Verdichtet

Autor:
Inge Beckel
Veröffentlicht am
Mai 16, 2011

1998 lancierte die Stadt Zürich den Legislaturschwerpunkt, innerhalb von zehn Jahren 10'000 neue Wohnungen zu bauen. Das Ziel war vor Ablauf der Frist erreicht – und das Bauen geht weiter. Gedanken zu historischem wie zeitgenössischem verdichteten Wohnbau. Von Inge Beckel.
Wieviel Dichte verträgt der Mensch? Das ist eine Frage, die sich Stadtplaner und Architektinnen heute vermehrt stellen. Viele Touristen sind fasziniert von der Dichte Hongkongs, doch was vertragen Europäer im Alltag? Eidgenössische Varianten werden im Vergleich zum genannten asiatischen Beispiel wohl «verdünnt» ausfallen, also keinesfalls an die Dichte Hongkongs stossen. Nichtsdestotrotz gilt, will man zusammenhängende und offene Landschafts-, Wald- und damit Landwirtschafts- wie Erholungsflächen schützen, erhalten oder allenfalls neu schaffen, muss es zu Verdichtungen in unseren Siedlungsflächen kommen – in welcher Form auch immer.
Sieht man sich in Zürich Nord etwa die ABZ-Siedlung Ruggächern in Affoltern an, so liegen 282 Wohnungen auf relativ kleinem Grundstück in kompakten Mehrfamilienhäusern nahe beisammen, ganz zu schweigen von der benachbarten Siedlung von Leopold Bachmann mit insgesamt 515 Einheiten. Die jüngst bezogene Siedlung Klee (Info hier und hier) von Knapkiewicz Fickert Architekten (vgl. Bau der Woche 18|11), ebenfalls in Zürich Nord, bietet rund 750 Leuten in 340 Wohnungen eine neue Heimat – innerhalb von 21 in Ausgestaltung und Grösse variierenden Grundrisstypen. Doch es wird auch innerhalb der noch vor wenigen Jahren gültigen Stadtgrenzen neu und dichter gebaut. Exemplarisch genannt sei einerseits die Genossenschaftssiedlung Sunnige Hof von Burkhalter Sumi in Albisrieden (Info hier) oder andererseits, unweit davon, die Siedlung Wasserschöpfi in Zürich Wiedikon von Althammer Hochuli Architekten (vgl. Bau der Woche 47|10), wo die Ausnützungsziffer von 0,77 auf heute 1,01 stieg.
 
Block, Zeile, Satellit
Diese für hiesige Verhältnisse grosse Menge an erforderlichem neuem Wohnraum innerhalb des bereits stark besiedelten Schweizer Mittellandes bedeutet also Verdichtung. Verdichtung führt nun tendenziell zu «Flächenfrass» in der Horizontalen – oder zu mehr Höhe. Letzteres zeichnet sich ab. Oder, wie es die ehemalige Zürcher Stadträtin Katrin Martelli einmal formulierte, werden sich die Einwohnerinnen und Einwohner der grössten Schweizer Stadt vermehrt an Massstabssprünge im Baubestand ihrer Quartiere gewöhnen müssen.
Derlei Veränderungen der Volumen gehören seit jeher zur Stadt. Baute man im ausgehenden 19. Jahrhundert in mitteleuropäischen Metropolen die noch heute beliebten Blockrandbebauungen, die sich zur Strasse und damit zum öffentlichen Leben hin orientierten, richtete man im 20. Jahrhundert im Zuge des Neuen Bauens die nunmehr in langen, parallel versetzten Zeilen angelegten Bauten zunehmend zur Sonne und zum Licht hin aus. In der frühen Nachkriegszeit Mitte des 20. Jahrhunderts entstanden dann mancherorts Satellitensiedlungen in ehemals bäuerlich geprägten Dörfern auf dem Lande. Diese Satelliten liegen ausserhalb der Kernstädte im Grünen und gehören heute zu den Agglomerationen oder suburbs. Die lange als Schlafstädte verschrieenen Orte wurden später mit Infrastruktureinrichtungen aufgerüstet. Dennoch wollen viele Leute wieder vermehrt nahe einer Stadt leben, mit und ohne Kinder. Entsprechend sind Kommunen wie Genossenschaften gefordert, die eine über 100jährige Tradition haben, Familien und Personen mit geringeren oder mittleren Einkommen gute Lebensmöglichkeiten auf Stadtgebiet zu bieten.
 
Verdichtete Grossformen stehen in langer Tradition
Die Ersatzneubausiedlung der Baugenossenschaft Sonnengarten (Info hier und hier) beim Triemli von von Ballmoos Krucker Architekten ist ein weiteres Beispiel einer Verdichtung durch Neubauten, die kurz vor Fertigstellung steht. Anstelle der früheren zwei- bis dreigeschossigen, mit Satteldächern eingedeckten Zeilenbauten entstehen zwei mehrfach geknickte, sechsstöckige Scheibenhochhäuser, die einen grossen, öffentlich zugänglichen Hofraum erschliessen. Die beiden Scheiben sind, baulich gesehen, gewissermassen «Zwittergebilde», denn sie überlagern den Typus des Blockrands, der sich entlang eines Strassenblocks entwickelt und im Inneren einen Hof ausspart, und jenen des modernen, so genannten Punkt- oder Scheibenhauses, das als Solitär in der Landschaft steht. Die Triemli-Scheiben spannen einen – nicht ganz geschlossenen – Hof auf, rücken als Volumen aber von der Strasse ab ins Grundstück hinein und stehen entsprechend als freie Körper im Raum. Als Grossformen verweisen sie wohl primär auf Planungen aus den 1960er- oder 1970er-Jahren – etwa auf die Gäbelbach-Scheibenhochhäuser (1965–68) in Bern, die Cité du Lignon (1962–68) in Genf, das Märkische Viertel in Berlin oder an Vorstädte Paris, Mailands oder Roms – wo man schon lange hoch und verdichtet baut. ib
 
Siedlung Klee:
http://www.wohnenzuerich.ch
http://www.gbmz.ch
http://www.swiss-architects.com/projects/projects_detail/29433

Siedlung Sunnige Hof:
http://www.swiss-architects.com/projects/projects_detail/931

Siedlung Wasserschöpfi:
http://www.swiss-architects.com/projects/projects_detail/25226

Siedlung beim Triemli:
http://www.bg-sonnengarten.ch/aktuelles/projekte.htm
http://www.bg-sonnengarten.ch/pdfs/FlyerTriemli_Okt2009.pdf