Buchrezension

Wenn Bilder Häuser machen

Susanna Koeberle
20. Januar 2017
Digitale Collage aus der Serie «Fictions», ohne Datum. Bild: © Filip Dujardin

Die meisten Architekten wählen die Fotografen, die ihre Bauwerke ablichten, mit Bedacht aus. Das ist gerade in der heutigen Zeit, in der das Bild manchmal mehr zählt (oder zumindest mehr Beachtung findet) als die Realität (was ist das?) besonders wichtig. Allerdings fühlt sich auch jeder Smart Phone-Besitzer zum Fotografen berufen. Blogs aller Couleur überfluten das Netz und die Wahrnehmung der Zeitgenossen, welche einen Grossteil ihrer Zeit vor der Kiste verbringen. Fotografen haben es deswegen derzeit nicht leicht; und auch wenn sie im Dienste von Architekten profimässig unterwegs sind, wird ihre Leistung häufig als reine Dokumentation betrachtet und in diesem Sinne der Kunstform Architektur untergeordnet. Dennoch ist die Beziehung zwischen diesen beiden Disziplinen eine enge und kann zuweilen auch zu kreativen Höhenflügen und neuen Sichtweisen anregen. Gerade in den letzten 50 Jahren hat sich diesbezüglich einiges bewegt.

Das bemerkte auch der spanische Architekt und Autor Jesús Vassallo (der zurzeit an der Rice School of Architecture in Houston Assistenzprofessor ist), als er seine Dissertation über dieses Thema verfasste. Dabei bedauerte er es, keine aktuellen Beispiele in seine Doktorarbeit einbeziehen zu können, und beschloss daraufhin, aus dieser Beschäftigung ein Buch zu machen. Letztes Jahr ist nun bei Park Books die Publikation «Seamless: Digital Collage and Dirty Realism in Contemporary Architecture» erschienen. Ausgehend von verschiedenen Interviews untersucht der Autor drei Beispiele von besonders fruchtbaren Beziehungen zwischen Architekt und Fotograf. Drei Kooperationen stehen im Fokus der ersten drei Kapitel des Buches: In einem ersten diejenige zwischen dem belgischen Architekturbüro De Vylder Vinck Taillieu und ihrem Landsmann, dem Fotografen Filip Dujardin, dann zwischen dem Schweizer Architekten und Fotografen Philipp Schaerer und dem Zürcher Roger Boltshauser. In einem dritten Buchteil schliesslich wird der Blick wieder auf Belgiens Schaffen gerichtet, nämlich auf die Zusammenarbeit zwischen dem Künstler und Fotografen Bas Princen und dem belgischen Büro OFFICE Kersten Geers David Van Severen. Zu Beginn jedes Kapitels findet der Leser mehrere Seiten mit Bildern, die Einblick in unterschiedliche Projekte der jeweilige «Paare» geben. Da die Textteile doch eher akademisch daherkommen, erleichtert dieser erste Bildteil den Zugang für Leser, die sich nicht explizit mit diesem Spezialthema befasst haben.

Aus der Boltshauser-Serie, 2011 – 2012. Bild: © Philipp Schaerer

Spannend bei dieser Untersuchung ist auch die detaillierte Auseinandersetzung mit dem Thema Transdisziplinarität, das zwar heuer in aller Munde, aber häufig schwer zu fassen ist. Was kann passieren, wenn zwei Disziplinen sich auf einen echten Diskurs einlassen, wenn Seiten getauscht werden, festgefahrene Wertungen zwischen High und Low aufgehoben werden? Dass die unendlich scheinenden Möglichkeiten der Manipulation im digitalen Zeitalter auch als Chance gesehen werden können, zeigt das Schlussessay sehr schön. Die Transformation durch die heutigen technologischen Mittel am Computer bedeutet nicht bloss eine Instrumentalisierung von künstlich erzeugten Bilddaten, wie sie von Architekten häufig in Renderings eingesetzt werden, sondern eröffnet auch einen Raum, der sich inspirierend auf den Entwurfsprozess auswirken kann. Das kann man natürlich auch als Spielerei und moderner Idiotismus abtun (wozu eher Non-Digital-Natives neigen dürften, die noch mit Stift und Zeichenblock unterwegs sind), aber die aussergewöhnlichen Resultate solcher Experimente, die in diesem Buch präsentiert werden, sind es wert, zumindest mal angeschaut zu werden.


  SEAMLESS
Digital Collage and Dirty Realism in Contemporary Architecture

Park Books, 2016
Jesús Vassallo. Vorwort von Juan Herreros
Texte in Englisch
Gebunden
200 Seiten
17 x 24 cm
ISBN 978-3-03860-019-0
CHF 39.00

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