Office-Home statt Home-Office
Harry Gugger Studio
6. April 2023
Foto: Daisuke Hirabayashi
Harry Gugger berichtet, wie er mit seinem Team in St.Gallens dicht bebauter Innenstadt eine Stadtvilla durch ein modernes Bürohaus in Holzbauweise ersetzt hat.
Herr Gugger, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?
Man konnte und wollte sich an dieser zentralen, dicht bebauten innerstädtischen Lage keine Baustelle vorstellen. Es war uns von daher wichtig, von Anfang an den Bauprozess mitzudenken. Also war rasch klar, dass wir einen vorgefertigten, nachhaltigen Holzbau anstreben, der, flexibel nutzbar, eine angenehme Arbeitsatmosphäre schaffen sollte.
Das neue Bürohaus steht inmitten einer dichten Bebauung. Der vorgefertigte Holzbau konnte in kurzer Zeit errichtet werden, ohne eine grosse Baustelleninstallation zu benötigen. (Foto: Daisuke Hirabayashi)
Die Fassadenbekleidung besteht aus dünnwandigen Glasfaserzementplatten. Auf diese Weise greift das Haus die mineralischen Fassaden der Nachbarbauten auf. Gleichzeitig wird auf die Leichtigkeit der Holzkonstruktion dahinter verwiesen. (Foto: Daisuke Hirabayashi)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?
Es galt, den Vorgängerbau, eine typische Stadtvilla, die das italienische Konsulat beherbergte, adäquat und würdevoll in einen grösseren Massstab zu übersetzen und dabei das feingliedrige städtebauliche Gefüge zu erhalten.
Mit seinem wohlproportionierten, schlichten Volumen, das gegen die Frongartenstrasse und zum rückwärtigen Hof hin profiliert ist, sich gegen die beiden angrenzenden Blockrandbauten aber neutral verhält, fügt sich das Gebäude ohne übertriebene Gestik selbstverständlich in den Blockrand ein. In sich ruhend, markiert es gleichzeitig seine Unabhängigkeit.
Während der Planungs- und Bauphase erreichte die Corona-Pandemie die Schweiz. Die Innenräume wirken nicht verwaist, wenn viele Mitarbeitende im Home-Office sind. Bei Vollbelegung bleibt derweil genügend Platz für ruhiges, konzentriertes Arbeiten. (Foto: Daisuke Hirabayashi)
Haben Sie den Auftrag über einen Wettbewerbsbeitrag erhalten oder direkt erteilt bekommen?
Wir gewannen 2017 den anonymen Wettbewerb, zu dem neben uns fünf weitere Büros eingeladen waren: Baumschlager Eberle, Bearth & Deplazes, hutterzoller, Donatus Lauener + Brian Baer und K&L.
Natürlich haben wir in enger Zusammenarbeit mit der Bauherrschaft die Nutzungsdisposition festgelegt und dabei darauf geachtet, dass die nutzungsoffene und flexible Raumstruktur erhalten bleibt.
In ihrem Bericht machte die Jury folgende Feststellung: «Es liegt eine unerwartet dichte Durcharbeitung der konstruktiven These eines prefabrizierten Holzbaus vor.» Wie es für einen Holzbau typisch ist, hatten wir schon im Wettbewerb ein räumlich und konstruktiv verbindliches Projekt erarbeitet. Es ist daher nicht überraschend, dass sich unser Entwurf eigentlich nur auf der Detailstufe weiterentwickelt hat.
Die Mitarbeitenden können sich in den Büros zu Hause fühlen. Zu einem behaglichen Raumklima tragen Naturmaterialien wie Holz und Schafwolle bei. (Foto: Daisuke Hirabayashi)
Foto: Daisuke Hirabayashi
Inwiefern haben Sie im Projekt die Verwendung von Naturmaterialien und zirkulären Baustoffen angestrebt?
Wie erwähnt, war schon im Wettbewerb klar, dass unser Projekt ein Holzbau sein muss. In der Folge galt es, bei der Bauherrschaft die gängigen Vorurteile über den Baustoff bezüglich Akustik und Raumklima auszuräumen.
Entsprechend der Konstruktionsart erfolgte die Planung von Anfang an im 3D-Model, das später auch für die Vorfabrikation dienlich war.
Dachterrassen bieten einen schönen Blick über St.Gallen und die hügelige Umgebung der Ostschweizer Stadt. (Foto: Daisuke Hirabayashi)
Welche Überlegungen stecken hinter der Entscheidung für die eingesetzten Materialien?
Seiner konstruktiven Logik und der Nutzungsanordnung folgend, ist das Gebäude als orthogonales Volumen ausgebildet. Bei den gegebenen Dimensionen entstehen ideale Spannweiten für einen weitgehend stützenfreien Holzbau.
Die innere Struktur findet ihr Abbild im architektonischen Ausdruck. Die feingliedrige Fassade ist mit dünnwandigen Glasfaserzementplatten verkleidet. Einerseits soll sich das Gebäude in das von mineralischen Fassaden geprägte Geviert einschreiben, andererseits soll der vorgefertigte Leichtbau auch in der Fassade seinen Ausdruck finden. So wird die konstruktive Logik des Fügens auf die Fassade übertragen. Die rationale vorgefertigte Bauweise erlaubte aber nicht nur eine wohlproportionierte, tektonische Gestalt des Baukörpers, sondern auch ein äusserst effizientes Bauen mit einer kleinen Bauplatzinstallation.
Ist es denn überhaupt möglich, mit gutem Gewissen Architekt zu sein, ohne das Soziale im Auge zu haben und einen nachhaltigen Umgang mit dem Baumaterial zu pflegen?
Situation (© Harry Gugger Studio)
Grundriss Erdgeschoss (© Harry Gugger Studio)
Grundriss 1. Obergeschoss (© Harry Gugger Studio)
Grundriss 3. Obergeschoss (© Harry Gugger Studio)
Grundriss 6. Obergeschoss (© Harry Gugger Studio)
Schnitt A (© Harry Gugger Studio)
Schnitt B (© Harry Gugger Studio)
Hauptsitz Medisuisse
Standort
Frongartenstrasse 9, 9001 St.Gallen
Nutzung
Bürobau
Bauherrschaft
Ausgleichkasse Medisuisse, St.Gallen
Architektur
Harry Gugger Studio, Basel
Harry Gugger, Harald Schmidt (projektverantwortlich), Gonzalo Ampudia (projektverantwortlich), Thomas Domenger und Michael Zink
Fachplaner
Tragwerk: MWV Ingenieure AG
Holzbauplanung: ERNE AG Holzbau
Elektroplanung: IBG B. Graf AG Engineering
HLKS-Planung: 3-Plan Haustechnick AG
Brandschutzplanung: Josef Kolb AG
Bauphysik- und Akustikplanung: Gerevini Ingenieurbüro AG
Verkehrsplanung: Gruner Wepf AG
Geologe: FS Geotechnik
Bauleitung
Gemperli Stauffacher Architekten, St.Gallen
Fertigstellung
2022
Gesamtkosten BKP 1–9
CHF 13.8 Mio.
Gebäudekosten BKP 2
CHF 12.6 Mio.
Gebäudevolumen
10'360 m3 (gemäss SIA 416)
Kubikmeterpreis BKP 2
1346 CHF/m3
Energiestandard
Das Projekt ist in nachhaltiger Bauweise erstellt und orientiert sich an den Kriterien des neuen Standards Nachhaltiges Bauen Schweiz (SNBS).
Fotos
Daisuke Hirabayashi, Basel
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