Werkschau mit kontroverser Beigabe

Elias Baumgarten
27. de març 2019
Im Buch werden 22 Sakralbauten Mario Bottas gezeigt. Bild: Elias Baumgarten

1966 entwarf Mario Botta seinen ersten Sakralbau: eine kleine Kapelle im Kapuzinerkloster Bigorio im Tessin. Botta war damals noch Student in Venedig. Seither hat er eine Vielzahl von Gotteshäusern entworfen – nicht nur im Tessin und in Italien, sondern weltweit. So gestaltete er Kirchen in Österreich (2013, Penkenjoch) genauso wie eine Synagoge in Israel (1998, Tel Aviv), eine Moschee in China (seit 2016, Yinchuan) oder ein griechisch-katholisches Gemeindezentrum in der Ukraine (2011, Leopoli). 

Der Wiener Städtische Versicherungsverein, welcher der Vienna Insurance Group (VIG) gehört, unterhält seit jeher eine enge Beziehung zur katholischen Kirche. Wenig verwunderlich ist daher dessen Interesse an religiösen Bauten. In den Wiener Ausstellungsräumen der VIG am Schottenring 30 läuft derzeit eine grosse Schau zu Mario Bottas Sakralarchitekturen. Sie ist noch bis 31. Mai 2019 geöffnet. Adolph Stiller hat begleitend das Buch «Mario Botta. Sakrale Räume» herausgegeben. Es ist im Verlag müry salzmann erschienen.

Grosse Werkschau

Im Buch werden in chronologischer Reihenfolge 22 Projekte Bottas gezeigt. Mit Ausnahme einer Kapelle für den Flughafen von Mailand sind alle gebaut oder befinden sich aktuell im Bau. Präsentiert werden sie mit vielen inspirierenden Zeichnungen, Pläne und Montagen sowie eindrücklichen Aufnahmen und Modellfotos. Hinzukommen kurze Beschreibungstexte. Durch diese Auslegeordnung vermittelt das schön gestaltete Buch einen guten Überblick über Bottas Werk.

Bilder: Elias Baumgarten
«Zu viele Jahre lang wurde die Architektur missbraucht als schamlos perverses Instrument im Dienst des Marktes und des durch die Globalisierung herbeigeführten Konsums.»

Mario Botta

«Vom Sakralen zur Architektur»

Dem Katalog vorangestellt sind fünf Aufsätze. Der längste und kontroverseste stammt aus der Feder Mario Bottas. Er bezeichnet darin die Gestaltung von Sakralbauten als die architektonische Aufgabe schlechthin. Denn in keinem anderen Fall bestünde die Möglichkeit, sich derart vertieft mit Licht, Materie, Schwerkraft, Geschichte und Erinnerung auseinanderzusetzen. Sakrale Bauten tragen, so Botta weiter, in besonderem Masse zur kollektiven Identität bei.

Anschliessend holt der Architekt zum soziokulturellen und architektonischen Rundumschlag aus und bezieht klar Position. Der Tessiner gibt sich als sehr religiöse Person zu erkennen. Er erklärt seine Abneigung gegen die säkularisierte und von «extremem Individualismus» geprägte Konsumgesellschaft. Gotteshäuser zu gestalten – gleich für welche Religion – bedeutet für ihn demnach, ein Gegengewicht zu schaffen zur Dominanz des Marktes und der Finanzwelt. Botta zeigt sich ferner als Kritiker der Globalisierung. Diese führe zu einer negativen Vereinheitlichung von Werten und Lebensweisen, schreibt er, und zur Nivellierung der Lebensräume. Er macht sie für den Bedeutungsverlust religiöser Stätten innerhalb der Siedlungen verantwortlich. 

Auch einige konkrete Forderungen stellt Botta in seinem Essay. So sei es an der Zeit, die «zwanglose Idee der 68er Generation» über Bord zu werfen, wonach Gotteshäuser lediglich Orte der Begegnung seien. Vielmehr müssten wir sie (wieder) als formalen Ausdruck unserer Kultur begreifen. Und schliesslich sollten sakrale Bauten – wie alle Häuser – mit der Landschaft des Bauplatzes verschmelzen und keine Solitäre bilden, findet Botta. Er wirft vielen seiner Kolleg*innen vor, ihre Architekturen würden nicht auf den Kontext reagieren. Betrachtet man hernach seine kraftvollen Bauwerke, so sei allerdings dahingestellt, inwiefern diese auf ihre jeweilige Umgebung eingehen.

Mario Botta. Sakrale Räume

Mario Botta. Sakrale Räume
Adolph Stiller (Hrsg.)

205 x 215 Millimeters
216 Pàgines
ISBN 9783990141892
müry salzmann
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