium ausgegebene Fahrplan sieht vor, dass noch in diesem Jahr – vor den Bundestagswahlen! – der Architekturwettbewerb für den Wiederaufbau ausgeschrieben wird. Doch dafür fehlen die Grundlagen. Wer wird für das Programm der Bauakademie zuständig sein? Wer kann sagen, wie viel Raum für Ausstellungen, Veranstaltungen, Depots, Gastronomie, Bibliothek, Buchladen und Büros benötigt wird? Könnte ein Wettbewerb nicht auch ein Ergebnis bringen, das alle bisherigen Planungen über den Haufen wirft?Ausserdem schlummern im Boden noch Fundamentreste der originalen Bauakademie. Die Denkmalpflege hat bereits angemeldet, dass auch die Zerstörungsgeschichte des Gebäudes nicht einfach übergangen werden darf. Bevor nicht all diese Fragen abgearbeitet sind, vergeudet ein Architekturwettbewerb sinnlos kreative Energien und Geld.


3. Unabhängigkeit
Beim ersten Dialogforum im Februar haben sich bereits zwei Anwärter auf die künftige Bespielung der Bauakademie in Position gebracht: Die Technische Universität Berlin und die Stiftung Preussischer Kulturbesitz. Dem Bauministerium, beraten durch die Bundesstiftung Baukultur, kommt die Rolle des Schiedsrichters zu. Durch ein Andocken an eine bestehende Institution wird jedoch das enorme Potenzial verspielt, die Bauakademie als neue und unabhängige Plattform zu gründen, auf der die unterschiedlichsten Akteure miteinander verbunden werden können. Eine «Stiftung Neue Bauakademie» ist die richtige Form dafür.


4. Programme durch Personen
Die «Stiftung Neue Bauakademie» muss ihr Programm unabhängig entwickeln. Notwendig ist eine starke Intendanz, die ihre Arbeit bereits im Vorfeld eines Architekturwettbewerbs aufnimmt. Denn jeder weiss, dass das Ringen um gute Lösungen nach einer Juryentscheidung eigentlich erst anfängt: Gute Architektur braucht verantwortliche und entscheidungsbefugte Auftraggeber. Das muss bereits frühzeitig die Intendanz sein. Mit deren Auswahl wird zugleich die inhaltliche Ausrichtung der Neuen Bauakademie in den ersten Jahren bestimmt. Der Gründungsintendanz kommt also eine Schlüsselrolle zu. Sie muss durch eine politisch unabhängige Findungskommission bestimmt werden.


5. Bauakademie für alle
Neben den etablierten Architektursammlungen gibt es in Berlin eine weltweit einzigartige Vielfalt höchst unterschiedlicher Akteure, die den Diskurs zu Architektur und Stadt seit Jahren prägen: AEDES, die Zeitschrift Arch+, das Haus der Kulturen der Welt, das Deutsche Architekturzentrum DAZ, um nur einige zu nennen. Die Neue Bauakademie darf kein Projekt werden, bei dem das vielfältige, kreative, junge Berlin wieder einmal nur gelobt, aber bei der Gestaltung eines grossen Projektes nicht einbezogen wird. Sie muss die Vielfalt und Lebendigkeit der für Berlin charakteristischen Provisorien zulassen. Daher muss die Neue Bauakademie ihr Programm auch für diese freien Akteure öffnen. Gleichzeitig tritt sie als Partner im Stadtraum auf. Sie könnte wie ein koproduzierendes Kulturfestival agieren, vergleichbar der Ruhrtriennale oder dem Steirischen Herbst.


6. Internationales Profil
Die Neue Bauakademie kann wie ein Brennglas alle Energien bündeln, die in Berlin zu den Architekturfragen unserer Zeit vorhanden sind. Aber sie ist kein Instrument des Stadtmarketings. Sie muss ein Profil als kollegialer Mitspieler der übrigen Berliner Akteure entwickeln und gleichzeitig mit internationalen Institutionen in Austausch stehen. Das Ziel ist eine Einrichtung, die in einem Atemzug mit Orten wie dem Canadian Centre for Architecture in Montreal, dem Getty Research Institute in Los Angeles oder der Pariser Cité de l'architecture genannt wird.


7. Intellektuelles Fundament
Die erste Aufgabe der Neuen Bauakademie muss darin bestehen, das intellektuelle Fundament ihres eigenen Wiederaufbaus zu klären: Schinkels radikale Geste, einen «roten Kasten» direkt gegenüber dem königlichen Schlosses zu errichten, ist der Kern des Bauakademie-Mythos. Aber was hat diese wärmende Erinnerung an die Eroberung der feudalen Mitte oder an den sichtbar industriellen Charakter der Bauakademie heute für Konsequenzen? Wo sitzt heute dieser Stachel? Selbst wenn man sich für einen Wiederaufbau anstatt für eine Interpretation entscheidet, muss diese Debatte nicht bei null beginnen. In den letzten Jahren wurden beispielhafte Projekte entworfen, die architektonische Massstäbe gesetzt haben (selbst wenn sie nicht immer umgesetzt wurden): Der Sonderankauf von Kuehn Malvezzi für das Berliner Stadtschloss, die Meisterhäuser in Dessau von Bruno Fioretti Marquez oder die Fassade des Naturkundemuseums von Diener+Diener.


8. Ergebnisoffener Wettbewerb
In einem Wettbewerb muss das ganze Spektrum möglicher Lösungen grundsätzlich zulässig sein. So könnte eine Lösung darin bestehen, den Rohbauzustand des Jahres 1836 herzustellen und alle Anpassungen an die heutige Zeit als nachträgliche Einbauten sichtbar hinzuzufügen. Oder man baut hinter den vier Schinkelfassaden einen White Cube, der wie der Fun Palace von Cedric Price immer wieder umgebaut werden kann. Oder bietet uns am Ende ein gänzlich schinkelfreier Neubau die beste Lösung? Wir wollen einen wirklich offenen Wettbewerb solcher Ideen sehen. Dafür muss die beste aller Jurys zusammenkommen.


9. Kein Ausgabenzwang
Es muss auch möglich sein wenig oder vorerst nichts zu bauen. Sollte der Wettbewerb zu keinem Ergebnis führen, erfolgt die Umwidmung: Vom Baubudget zum Programmbudget. Für 62 Millionen könnte man viele Jahre lang hochkarätige Architekturausstellungen und Veranstaltungen durchführen – oder den verwilderten Ort hinter den Planen der Bauakademie kreativ bespielen. Die Neue Bauakademie muss besser werden als das, was die vorhandenen und chronisch unterfinanzierten Akteure mit diesem Budget hätten realisieren können. Wir glauben, dass die Bauakademie dieses Potenzial hat, wenn sie nicht mit den bestehenden Akteuren in Konkurrenz tritt, sondern ein Ort der gemeinsamen Gestaltung wird.


10. Universell wie Schinkel
Schinkels Bauakademie war ein nutzungsoffener Bau. Das ist die Anforderung an eine Neue Bauakademie: Sie muss so anpassungsfähig sein wie das Original. Daher ist der Architekturwettbewerb zwar ergebnisoffen durchzuführen, aber das Ziel ist eine Lösung, die sich dauerhaft bewähren kann. Darin liegt die historische Chance des Wettbewerbs: Ein nutzungsoffenes Gebäude, das aus der Tradition der Bauakademie und im geistigen Dialog mit ihrer revolutionären Architektur zu entwickeln ist.

(veröffentlicht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 20. März 2017)


Wir veröffentlichen diese Thesen, die uns zugestellt wurden, weil wir uns die Initiative loben. Doch rufen in Erinnerung, dass trotz eines öffentlichen Aufschreis weitergeplant wird, so etwa in Zürich beim Hochschulquartier. So bleibt den Gegnern nichts anderes übrig als sich weiter zu Wort zu melden und zu wehren.

Verwandte Artikel

Vorgestelltes Projekt

atelier a und b ag

Martiweg

Andere Artikel in dieser Kategorie