«Architektur ausstellen ist nicht einfach»

Jenny Keller
30. May 2018
Besucher staunen über den leeren Britischen Pavillon anlässlich der Vernissage. Bild: Christiano Corte

Die Architekturbiennale in Venedig – und insbesondere ihre Preview – ist eine vielschichte Veranstaltung ganz unterschiedlicher Dimensionen: Sie ist Treffpunkt der internationalen Architektenschaft, Inspirationsort, Seismograf und Barometer für die Befindlichkeit der Szene, Nabelschau, willkommene Abwechslung im Alltag, ein nicht enden wollender Apéro, Vorwand für einen Venedig-Besuch und vieles mehr. Paolo Baratta, der Präsident der Biennale, der nicht abtreten kann oder will, schreibt im Vorwort zum Katalog der diesjährigen Architekturbiennale, das Ziel der Schau, nämlich aufzuzeigen «wie es (die Architektur) anders gemacht werden kann», sei eine Geste gegen passive Akzeptanz und Konformität.

Wenn wir von Nabelschau reden: «Bed-In» im Niederländischen Pavillon während der Preview mit Hans Ulrich Obrist. Bild: Daria Scagliola

Freiräume
 Die Architekturbiennale ist aber vor allem der Ort, an dem in konzentrierter Form Architekturvermittlung betrieben wird und studiert werden kann. Hier sieht man in kurzer Zeit, auf beschränktem Raum und unter verschiedenen Bedingungen, wie man Architektur ausstellen kann – und wie besser nicht. Pro-Helvetia-Direktor Philippe Bischof sagte anlässlich der Eröffnung des Schweizer Pavillons: «Architektur ausstellen ist nicht einfach». Das ist wohl wahr. Dieses Jahr wurde von den Kuratorinnen Yvonne Farrell und Shelley McNamara das Motto «Freespace» in Versalien vorgegeben. Nicht jeder Läderbeitrag geht darauf ein, gewisse beginnen mit der Arbeit, bevor das Überthema bekannt ist. Und so ein Begriff ist, wie man sieht, auch vielseitig dehnbar. Architekten und die Sprache, das ist aber eine andere Sache. Obwohl gerne der Begriff semantisch (ausgeliehen aus der Sprachwissenschaft) verwendet wird und mit der Sprache umgegangen wird, als könne man sie beliebig formen (man denke an die unsägliche Kleinschreibung seit Bauhaus), ist das Genre Architektentexte ein Fall für sich. Wir schreiben hier das Motto also nicht in Grossbuchstaben. Der Freiraum muss uns schliesslich nicht anschreien. Diese Versalien passen nämlich gar nicht zum Eindruck der Biennale, die sich im Grossen und Ganzen auf subtile Zwischentöne konzentriert, statt die laute Geste zu verherrlichen. Zu sehen gibt es viel analoges Handwerk und präzise, kleine Eingriffe.

In einem Film-Beitrag erklären die irischen Architektinnen ihre Überlegungen zu «Freespace» am besten selbst. Doch dieses Überthema ist nicht alleine ausschlaggebend für die Schau. Sie hilft, die Berichterstattung im Vorfeld zu nähren (und darum geht es bei einer Biennale auch; man liest die Biennale-Nachberichte der Kollegen mit Neugierde, Neid oder Spott – auch die Journalistinnen und Journalisten nutzen «Venedig» als Nabelschau), sie hilft sicher auch gewissen eingeladenen Architektinnen und Architekten, die an der Hauptausstellung ausstellen dürfen, ein Konzept dafür zu finden – Und gewisse foutieren sich darum und stellen aus, was sie ausstellen möchten.

Ausstellungsansicht: Peter Zumthors Modelle im Italienischen Pavillon. Bild: Italo Rondinella

Die Zeit ist um, in der man Pläne an die Wand hing, Modelle auf einen Sockel stellte und mit einem erklärenden Text, ein exemplarisches Werk vorstellte. Dennoch hat Peter Zumthors Modellschau mit vielen ungebauten Projekten im zentralen Pavillon in den Giardini eine sehr gute Resonanz erfahren. Natürlich sind die Modelle wunderschön, sie sind es aber auch, weil der Meister aus Haldenstein sie ausgestellt hat. Der Personenkult in der Architekturwelt ist Tatsache, wer einen Namen hat, wird beachtet. Wer nicht, muss sich doppelt beweisen, insofern spricht das für die Kuratorinnen und Kuratoren des Schweizer Pavillons, Alessandro Bosshard, Li Tavor, Matthew van der Ploeg und Ani Vihervaara, die als unbekanntes Kollektiv den Goldenen Löwen gewonnen haben.

Die Hauptausstellung
Die Hauptausstellung erstreckt sich vom zentralen oder Italienischen Pavillon in den Giardini über die ehemaligen Werkhallen im Arsenale und zählt dieses Jahr 71 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Beginnt man im Italienischen Pavillon macht eine Installation des britischen Architekten-, Design- und Kunstkollektivs Assemble den Auftakt: Wir stehen auf gelben und blauen handgemachten Keramikfliesen aus Liverpool, ein Wandteppich liefert die Informationen dazu und Spiegelflächen reflektieren die Gebrauchsspuren, die den Pavillon nach 15 Architekturbiennalen und 57 Kunstbiennalen zeichnen.

Das britische Kollektiv Assemble macht den Anfang im italienischen Pavillon. Bild: jk

Danach wurden 16 irische Architekten von Yvonne Farrell und Shelley McNamara mit 16 «herausragenden» Beispielen aus der Architekturgeschichte konfrontiert. Diese fertigten dazu grosse Modelle an und erklären in einer A4-Seite, die an der Wand hängt und die man kaum findet, was die ausgewählten architektonischen Beiträge zu herausragenden Beispielen macht. Was sehr didaktisch daherkommt, man wähnt sich zwischen Semesterarbeiten an einer Hochschule, ist nicht sehr aufschlussreich. «Wir sind als Architektinnen an die Ausstellung herangegangen», erklären Farell und McNamara, «der Kontext bilden bestehende Gebäude und spezifische Orte.» So weit so gut, aber gute Architekten machen nicht unbedingt gute Ausstellungen. Das durfte man schon in der Vergangenheit feststellen. Weiter sieht man im Italienischen Pavillon 12 Architektinnen und Architekten, die Beispiele aus ihrer Lehre zeigen, darunter Burkhalter Sumi.

De Vylder Vinck Taillieu Architekten aus Belgien, die neu an der ETH unterrichten, erhalten für ihren Beitrag den silbernen Löwen für einen «vielversprechenden jungen (!) Beitrag» in der Hauptausstellung. Sie zeigen in Raumhohen Bildern, die zwischen raumbildende Holzstrukturen gehängt sind, die Renovierung der letzten Villa einer alten psychiatrischen Klinik in Melle, Belgien. Anfang des 20. Jahrhunderts erbaut, wurden die Departementsvillen in den 1950er- und 1960er-Jahren nacheinander abgerissen und durch neue Gebäude ersetzt. Der derzeitige Direktor der Klinik stoppte die Zerstörung und veranstaltete einen Wettbewerb für die Wiedernutzung der letzten Villa. De Vylder Vinck Taillieu Architekten platzierten sieben Glasgewächshäuser in die Backsteinhülle des Gebäudes und kreierten helle Therapie- und Workshopräume sowie solche ohne Programm, ganz im Sinne von «Freespace».

Ausstellungsansicht De Vylder Vinck Taillieu. Bild: jk

Wenn weniger mehr ist
Und nun wird die Berichterstattung (s. oben) schwieriger, denn geografisch verschiebt sich die Hauptausstellung in die Backsteinhallen auf dem Arsenale. Hier wird es dichter, unübersichtlicher, auch wenn Farrell und McNamara die Hallen entrümpeln und mit einem «Massstab» versehen haben, dessen Referenz die «Strada Novissima» der ersten Architekturbiennale in Venedig sei, wie John Hill schreibt.

Räumlich wähnt man sich eher an einer Messe, wo sich Beitrag an Beitrag reiht und dabei schnell eine Position übersehen werden kann. Zum Glück ist die Biennale aber keine Messe, niemand will einen von den Vorzügen von BIM oder eines Dachfensters überzeugen, aber das Raumerlebnis im Arsenale ist manchmal ähnlich schwierig – die Rezeption der Beiträge ebenfalls. Katinka Corts hat dennoch ein paar bemerkenswerte Positionen herausgegriffen. Schweizer Beiträge gibt es ausserdem überdurchschnittlich viele hier: Elisabeth und Martin Boesch, Bearth & Deplazes, Mario Botta, Gion A. Caminad, Angela Deuber, Aurelio Galfetti und Valerio Olgiatti sind mit unterschiedlichen Beiträgen präsent. Auffallend ist, dass die SUPSI (Scuola universitaria professionale della Svizzera italiana) aus Mendrisio damit ebenfalls überdurchschnittlich vertreten ist.

Und dann nach 300 vermassten Metern kommt ein «Länderpavillon» eines Landes, das in den Giardini keinen Pavillon hat. Man sieht, die Architekturbiennale ist wie die Architektur selbst eine heterogene Angelegenheit, Ort und Bedingungen können unterschiedlicher nicht sein. Aufgefallen sind dieses Jahr aber die Beiträge mit einer einfachen Grundaussage, die auf den zweiten und dritten Blick mehr beinhalten. Ein gutes Konzept muss den Besucher nicht auf den ersten Blick überfordern, sondern sollte ihn überraschen und erfreuen. Natürlich sollte es in einer zweiten, dritten und vielleicht auf der Meta-Ebene tiefer gehen, denn das ist kein Plädoyer gegen Komplexität und für Simplizität. Komplexe Themen so darzustellen, dass sie mehrere Ebenen einnehmen und deshalb möglichst viele ansprechen, das ist die Kunst, die hier gelobt wird. Einige Beispiele:

Der Niederländische Pavillon, siehe «Locker room talks» vom 28. Mai 2018
Die Kapellen des Vatikan, siehe «Heiliger Beitrag» vom 28. Mai 2018
Der Englische Pavillon, siehe «Team Time» vom 25. Mai 2018
Der Schweizer Pavillon, siehe «Nicht neutral» vom 24. Mai 2018
Der Belgische Pavillon, siehe «Eurotopie» vom 24. Mai 2018
Der Pavillon von Tschechien und der Slowakei, siehe «Job Description: Normal Life» vom 24. Mai 

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