Lehm, Bambus, Schiefer, Stein

Susanna Koeberle
1. Dezember 2017
Das Sambhaavna-Institut, 2014

Eine Stimme aus dem Off. Sie gehört ganz deutlich einer älteren Frau an, doch die Dezidiertheit der Ausdrucksweise und die Kraft des Klangs beeindrucken von Anfang an. Sieht man dann, wer hinter dieser Stimme steht, fasziniert auch die physische Präsenz dieser Frau vom ersten Augenblick an. Der Film «Didi Contractor – Leben im Lehmhaus» der Regisseurin Steffi Giaracuni dokumentiert die Arbeit dieser heute über 80 Jahren alten Dame. Wir tauchen ein in ein fremdes Universum, das dennoch vertraut erscheint. Die Bauten, die Contractor seit über 20 Jahren in Indien am Fusse des Himalayas realisiert, haben etwas Zeitloses, beinahe Klassisches. Und sind dennoch anders: Sie zeugen von einer eigenständigen Sicht auf die Männerdomäne Architektur. Sie sehe ihre Häuser im Traum und skizziere ihre Vision am nächsten Morgen auf Papier, erfahren wir im Film sehr bald. Das stimmt anfangs etwas skeptisch, man ist schnell verleitet, eine solche Haltung in die Esoterik-Schublade zu stecken. Je länger man dieser Frau mit den wallenden, hellen Baumwollkleidern (vom Look her eine Art Anti-Christa de Carouge, aber in der Haltung durchaus verwandt) aber bei den Gesprächen mit Mitarbeitenden und Kunden zuschaut, desto stärker fühlt man sich angezogen von ihrem Werk, ihrer Person. Sie plädiert für eine Aufwertung des traditionellen Handwerks und der althergebrachten, lokalen Bauweise und schafft damit Bauten, die atmen, beinahe wesenhaft wirken. Das ist per se nichts Neues, erinnert auch an die Arbeit des indischen Architekten Bijoy Jain von Studio Mumbai. Den sturen Kopf haben die beiden Baukünstler wohl gemeinsam.

Dennoch scheinen die Häuser von Contractor noch stärker mit der Tradition verwurzelt und sind gebaute Statements – ökologisch und soziologisch. Contractor beschränkt sich bei ihren Bauten konsequent auf vier Materialien: Lehm, Bambus, Stein und Schiefer. Bis ins kleinste Detail reagieren die Entwürfe auf Licht und Umgebung, fast könnte man sie als Umweltrezeptoren bezeichnen. Wie sie zur Architektur kam, erfahren wir im Film nur indirekt, sie erwähnt lediglich einmal explizit die Armut, die sie auf einer Reise schockiert habe, und die zum Entschluss geführt habe, für die normale Bevölkerung zu bauen, nicht für die Reichen und Schönen. Auch wie diese Frau nach Indien kam, wird im Film nie geklärt. Aus einer Künstlerfamilie stammend, interessierte sich die 1929 geborene Didi Kinzinger (wie sie mit Mädchennamen hiess) für Architektur, konnte aber nicht studieren. 1951 heiratete sie den indischen Ingenieurstudenten Narayan Contractor, zog mit ihm nach Indien und studierte dort nachher Kunst. Dieses Studium wurde die Basis für die späte Wahl ihres Beruf, ihrer Berufung müsste man schon fast sagen. Dass der Film keine biografische Daten liefert, macht er mit einem lebendigen Portrait der Architektin und mit der Dokumentation von Bauarbeiten und Gesprächen wett. Ergänzend werden Interviews mit Bewohnern und Auftraggebern gezeigt, die anschaulich machen, was es heisst, in einem solchen Haus zu wohnen. Eine Bewohnerin, die Autorin Monisha Mukundan, spricht dabei von einer Veränderung der Wahrnehmung von Endlichkeit. Man würde es gerne selber ausprobieren nach dem Sehen des Films.

Aus aller Welt kommen Studenten, die ihre Architektur als Teil des Ökosystems verstehen.

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