Bauen mit Bomben

Juho Nyberg
15. febbraio 2018
Eisernes Erbe. Bild: jn

Eines der Grundprinzipien des nachhaltigen Bauens ist, dass die Transportwege der Baustoffe möglichst kurz gehalten werden und somit vorwiegend lokale Materialien eingesetzt werden sollen. Tessiner Rusticos, skandinavische Blockhäuser oder afrikanische Hütten aus Lehm kommen einem in den Sinn. Dass es darüber hinaus andere, weit weniger natürliche, aber eben doch lokal vorhandene Baustoffe gibt, mag auf den ersten Blick erstaunen. Auf den zweiten nicht.

Der Inlandsflug von Luang Prabang nach Phonsavan ist kurzweilig. Man fliegt bei gutem Wetter auf Sicht in einer kleinen Propellermaschine über Laos nach Osten. Gleich nach dem Start lässt man den Mekong hinter sich. Die hügelige Landschaft dort unten ist stark bewaldet, hie und da sind kleinere Siedlungen zu erspähen, gerodete Flächen für Ackerbau oder Viehzucht reissen rotbraune Löcher in das schier endlose, von Flüssen und Seen unterteilte Grün. Bei Beginn des Anflugs auf den Flughafen von Phonsavan weicht der Urwald zurück und eine etwas karger erscheinende Landschaft der Ebene tritt an seine Stelle. Die weitläufige Fläche ist durchsetzt mit kleinen, kreisrunden Flecken, die auch aus grosser Höhe klar zu erkennen sind.

Landschaft kurz vor der Ankunft in Phonsavan. Bild:jn

Der Weg vom etwas ausserhalb liegenden, winzigen Flughafen in die Stadt verläuft über grotesk grosszügig angelegte Strassen, gesäumt von unprätentiösen Gebäuden, die häufig zugleich Wohn- und Arbeitsort für die jeweiligen Familien. Marktplätze, Denkmäler und Verwaltungsgebäude kündigen das Stadtzentrum an und die abwechslungsreicher werdende Kulisse macht neugierig. Was war denn das? Der sehr dicke, rostige Zaupfahl ist schon vorbei. Doch schon bald taucht erneut ein solcher auf. Mal rostig, mal bunt gestrichen stehen sie bisweilen gleich in grosser Zahl Spalier an der Strasse: Bomben. Genauer gesagt sind es Hüllen von Bomben, bombshells. Als Zäune, eye-catcher, Dekoration stehen sie da, mit zweien lässt sich ein schicker Zugang zum Grundstück markieren und manchmal steht noch ein Maschinengewehr dabei. Wer braucht da schon Baumalleen?

Solides Handwerk. Bild: fieldstudyoftheworld.com/recycling-of-bombs-in-laos

Amerika führte den Vietnamkrieg in den Jahren 1964 bis 1973. Eines ihrer wichtigsten Ziele war es, den Nachschub aus dem kommunistischen Nordvietnam nach Süden zu unterbinden, vorzugsweise mit massiven Bombardements aus der Luft. Das Ho-Chi-Minh-Pfad genannte Nachschubnetzwerk der Nordvietnamesen zog sich weitverzweigt über viele hunderte Kilometer und auch über die laotischen Staatsgrenzen hinweg. Allerdings belegen heutige Dokumente, dass das Hauptgebiet des Pfades einige hundert Kilometer südlich von Phonsavan lag. In den neun Jahren der amerikanischen Beteiligung am Vietnamkrieg ging über Laos ein Bombenhagel nieder, der grösser ist, als alle im zweiten Weltkrieg über Deutschland und Japan erfolgten Bombardements zusammengerechnet. 2,5 Millionen Tonnen – oder anders ausgedrückt: alle acht Minuten während neun Jahren eine B-52-Ladung – Bomben gingen ohne Unterbruch auf das gesamte Land nieder.

45 Jahre nach dem Ende des Krieges haben die Bomben in all ihrer Form längst Einzug gehalten in den Alltag der Laoten. Und dies mit einer solchen Selbstverständlichkeit und Allgegenwart, dass es dem Besucher nach dem ersten Erspähen dieser makabren Relikte nur kurz surreal vorkommt, sie sind schlicht zu gegenwärtig. Traditionelle Reisspeicher und kleine Wohnhäuser sind üblicherweise auf Stelzen gebaut, um Schädlingen (Ratten) und Hochwassern vorzubeugen: Anstelle von Baumstämmen eigenen sich die massiven Stahlhüllen der Streubomben hervorragend als Pfähle. Futtertröge für Tiere oder eine Feuerschale für den Garten? Eine halbierte Bombe ist dafür bestens geeignet. Die Halbschalen muss man übrigens gar nicht unbedingt selber herstellen, ein Grossteil des Abwurfs waren Streubomben, deren äussere Hülle sich in der Luft öffnet und ihren Inhalt – tennisballgrosse explosive Kugeln – über der Bevölkerung ausleerte. Rund ein Drittel der kleinen Kugeln ist dabei Schätzungen zufolge nicht explodiert, was eine Zahl von rund 80 Millionen Blindgängern ergibt, jeder für sich mit tödlichem Potential. Kinder wachsen mit der Alltäglichkeit der Bomben auf – sie werden sogar zu hübschen Lämpchen verarbeitet – und entwickeln von sich aus kein Bewusstsein für die Gefahr. So kommt es vor, dass sie sich im Spiel so ein rundes Ding zuwerfen oder es herumkicken, bis der Zünder losgeht. Doch auch in der Erde eingegrabene Blindgänger sind gefährlich: für Bauern, die ihr Feld beackern wollen oder für Familien, die ihre Kochstelle traditionell im Freien installieren: die Hitze des Feuers kann darunter liegende Sprengkörper zur Detonation bringen. Noch heute fallen bis zu hundert Laoten jährlich diesem Erbe zum Opfer.

Bombenstimmung an der Feuerschale. Bild: jn

Die unüblichen Bodenschätze werden von der Bevölkerung jedoch nicht nur für den Eigengebrauch geborgen. In einem Land mit einem BIP von unter US$ 2'500 zählt besonders bei den tiefsten Einkommensschichten jede erdenkliche Möglichkeit, Geld zu verdienen. So kann es aller Aufklärungskampagnen und den über 20'000 Toten nach (!) dem Ende des Krieges – von den Versehrten ganz zu schweigen – zum Trotz immer noch für einzelne verlockend sein, einen Blindgänger zu Geld zu machen, indem man den Stahl verkauft. Rund 20 Rappen gelten als handelsüblicher Preis für ein Kilo Metallschrott, aus dem lokale Firmen Stahlträger formen.
 
Etwa zwanzig verschiedene Nichtregierungs-Organisationen kümmern sich um die Räumung der Blindgänger. Ihr Erfolg liegt mittlerweile bei ca. einer halben Million kontrolliert gesprengter Bomben – von vermuteten 80 Millionen! Amerikas Ex-Präsident Obama hat kurz vor Ende seiner Amtszeit Laos besucht und die finanzielle Unterstützung für den Entschärfungen auf US$ 90 Mio. für die nächsten drei Jahre erhöht. In den 20 Jahren davor war der jährliche Beitrag US$ 5 Mio. gewesen. Die Bombardierungen verschlangen im Vergleich US$ 17 Mio. – pro Tag.

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