In der Welt zuhause

Susanna Koeberle
27. September 2017
Marcus Engman, Head of Design IKEA of Sweden. Bild: ECAL/Calypso Mahieu

Was verkauft Ikea schon wieder? An Möbel würde man nicht sofort denken, lauschte man den einführenden Worten zum zweiten Democratic Design Day, der letzte Woche in Lausanne an der ECAL  (Ecole Cantonale d’Art de Lausanne) stattfand. Es gehe bei Ikea um personality between the furniture, hiess es da, kurzum: ums Leben. Oder anders ausgedrückt: Beim blauen Möbelriesen kauft man sich zusammen mit dem Sofa gleich noch eine Lebensberatung dazu. Da beginnt sich der Einkauf  ernsthaft zu lohnen. Doch zurück zum eigentlichen Thema. Der Titel der Tagung, zu der sieben internationale Gastrednerinnen und  -redner eingeladen waren, lautete «the future of living at home». Dennoch (und zum Glück) schauten die Vortragenden weit über unsere Wohnzimmer hinaus. Aus unterschiedlichen Disziplinen kommend (Architektur, Design, Soziologie/Psychologie) umrissen sie die Rolle von Design, indem sie die Jetztzeit analysierten und daraus auch Prognosen für die Zukunft ableiteten.

Den Einstieg machte Marcus Engman, Head of Design bei Ikea. Schliesslich ist der ganze Event auch eine Marketingveranstaltung, da wollte man mit dem entsprechenden Statement beginnen. Man staunte nicht schlecht, als der grossgewachsene Schwede, der übrigens im gleichen Dorf aufwuchs, in dem Ikea geboren wurde, gleich zu Beginn festhielt, die Firma fokussiere nicht auf Business, sondern sei eine vision driven company. Und man wolle die Welt verändern (sic!). Etwas gar dick aufgetragen, besonders da die Firmenkultur von Ikea sowie die Figur ihres Gründers Ingvar Kamprad in der Vergangenheit nicht immer so lupenrein daherkamen, wie Engman uns das weismachen wollte. Item. Der Herr hatte dennoch ein paar interessante Dinge zu erzählen, auf die pathetische Intro hätte er auch verzichten können. Mittels Hausbesuchen auf der ganzen Welt versucht das Ikea-Team Trends zu eruieren. Zum Beispiel, dass Nachbarschaft heute als Teil des Zuhauses angesehen wird. Dieser Trend wird dann prompt auch von Ikea zelebriert, etwa mit grossen Food- und Musikfestivals, wie sie schon in Kopenhagen oder in Mailand zum Salone del Mobile stattfanden.

Gewonnene Einsichten fliessen auch in die Produktentwicklung. Die aging society, kleine Wohnräume, Homeoffice und die Rolle der Sinne beim Wohnen, zu all diesen Tendenzen hatte Engman kleine Anekdoten parat aus der Welt von Ikea. Klang so, als ob die alles im Griff hätten, im Norden oben. Mal einer, der nicht schwarz malt, jedenfalls.

Ein positives Bild der Zukunft malte auch Simonetta Carbonaro, Konsumenten-Psychologin aus Karlsruhe. Anhand eines Modells der beiden kanadischen Professoren Darcy Riddell and Michele-Lee Moore zeigte sie, wie nachhaltige Veränderungen eingeleitet werden können. Entgegen des häufig pessimistischen Bildes der jungen Generation (Gen-Z, nach 1995 Geborene) charakterisierte sie die heutige Jugend als durch einen grossen Gemeinschaftssinn geprägt. Einen Paradigmenwechsel diagnostizierte sie auch im Bezug auf Design, es finde zurzeit ein Re-Design von Design statt. Überhaupt sieht sie Designer als change agents, als Innovatoren. Eigentlich seien wir alle Designer, meinte sie, Veränderungen würden nämlich von gewöhnlichen Leuten initiiert, zum Beispiel in der Nachbarschaft. Den Begriff Zuhause dehnte sie gar bis auf unseren Planeten aus. Prinzip Hoffnung reloaded. Willkommen in der Welt der Möglichkeiten ...

Der Autor und Journalist Oliver Hartig holte die Zuhörer mit seinen sehr konkreten Ausführungen zum Thema Universal Design wieder auf den Boden der Dingwelt zurück. Er formulierte fünf Gebote, die man beachten müsse beim Entwerfen von Design, das für alle funktioniere. Äusserst anregend waren die im Eiltempo vorgetragenen 10 Thesen von Antonio Scarponi, Designer und Architekt aus Zürich (Conceptual Devices). Er liess es sich nicht nehmen, bei der These «hack the system, not the product» den Gastgeber selber auf die Schippe zu nehmen. Er berichtete über eine Ausstellung im Cabaret Voltaire, bei der er eine ganze Ausstellungsarchitektur aus einer einfachen Ikea-Box anfertigte, um im Anschluss an die Schau, die Boxen an den Hersteller zu retournieren: Sorry, falsche Farbe. Ein Statement, das etwas Frische und Humor in die Veranstaltung brachte. Chapeau für die Dramaturgie, es ist ja nicht selbstverständlich, einen ganzen Saal zu «unterhalten», wenn draussen die Herbstsonne scheint.

Matali Crasset, Industrie-Designerin aus Paris, im Gespräch mit Moderatorin Mélanie Freymond. Bild: Photos ECAL/Calypso Mahieu

Die beiden Designerinnen Matali Crasset (Paris) und Kim Collin (Teil des Duos Industrial Facility, London) erzählten über ihre Arbeit und sprachen über spannende Projekte, bei denen sie weniger vom reinen Objekt als von Emotionen und Ritualen ausgehen, die ein Raum oder Entwurf auslösen können. Beide entwerfen nicht blosse Objekte, sondern ebenso Szenarios rund um diese. Dabei spielt natürlich der Verbraucher eine zentrale Rolle. Oder vielmehr die Interaktion zwischen Objekt und Mensch sowie die Beziehung zwischen den Dingen an sich. Anhand der vorgeführten Beispiele wurde der Paradigmenwechsel, von dem an diesem Tag so häufig die Rede war, gut nachvollziehbar. Vereinfachung und Emotionalität sind grob vereinfacht die neuen Losungsworte von Design.

​Als die Aufmerksamkeit des Publikums langsam abzusacken drohte, wurde diese nochmals auf die Probe gestellt. Der Italienische Architekt und Designer Mario Bellini trat zum Schluss auf und überzog seine Zeit auf nonchalante Weise («Ich weiss, ich bin in der roten Zone, aber egal»). Doch auszuharren lohnte sich, zumal Bellini einen Exkurs in die Vergangenheit vornahm, der dem ganzen Tag eine gewisse Tiefe verlieh. «Auch die Zukunft hat seine Vergangenheit», begründete er diesen Schwenker in die Geschichte der Architektur. Das Vorführen verschiedener architektonischer Zukunftsvisionen  relativierte auch den ganzen Zukunftshipe. Fazit Bellinis: Alles war schon mal da. Diese Feststellung schuf eine gewisse zeitliche Klammer um die vielen Beiträge. Alles ist in steter Veränderung, aber der Mensch bleibt der Mensch.
 

Mario Bellini, Jahrgang 1935. Bild: Photos ECAL/Calypso Mahieu)

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