Verborgenes Potenzial

C.F. Møller | 18. April 2025
Eingebettet in eine schöne Parklandschaft, steht der modernisierte Bestandsbau direkt am Zürichsee. Die neue Fassadengestaltung stärkt den Bezug zwischen Innen- und Außenraum wesentlich. (Foto: © C.F. Møller Architects/Mark Hadden)
Herr Hasløv, Herr Weyer, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Thue Borgen Hasløv: Die große Herausforderung bestand darin, ein ikonisches, aber leider technisch veraltetes Bürogebäude aus den 1970er-Jahren zu modernisieren und umzugestalten. Unser Ziel war es, eine moderne, attraktive Arbeitswelt zu schaffen, in der sich die Menschen wohlfühlen. Um das zu erreichen, haben wir eine Photovoltaik-Anlage in die Fassade integriert und die Energieeffizienz stark verbessert. Außerdem legten wir Gärten auf den zahlreichen Dachterrassen an, die durch die Rücksprünge des Gebäudes entstehen – das erhöht die Aufenthaltsqualität deutlich.

Aus unserer Sicht ist das Projekt ein hervorragendes Beispiel dafür, wie Vorhandenes innovativ und kreativ weitergenutzt werden kann – ein Ansatz, der heute, in Zeiten der Klimakrise und der Ressourcenknappheit, weltweit gefragt ist. 

Das Erdgeschoss öffnet sich zur Parklandschaft vor dem Gebäude und am Seeufer. (Foto: © C.F. Møller Architects/Mark Hadden)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?


Julian Weyer: Inspiriert haben uns die einzigartige Lage des Bestandsbaus direkt am Zürichsee und seine markante Volumetrie. Obwohl das Gebäude ideal zum See ausgerichtet ist, aufwendig terrassiert wurde und eine Glasfassade besitzt, bot es doch überraschend wenig Aufenthaltsqualität. Statt sich zur Umgebung zu öffnen, zeigte es sich die meiste Zeit verschlossen: An sonnigen Tagen mussten die Sonnenschutzrollos stets geschlossen werden, um eine Überhitzung der Büros zu vermeiden. Genau hier setzten wir an: Wir machten die Offenheit zum zentralen Entwurfsthema. Uns war wichtig, eine transparente Architektur zu schaffen, die stärkere Blickbeziehungen ermöglicht und durch vielfältige grüne Oasen rund um und auf dem Gebäude eine harmonische Verbindung zur außergewöhnlichen Umgebung herstellt. 

Der Bestandsbau springt immer wieder zurück. Die Dachterrassen wurden zu Gärten für die Nutzenden gestaltet. (Foto: © C.F. Møller Architects/Mark Hadden)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?


Thue Borgen Hasløv: Nach der Fassadenrenovierung, bei der Solarpaneelen in die Gebäudehülle integriert wurden, erscheint das Gebäude jetzt offen: An heißen Sommertagen spenden die auskragenden Photovoltaik-Elemente genug Schatten, damit sich die Innenräume nicht unangenehm aufheizen, und die alten Rollos konnten entfernt werden. 

Die leicht getönten Solarpaneele sind auf einer dreieckigen Stahlkonstruktion installiert, die sich auf jeder Etage entlang der Fassade zieht – ein Design, das die Ästhetik und die Farben der 1970er-Jahre aufgreift und weiterentwickelt. Auf diese Weise werden Bezüge zu den bekannten Nachbarbauten wie Le Corbusiers Kunstpavillon aus dem Jahr 1967 und Justus Dahindens futuristischer Pyramide aus demselben Jahr herstellt.

Die auskragenden Photovoltaik-Module spenden Schatten und schützen die Innenräume vor direkter Sonneneinstrahlung. (Foto: © C.F. Møller Architects/Mark Hadden)
Welche besonderen Anforderungen wurden gestellt und wie trugen Sie diesen Rechnung?


Julian Weyer: Unsere Aufgabe bestand nicht nur darin, das Haus energetisch und technisch zu sanieren. Wichtig war vielmehr auch, mehr Tageslicht ins Innere zu bringen und so eine attraktivere Arbeitsumgebung mit starkem Bezug zur Umgebung zu schaffen. 

Die Büroflächen werden von verschiedenen Mietern genutzt. Um Austausch, Wissenstransfer und Gemeinschaftsgefühl zu stärken, haben wir ein neues Atrium mit eingestellter Spiraltreppe gestaltet, das alle Ebenen miteinander verbindet. Weil der außenliegende Sonnenschutz mit der Umgestaltung der Fassade entfernt werden konnte, blicken die Nutzenden nun von ihren Schreibtischen ungehindert ins Grüne und auf den Zürichsee. Zusätzlich erhöht wird die Aufenthaltsqualität durch die begrünten und begehbaren Dachterrassen.

Das neue Atrium schafft eine soziale Begegnungszone mit visueller Verbindung zum See, zum Park und zu den Nachbargebäude. (Foto: © C.F. Møller Architects/Mark Hadden)
Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?


Thue Borgen Hasløv: Das Grundkonzept und das Volumen des Projekts wurden nicht verändert, aber der Entwurf wurde in einigen Bereichen weiterentwickelt. Um die Fläche der Photovoltaik-Paneele und die Tiefe des Flügels in Bezug auf die Optimierung der passiven Abschirmung der Fassade und die Anzahl der Photovoltaik-Zellen zu qualifizieren, haben wir mit Ingenieuren interdisziplinär zusammengearbeitet. 

Auch der endgültige Ausdruck der Fassade wurde im Laufe des Prozesses verfeinert. Beispielsweise legten wir die Farbigkeit der Gebäudehülle endgültig fest: Die Festverglasung erhielt einen grünlichen Farbton, für Fensterrahmen und Vordächer wählten wir einen Champagnerton. Diese Entscheidungen haben wir getroffen, um das Gebäude bestmöglich an seine Umgebung anzupassen.

Inwiefern schonen Sie mit Ihrem Umbau Ressourcen?


Julian Weyer: Wir haben die Bestandsstruktur nahezu vollständig erhalten: 86 Prozent der vorhandenen Betonkonstruktion nutzen wir weiter. So konnten wir verglichen mit einem Ersatzneubau einen Großteil der CO2-Emissionen einsparen.

Bei der Auswahl der neuen Materialien und Oberflächen lag unser Fokus auf regionalen Werkstoffen. Insbesondere haben wir darauf geachtet, dass alle Bauprodukte nachhaltig produziert und gesundheitlich unbedenklich sind. So haben wir in den sozialen Fließzonen Vert de Glacier verwendet, einen Schweizer Naturstein, und die Solarzellen der neuen Fassade wurden in Deitingen umweltfreundlich produziert. 

Warum haben Sie sich für die eingesetzten Materialien entschieden?


Thue Borgen Hasløv: Sowohl im Innen- als auch im Außenraum haben wir uns ausschließlich für langlebige und zeitlose Materialien und Produkte entschieden. Hinsichtlich der Materialien für das Gebäudeinnere orientierten wir uns am Bestand: In den 1970er-Jahren wurden Holzverkleidungen, Natursteinböden und akustische Metalldecken eingebaut. Das haben wir aufgegriffen, die alten Oberflächen jedoch neu interpretiert und uns für etwas hellere, modernere Varianten entschieden. Unser Ziel war es, eine elegante Farbpalette für die Innenräume zu entwickeln, damit diese als Einheit wirken, auch wenn die Büros von verschiedenen Mietern genutzt werden.

Vor dem Umbau (links) mussten an schönen Tagen die Sonnenschutzrollos geschlossen werden und der Bau wirkte trotz seiner Glasfassade verschlossen. Dank der neuen Fassadengestaltung (rechts) tritt er jetzt als transparenter Pavillon in Erscheinung. (Foto vorher: © Goran Potkonjak, Foto nachher: © Mark Hadden)
Inwiefern beschäftigten Sie sich im Büro mit der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit?


Julian Weyer: Die Vision unseres Büros C.F. Møller Architects ist es, ein besseres Leben für die Menschen und den Planeten zu ermöglichen. Wenn wir architektonische Lösungen entwickeln, denken wir verschiedene Aspekte der Nachhaltigkeit von Anfang an mit, um einen Mehrwert für den Auftraggeber, die Nutzenden und die Gesellschaft zu schaffen. Wir betrachten einzelne Maßnahmen, die jeweils bestimmte Nachhaltigkeitsziele erfüllen, um dann eine ganzheitliche architektonische Vision zu entwickeln, die alle Einzelaspekte zu einem großen Ganzen verbinden. Dabei hilft uns ein Arsenal speziell entwickelter parametrischer Werkzeuge: Ihre Analysedaten unterstützen und bei der Optimierung der Ökobilanz, bei der Maximierung der Tageslichtnutzung, beim Erzeugen eines gesunden Mikroklimas und beim Schutz der Biodiversität.

Die Nachhaltigkeit war auch beim Umbau an der Bellerivestrasse 36 das übergeordnete Thema. Das begann schon mit der Entscheidung, den Bestandsbau zu erhalten und umzubauen. Hinzu kamen der Aufbau einer eigenen grünen Energieerzeugung und das Pflanzen zusätzlichen Grüns an und um das Gebäude. Wir konnten die harten Dachterrassen in begrünte Flächen umgewandelt und so an den Park anbinden, dass das abfließende Regenwasser in den Boden gelangt und dort im Sinne der Biodiversität Pflanzen und Mikroorganismen zur Verfügung steht. Auch die Zertifizierungen des Baus und die LCA-Bilanzierung der verwendeten Baumaterialien, also ihre Ökobilanzierung mit Lebenszyklusanalyse, sind hier zu erwähnen. Und schließlich hat Nachhaltigkeit nicht nur einen ökologischen, sondern auch einen sozialen Aspekt. Darum war es uns wichtig, die Aufenthaltsqualität in den Büros wesentlich zu erhöhen.

All diese Ziele mussten zwischen der Bauherrschaft, den Fachplanern und uns Architekten sorgfältig abgestimmt werden. Dabei haben wir die Leitung übernommen und alle Nachhaltigkeitsbemühungen koordiniert.

Situation (© C.F. Møller Architects)
Grundriss Erdgeschoss (© C.F. Møller Architects)
Grundriss 1. Obergeschoss (© C.F. Møller Architects)
Schnitt (© C.F. Møller Architects)
Bellerivestrasse 36
2024
Bellerivestrasse 36
8008 Zürich, Kanton Zürich, Schweiz
 
Nutzung
Bürobau für mehrere Parteien mit öffentlichem Restaurant
 
Vergabe
Wettbewerb 2019, 1. Preis
 
Bauherrschaft
Allreal Generalunternehmung AG, Opfikon
 
Architektur
C.F. Møller Architects, Kopenhagen
 
Fachplaner
Haustechnikplanung: PZM AG, Zürich
Elektroplanung: IBG Engineering AG, St.Gallen
Fassadenplanung: Emmer Pfenninger Partner AG, Münchenstein
Statik: Gruner Wepf AG, Zürich
Landschaftsarchitektur: Uniola AG, Zürich
 
Bauleitung
Burckhardt Architektur AG, Zürich
Allreal AG, Opfikon
 
Energiestandard
Minergie, LEED-Platinum-Zertifizierung (Core and Shell)
 
Bruttogeschossfläche
12'000 m² (ü.i), 27'000 m² (gesamt)
 
Gebäudevolumen
93'951 m³
 
Auszeichnung
Gewinner des European Green Award 2024
 
Fotos
Mark Hadden

Verwandte Artikel