Ein Leben lang

Jenny Keller
22. November 2017
Kleider, in denen man wohnen kann und soll. Bild: oliverbaer

«La Dame en noir» mit der selbst entworfenen Le-Corbusier-Brille kleidet nicht nur sich selbst seit rund einem Vierteljahrhundert ausschliesslich in Schwarz. Auch ihre fliessenden Entwürfe tragen diese Farbe. Als eine der wenigen Schweizerinnen hat Christa de Carouge auch über die Landesgrenzen hinaus Modegeschichte geschrieben. Vor zwei Jahren beendete Christa Furrer, wie de Carouge mit bürgerlichem Namen heisst, ihre Karriere und übergab ihr geistiges Erbe und viele Schnittmuster ihrer langjährigen Schneiderin und Vertrauten Deniz Ayfer.
 
Aktuell wird das Werk von Christa de Carouge im Kunsthaus Zug gezeigt (bis zum 18. Februar 2018). Aus diesem Anlass führten wir ein Gespräch mit der 81-Jährigen über Stil, Max Bill, Materialien, Nachhaltigkeit, die Farbe Schwarz, Architektur – und das Internet. Christa de Carouge ist enttäuscht, dass dieser Text «nur» online erscheint, denn sie findet das Internet absolut unmenschlich.

Frau de Carouge, das Kunsthaus Zug widmet Ihnen und Ihren Kleidern eine Schau. Was ist das Thema der Ausstellung?
Der rote Faden ist die Baustelle. Es gibt Baustellengerüste und ein Bodenmosaik aus Kleidern. Und in einem Raum kann man meine Kleider anprobieren vor einer grossen Spiegelwand. Dafür habe ich Leihgaben aus über 30 Jahren zusammengetragen.
 
Dort gebe ich auch Workshops. Ich zeige, wie man aus einer Jacke eine Hose machen oder einen Turban binden kann. Das möchte ich den Leuten gerne zeigen. Auch, was man aus alten Kleidern machen kann. Und wie man mit Stoff umgehen kann, ohne zu nähen. Ich möchte, dass die Besucher etwas aus der Ausstellung mitnehmen und sich danach anders kleiden – oder sich darüber Gedanken machen.

«Kleider zum Berühren und Anprobieren», steht auf der Wand neben einem grossen Spiegel. Bild: oliverbaer

Also ist die Ausstellung auch ein Archiv Ihrer Arbeit?
Ja. Es ist eigentlich mein Werk. Oder sagen wir: ein Einblick in mein Werk. Es wird auch eine grosse Fotoschau geben.
 
Wann zeigten Sie denn Ihre erste Kollektion?            
Den Atelierladen gründete ich im Oktober 1978. Die erste Kollektion in Schwarz zeigte ich 1983 in Genf im Saal Palladium mit 1’000 Plätzen – der Saal war voll. Aber wissen Sie, ich habe schon 1967 die ersten Dinge gemacht in Genf, genauer in Carouge, als ich noch verheiratet war. Dort habe ich aus der Frau la Garçonne gemacht. Habe sie in Hosenanzüge gesteckt, denn ich sah Frauen gerne in männlichen Stoffen, in weiteren Silhouetten. Nach der Scheidung habe ich mich dann befreit. Ich wurde konstruktiv, architektonisch.
 
Dabei war ich beeinflusst von Max Bill und Le Corbusier. Max Bill war mein Mentor und sehr wichtig für mich. Ich wäre fast zu ihm in die Ulmer Schule (die Hochschule für Gestaltung Ulm). Die Ulmer Hocker werde ich übrigens auch in Zug ausstellen, um die Multifunktionalität dieses Möbels zu zeigen. Multifunktionell, das sind meine Kleider auch.
 
Max Bill hat immer gesagt: «Christa, bleib auf deinem Weg.» Damals habe ich noch keine Kleider gemacht, da war ich noch Grafikerin und hatte mit ihm Diskussionen über Stil. Ich war schon jung sehr radikal, und Max Bill hat mich auf diesem Weg bestärkt.
 
Und Le Corbusier war für mich ein sehr wichtiger Architekt. Ich habe einen seiner letzten Vorträge im Kunsthaus Zürich gehört. Er hat mich wahnsinnig beeindruckt mit seiner Einfachheit, dem Minimalen.

Obwohl er gegen Ende mit Ronchamp auch schwülstiger, nennen wir es mal so, wurde.
Ja, aber auch in Ronchamp ging er zuallererst auf den Bauplatz. Er wollte nicht einfach etwas hinstellen, sondern hat das Licht studiert. Immer wieder. Und das finde ich beeindruckend. Ich habe auch spezielle Kleider gemacht, bei denen ich die Frau zuerst kennenlernen wollte bei einem Kaffee oder einem Glas Wein. Ich wollte wissen, wie sie sitzt, wie sie redet oder gestikuliert, damit ich wusste, wie der Ärmel sein sollte, die Länge, die Weite.

Aus dem Archiv. Bild: oliverbaer

Haben Sie viele Massanfertigungen gemacht?
Viel nicht, aber es kam schon vor. Für Hochzeiten oder auch fürs Theater. In Genf für die Choreografinnen Noemi Lapzeson oder Laura Tanner.
 
Wann entstand die Haus-Analogie bei Ihren Kleidern?
Schon sehr früh, denn ich lebe gerne draussen. Oder sagen wir: Ich würde gerne draussen leben. Ich gehe gerne raus und lege mich oder setze mich hin, ich installiere mich – in meiner Kleidung. Ich liebe die Natur. Heute gehe ich nicht mehr Bergsteigen, aber das habe ich so gerne gemacht.
 
Und dafür brauchten sie passende Kleidung?
Ich bin immer so gegangen [zeigt auf ihre «Uniform», eine weite Hose und eine Weite Tunika, die Red.]. Das hat bestens funktioniert. Und danach konnte ich die Kleider waschen, 30 Grad, aufhängen und fertig.
 
Was sind denn das für Materialien?
Früher war es Klosterwolle. Das ist der Stoff der Mönche, ein Wollstoff. Die Wolle ist gewoben und wird danach gewalkt. Als ich 1984 in Japan war, um in Kyoto den Zen-Buddhismus zu studieren, habe ich die Stoffe der dortigen Geistlichen gesehen. In Japan tragen die Mönche einen Polyester von super Qualität. Ich dachte, es sei Seide.
 
Ich hatte gerne Seide, Crêpe de Chine, in Schwarz natürlich. Aber was macht man, wenn die Kleider schmutzig werden? Man muss sie waschen, und dann wird das Schwarz Grauschwarz. Mit der Zeit habe ich mich aufgeregt, weil ich meine Kollektionen ja selbst trug und das Schwarz nicht mehr das Schwarz war, das ich wollte. Ich habe also einen Ersatz für Crêpe de Chine gesucht und einen Kunststoff gefunden, Polyester, wie ihn die Mönche in Japan tragen. Es ist ein hochwertiger Stoff, er stinkt nicht und ist nur wenig günstiger als Seide. Den können nur die Japaner. Es kommt auf die Veredelung an und auf den Faden.
 
Was ich aber immer beibehalten habe ist Kaschmir. Für einen Mantel oder eine Jacke.
Kaschmir ist etwas vom Schönsten.

Der rote Faden in der Ausstellung ist die Baustelle. Und alles ist nicht Schwarz, wie man an den Einzelstücken in verschiedensten Materialien sieht. Bild: oliverbaer

Wie kam das Schwarz in ihr Leben?
An der Kunstgewerbeschule Zürich, an der ich Grafik gelernt habe, war Johannes Itten der Direktor. Das Bauhaus, der Existenzialismus, Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre – das hat mich fasziniert. St. Germain, die Künstler und Schreiberlinge – ich hätte auch dort sein wollen, obwohl mein Französisch sehr schlecht war. Ich trug in der Zeit einen geflochtenen Marktkorb als Tasche. Darin hatte ich immer eine französische Zeitung. Ich konnte sie zwar nicht lesen, aber der Esprit war mir wichtig.
 
Meine Mutter war ja Schneiderin. Und sie musste mir lange schwarze Jupes nähen, dazu trug ich schwarze Ballerinas und meistens einen Rollkragenpullover. Auch im Sommer. Oder ich habe mir im Brockenhaus Herrenhemden gekauft. Die grössten, die ich gefunden habe. In Weiss. Das fand ich super. Ich bin also eigentlich sehr jung zu Schwarz gekommen. Natürlich habe ich dazwischen immer wieder Farbversuche gemacht, aber dann gemerkt, dass es nicht geht. Und als ich dann mein Geschäft «Christa de Carouge» eröffnet habe, war klar, dass alles in Schwarz sein würde. Das hat auch «geklöpft», das war eine Aussage.
 
Sie beklagen, dass durch die Digitalisierung das Menschliche abhandenkommt. Wie stehen Sie denn zur Oberflächlichkeit der Mode?
Für mich war das wie ein Theater. Mit diesen Models, den Kreateuren. Unglaublich. Es war extrem. Ich fand es lustig zu Beginn. Aber mit der Zeit, als ich älter wurde, habe ich einen eigenen Stil entwickelt. Mode ist vergänglich. Sie kommt und geht. Ich finde, man muss im Leben einen Stil finden. Mit 50 sollte man seinen Stil gefunden haben. Denn danach kommt die Zeit der Gelassenheit, in der man geniessen und sich über seine Kleider freuen kann, statt das neuste Must aus dem Heftli haben zu wollen. Man soll Freude haben, an dem, was man hat. Und es pflegen.
 
Wie lange hält denn ein solches Kleidungstück von Ihnen?
Ein Leben lang. Es war übrigens unsere Spezialität, die Kleider zu flicken, wir haben regelrecht Kunst daraus gemacht. Ich habe einen Kreis oder ein Viereck darauf genäht, dass es so aussah, als müsse es so sein.

Die Künstlerin in «ihrem» Kunsthaus in Zug. Bild: oliverbaer

Christa de Carouge
​bis 18. Februar 2018
Kunsthaus Zug

Christa de Carouge ist während der gesamten Ausstellungsdauer regelmässig im Kunsthaus Zug anzutreffen. Sie nimmt Besuchende auf Ausstellungsrundgänge mit, gibt Workshops und redet mit Wegbegleitern wie Martin Leuthold, Kreativdirektor bei Jakob Schläpfer AG, St. Gallen.
Detailliertes Programm der Begleitveranstaltungen auf www.kunsthauszug.ch.

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