Stephan Heise schuf überzeugende Bildungsbauten. Dennoch blieb er vielen unbekannt

Eduard Kögel
6. de juliol 2022
Das Ensemble aus einer Grundschule (links) und einer Kindertagesstätte (rechts) im Märkischen Viertel in Berlin in den 1980er-Jahren. Zwischenzeitlich wurde die Anlage, die zu Stephan Heises wichtigsten Arbeiten gehört, umgestaltet. (Foto: Archiv Stephan Heise)

Vor fünfzig Jahren starb Hans Scharoun (1893–1972), der in seiner Genialität immer auch etwas eigenbrötlerisch blieb. Nach dem Zweiten Weltkrieg unterrichtete er an der TU Berlin die Nachkriegsgeneration in seinem besonderen Architekturverständnis des Neuen Bauens, das von Frank Lloyd Wright inspiriert war. Daneben betrieb er sein eigenes Büro, in dem viele junge Architekten arbeiteten. 

In einer Artikelserie stellt Eduard Kögel, ein Experte für deutsche und chinesische Architektur, einige seiner ehemaligen Mitarbeiter und Studenten vor, die aus unterschiedlichen Gründen in seinem grossen Schatten blieben.

Eine Auswahl aus den Bauten, die Stephan Heise realisieren konnte.

  • Wilhelm-Raabe-Grundschule, heute Jugendkunstschule Atrium, Märkisches Viertel, Berlin, 1965–1970
  • Kindertagesstätte, Märkisches Viertel, Berlin, 1970–1973
  • Evangelisches Gemeindehaus, Berlin-Kladow, 1970–1973
  • Kindertagesstätte, Berlin-Schöneberg, 1980–1982

Der 1928 geborene Stephan Heise absolvierte direkt nach dem Krieg eine Tischlerlehre in Darmstadt, bevor er an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart als Meisterschüler von Karl Wiehl (1898–1952) Innenarchitektur studierte. Er verliess die Hochschule nach dem frühen Tod seines ersten Mentors ohne Abschluss. Ab 1953 war Heise als freier Mitarbeiter für zehn Jahre im Büro von Hans Scharoun tätig. Für einige Zeit arbeitete er in Stuttgart unter anderem an den Wohnhochhäusern Romeo und Julia. Dann wechselte er nach Berlin ins Hauptbüro und wirkte an der Siedlung Charlottenburg Nord mit, an der bekannten Philharmonie sowie an einigen unrealisierten Projekten. 1963 löste sich Heise vom Büro Scharoun und konnte in Berlin-Kladow ein erstes privates Wohnhaus unter seinem Namen bauen. Ab 1960 hatte er ausserdem von Zeit zu Zeit projektbezogen als freier Mitarbeiter für Chen Kuen Lee in Süddeutschland gearbeitet.

Für Heise waren die Anfänge offensichtlich nicht einfach, und es sollte ihm auch später nicht leichtfallen, seine Projekte umzusetzen. Mit seinem eigenen Büro befasste er sich in Wettbewerben, Gutachten und Studien mit dem Wohnungsbau, dem Kirchenbau, dem Zusammenwirken von Architektur und Landschaft sowie mit den Auswirkungen des Klimas auf städtebauliche Strukturen. Insgesamt baute er in seiner gesamten Schaffenszeit nur rund ein halbes Dutzend Häuser. Dazu kamen noch einmal so viele Projekte im kirchlichen Umfeld, vor allem Renovierungen und kleine, aber architektonisch interessante Erweiterungen.

Der Eingang zur heutigen Jugendkunstschule Atrium in Berlin nach dem Umbau (Foto: Eduard Kögel)
Das 1992 fertiggestellte Kulissenlager ist heute noch im Originalzustand. (Foto: Eduard Kögel)
Stephan Heise gestaltete richtungsweisende Bildungsbauten. Manche zogen gar pädagogische Delegationen aus dem Ausland an

Als in den 1960er- und 1970er-Jahren in Westberlin das Märkische Viertel gebaut wurde, konnte Stephan Heise ein Ensemble aus einer Grundschule und einer Kindertagesstätte entwerfen und umsetzen. Zuerst erhielt er den Auftrag für den Neubau der Wilhelm-Raabe-Grundschule (1965–1970) mit 20 Klassen. Die Anlage liegt direkt vor den abgestuften und bis zu zwölfgeschossigen Wohnbauten von Chen Kuen Lee. Ästhetisch verbindet sie sich durch ihre gestaffelten Bauformen mit der Idee der Architekturlandschaft. Den Grundriss der Schule organisierte Heise eingeschossig und ringförmig um einen offenen Gartenhof, von dem zwei- bis dreigeschossige Seitenarme wie Tentakel in den umgebenden Garten ragen. Ein kleiner Schulkindergarten und die Hausmeisterwohnung lagen als separate, eingeschossige «Villen» neben dem Eingangsbereich im Garten.

Flure, die sich zu Kommunikationsräumen weiten, verbanden die einzelnen Einheiten und konnten unkonventionell auch für den Unterricht genutzt werden. Die Schule wurde aus Bauteilen in Sichtbeton und sichtbarem Kalksandsteinmauerwerk gebaut. Ihr Dachabschluss wies einen umlaufenden Sturz auf, der in einem Orangeton abgesetzt war. Die Fensterbänder waren zusammen mit den Fensterrahmen schwarz gestrichen und durch einzelne orangene Öffnungsflügel spielerisch strukturiert. 

Da die Schülerzahlen im Märkischen Viertel bereits Mitte der 1980er-Jahre rückläufig waren, plante Heise den Umbau zu einem musischen Zentrum mit dem Namen Atrium, das heute als Jugendkunstschule des Bezirks die Kreativität der Kinder und Jugendlichen nicht nur aus dem Quartier, sondern auch aus anderen Stadtteilen fördert. Sein Umbaukonzept sah vor, den Innenhof in eine Art Bühne mit einem Glasdach umzuwandeln, was jedoch nicht umgesetzt wurde. Stattdessen konnte Heise den lang gestreckten Neubau für ein Kulissenlager (1986–1992) realisieren.

Die Hoffassade von Heises Kindertagesstätte in Berlin-Schöneberg. Das Bauwerk steht heute unter Denkmalschutz. (Foto: Eduard Kögel)
Eine Nische im Flur der Kindertagesstätte, die 1982 fertiggestellt wurde und über 156 Plätze verfügte. (Foto: Eduard Kögel)

Als die Wilhelm-Raabe-Grundschule 1970 fertiggestellt war, schloss sich für Heise ein Auftrag für eine Kindertagesstätte mit 171 Plätzen auf demselben Grundstück an, die wiederum 1973 eröffnet wurde. Der damalige Berliner Senator für Bau- und Wohnungswesen erwartete, wie er Heise schrieb, ein Gebäude, das «in der Jugenderziehung gewonnenen neuen pädagogischen Erkenntnissen» entsprechen sollte, «die der kreativen Entwicklung und der sozialisierenden Funktion eine hohe Bedeutung einräumen». Im selben Schreiben bestätigt er Heise, dass dies in allen Belangen zu einem sehr günstigen Preis gelungen sei. Für die Verwaltung war es ein Vorzeigeprojekt, das bis Ende 1974 pädagogische Delegationen aus Österreich, Westdeutschland, England, Brasilien und Israel besuchten und auf das man entsprechend stolz war. 

Die innere Erschliessung organisierte Heise wie «die Hauptstrasse einer kleinen, alten Stadt – mal breit, mal schmal, je nach ‹Verkehrsdichte› und Bedarf». So sollte der von oben belichtete Flur zu neuen Nutzungsmöglichkeiten anregen, unterstützt durch die Wandgestaltung aus Fotocollagen und naiven Malereien, welche die Künstlerin Susanne Riée (1927–2020) zusammen mit den Kindern erstellte. 

Zwischen 1989 und 1991 konnte Heise den Bau selbst sanieren. Als zwanzig Jahre später ein Wärmedämmverbundsystem aufgebracht wurde, wandte er sich an Behörden und einflussreiche Persönlichkeiten bis hin zum deutschen Bundespräsidenten – vergebens. Er konnte die Verschandelung seines Baus nicht verhindern.  

Eine weitere Kindertagesstätte mit 156 Plätzen (1980–1982), die heute unter Denkmalschutz steht, konnte Stephan Heise in Berlin-Schöneberg bauen. Der dreigeschossige Terrassenbau verjüngt sich zur Strassenfront hin und entwickelt sich entlang der Brandwand des Nachbarhauses in das Grundstück hinein. Die Gruppenräume haben entweder direkten Zugang zu den Terrassen oder in den Garten. Auch bei diesem Projekt arbeitete Heise mit Susanne Riée zusammen. Zur Form des Gebäudes sagte er selbst: «Das Haus sieht so aus, weil es als Ganzes und in Teilen den Bedürfnissen der Menschen vor Ort zwanglos entspricht. Deshalb sieht es wie ein Hügel-Schiff aus: halb Hügel, halb Schiff.»

Der Bürotrakt am evangelischen Gemeindehaus in Berlin-Kladow (Foto: Eduard Kögel)
Im Inneren des Gemeindehauses schraubt sich eine elegante Wendeltreppe empor. (Foto: Eduard Kögel)
Das evangelische Gemeindehaus von Berlin-Kladow

Nach einem gewonnenen Wettbewerb baute Heise ein neues evangelisches Gemeindehaus in Berlin-Kladow (1970–1973), das im Volksmund wegen seiner bewegten Formen auch «Kladower Philharmonie» genannt wurde. Kladow liegt am Wannsee und war einst das südwestliche Ende Westberlins, umgeben von den Grenzanlagen der Mauer. Der polygonale Grundriss von Heises Bauwerk fügt sich organisch in die Gartenlandschaft ein, und die grossflächige Verglasung verbindet Innen- und Aussenraum. Die Räume liegen auf unterschiedlichen Ebenen, und der Hauptraum mit Bühne und Empore eignet sich für vielfältige Nutzungen. Der Baukörper ist wie bei den Bildungsbauten im Märkischen Viertel aus Kalksandstein, hier jedoch sind die Fensterzonen mit naturbelassenem Holz verkleidet. Anfang der 1990er-Jahre konnte Heise wiederum selbst eine Sanierung durchführen. Inzwischen steht das Gemeindehaus mit dem angrenzenden Pfarrhaus, das auch von Heise saniert wurde, unter Ensembleschutz.

Gefährdete Baudenkmäler? Wenn der Erhöhung des Wärmeschutzes architektonische Qualität geopfert wird

In den hier vorgestellten Bauten von Stephan Heise zeigt sich deutlich die Prägung durch Hans Scharoun: Die additiven Grundrisse sind immer von ihrer inneren Funktion ausgehend entwickelt und mit gefalteten Fassaden oder geneigten Dachflächen zu einem vielgestaltigen Ganzen zusammengeführt. Die Verbindung zwischen innen und aussen sowie die komplexen Übergangsräume und Vorzonen schaffen informelle Kommunikationsflächen, die auf unterschiedlichste Weise immer wieder neu an sich verändernde Nutzungen angepasst werden können. Heises komplexe Architektur, die auch stark durch ihre Materialität und sensible Farbkonzepte geprägt war, ist bis heute eine Einladung an die Nutzer*innen, sich in kreativer Kontemplation inspirieren zu lassen.

Stephan Heise äusserte in den Gesprächen mit mir immer wieder die Sorge, dass eine energetische Sanierung seine Bauten entstellen und letztlich ihren Charakter zerstört würde. Dazu gehörte für ihn auch das ausgeklügelte Farbkonzept, das auf ähnliche Weise all seine Bauten prägte. Als abschreckendes Beispiel diente ihm die unsensible Sanierung der Kindertagesstätte im Märkischen Viertel, die ich oben erwähnt habe. Während die zweite Kindertagesstätte und das evangelische Gemeindehaus heute unter Denkmalschutz stehen, wurde die Jugendkunstschule Atrium in den Jahren zwischen 2018 und 2020 energetisch saniert. Dabei verzichtete man auf eine zusätzliche Aussendämmung der Wände, um das charakteristische Sichtmauerwerk zu erhalten. Bei der Erneuerung des Anstrichs und der Fensterfarben wurde jedoch die nuancierte farbliche Komposition wenig sensibel durch grobe und harte Kontraste ersetzt.


Im ersten Artikel seiner Serie stellte Eduard Kögel Chen Kuen Lee vor. Der aus China stammende Architekt hatte ein bewegtes Leben und war überaus talentiert. Doch aufgrund seiner Homosexualität blieben ihm viele Türen verschlossen. Für Hans Scharoun indes war er ein wichtiger Diskussionspartner, von dem der Meister sehr profitierte.

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