Wohnen im Bürohaus

Züst Gübeli Gambetti Architektur und Städtebau | 9. Mai 2025
Blick in die Eingangshalle: Die 1980er-Jahre-Architektur wurde zur Inspiration. (Foto: © Roger Frei)
Herr Züst, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Bei Umbauprojekten sind dem Bestand stets schon die Potenziale und Themen für den Entwurf eingeschrieben – es kommt darauf an, sie zu erkennen, herauszuschälen und zu schärfen. In diesem Fall besaß das vorhandene Bürogebäude zwar eine rigide Struktur, doch trotz seiner »Massigkeit« und Tiefe war es aufgrund seiner Ost-West-Ausrichtung und seiner beiden Erschließungskerne gut geeignet, Wohnungen aufzunehmen. Dabei waren die Raumhöhen von bis zu 2.80 Metern natürlich ein Plus. Wichtig war zudem, dass sich der Ort für eine Umnutzung eignet und dort eine Nachfrage für ein so außergewöhnliches Wohnhaus besteht.

Wir haben versucht, möglichst viel vom Bestand zu erhalten und zu recyceln. Unsere Eingriffe sind nur sehr punktuell. Dank unseren einfachen Maßnahmen und den eingestellten Raumboxen vom Schreiner sind die Bewohnenden selbst »Herr über den Raum«: Sie können ihn weiter unterteilen und in der Box sowie ringsherum in unterschiedliche Atmosphären eintauchen. 

Wohnräume, die die Spuren ihrer Büro-Vergangenheit noch in sich tragen. (Foto: © Roger Frei)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?


Das Gebäude selbst war zu Beginn noch wenig inspirierend: Es versprühte einen spröden 1980er-Jahre-Charme. Beim Entwurf ging es darum, diesen mit besonderen Nutzungen, Eigenschaften und Stimmungen anzureichern. Das haben wir erreicht, indem wir Nutzungen wie eine »Waschkapelle« im Erdgeschoss, eine nicht determinierte Eingangshalle mit Gemeinschaftsküche oder eine für alle Bewohnerinnen und Bewohner zugängliche Dachterrasse hinzufügten. Diese Gemeinschaftsräume sollen sozial wirksam sein und der Vereinzelung der Singlehaushalte entgegenwirken.

Die Räume haben zudem eine atmosphärische Aufladung erfahren: Wir haben ihre Sprödheit bewusst überzeichnet, indem wir neue Gussasphalt-Böden einbrachten, die Decken roh beließen oder Elektrokabel aus Stoff skulptural auf Putz führten. Auch die Umdeutung des Vorhandenen war für uns ein wichtiges gestalterisches Mittel: Wir haben die Fensterbretter der Bandfenster der früheren Büros zu langen Arbeitstischen umfunktioniert und ihnen so eine neue Aufgabe mit Mehrwert für die Bewohnenden zugewiesen. Kurzum, wir wollten vom Büro-Bestand inspiriert mit einfachen Mitteln haptisch wie visuell neue, sinnliche und funktionale Qualitäten erzeugen. 

Die multifunktionalen Ateliers verfügen über eigene direkte Zugänge von außen. (Foto: © Roger Frei)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?


Leutschenbach und speziell die direkte Gebäudeumgebung befinden sich seit längerem in einem Transformationsprozess vom monofunktionalen zum gemischten Quartier. Direkte Nachbarn sind die beiden The Metropolitans-Wohntürme und der Leutschenbach-Park. Dank dieses Umfelds war das Erdgeschoss geradezu prädestiniert für eine neue Nutzung mit kleinteiligen Ateliers, in denen man wohnen, arbeiten, verkaufen oder alles gleichzeitig machen kann. Sie haben jeweils einen eigenen Zugang von außen. 

Auch die Außenraumgestaltung trägt dazu bei, den öffentlichen Raum zu beleben. Die ersten Mieter haben ihn bereits mit ihrem Mobiliar in Beschlag genommen. Als Ergänzung zu den Wohn- und Ateliernutzungen sind in den beiden Stirnseiten zu den Straßen vier Gewerberäume angesiedelt. Anstelle eines abends »toten« Bürogebäudes findet so zu allen Tages- und Nachtzeiten eine Belebung des öffentlichen Raums statt – ein Mehrwert fürs Quartier.

Schreinermöbel bieten ein reiches Innenleben und eine geschützte Warte, um den öffentlichen Raum zu kolonialisieren. (Foto: © Roger Frei)
Welche besonderen Anforderungen wurden gestellt und wie trugen Sie diesen Rechnung?


Die Bauherrschaft wollte nur eine geringe Eingriffstiefe. Möglichst viel sollte bleiben, wie es war. Pragmatismus und Angemessenheit waren unsere Schlagworte. Es galt möglichst wenig Neues – und dies nur in Leichtbauweise – hinzuzufügen sowie »einfache« Materialien zu verwenden. Der Bestand und das Vorhandene bestimmen die Architektur, die 110 Wohnlofts und Ateliers sind deshalb individuell »as found« gestaltet.

Materialien mit unterschiedlichem Charakter fügen sich zu einem nuancierten Raumeindruck. (Foto: © Roger Frei)
Blick in die »Waschkapelle« – die diversen Gemeinschaftszonen sollen auch der Vereinzelung entgegenwirken. (Foto: © Roger Frei)
Die Atmosphäre wurde mit einfachen Mitteln aufgeladen. (Foto: © Roger Frei)
Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?


Tatsächlich hat das Projekt eine lange Geschichte hinter sich, während der wir uns intensiv mit dem Gebäude und seiner Struktur auseinandergesetzt haben. Zum Projektstart 2019 war das Haus eine Multi-Tennant-Liegenschaft, später hat es der Bauherr den anderen Beteiligten abgekauft. Entsprechend haben wir über die Jahre unzählige Szenarien durchgespielt: von der Mischnutzung mit Wohnungen und Büros über eine Ergänzung als Seniorenresidenz oder gar die Option eines Ersatzneubaus bis hin zur schlussendlich umgesetzten Wohnnutzung mit möglichst geringer Eingriffstiefe. Dahinter standen immer dieselben Grundsatzfragen: Was leistet das Gebäude? Was braucht der Markt?

Inwiefern haben Sie die Kreislauffähigkeit des Projekts mitgedacht?


Wir haben immer für einen Erhalt des Gebäudes plädiert und uns gegen einen Ersatzneubau ausgesprochen. Das Bürogebäude stammt aus den 1980er-Jahren, ist also noch jung: Wir wollten seine Lebensdauer verlängern – mit neuen oder anderen Nutzungen. Auch wenn das Äußere vielleicht nicht dem heutigen Geschmack entspricht, haben wir Fassade und Sonnenschutz beibehalten und nur einzelne Elemente in neuen Farben gespritzt oder sie ersetzt. Die Gebäudehülle wurde also ebenfalls komplett erhalten.

Verlängerung der Lebensdauer – auch die Hülle des Büroriesen aus den 1980er-Jahren wurde komplett erhalten. (Foto: © Roger Frei)
Warum haben Sie sich für die eingesetzten Materialien entschieden?


Wir wollten Materialien mit speziellen Qualitäten, mit Charakter. Materialien und Details sollten im Kontrast zum spröden Charme des Gebäudes eine gewisse Anmutung oder »Weichheit« aufweisen. Darum durften es teils auch ungewöhnliche Farben und Baustoffe sein, wie etwa der schwarze Gussasphalt-Boden, der zugleich den Schall gut absorbiert. Die Ausbringung dieses Materials ist noch ein echtes Handwerk: Der Asphalt kann nicht einfach mit einem großen Schlauch hineingegossen werden. Stattdessen wird er in kleinen Kübeln antransportiert und von Hand ausgestrichen. Möglich war dies, weil wir die bestehenden Heizkörper übernehmen konnten und keine Fußbodenheizung integrieren mussten.

In den Lofts nuancieren die spiegelnden Böden, die Haptik der OSB-Spanplatten-Boxen und der Küchen mit Edelstahlabdeckung, die Linoleumabdeckungen der Fensterbretter sowie die »Stoffkabel-Spinnen« den Raumeindruck. In den Nasszellen kamen hochwertige blaugrüne Fließen und schwarze Armaturen zum Einsatz. So fügen sich viele kleine, aufeinander abgestimmte Details zu einem neuen Ganzen.

Schwarzplan (© Züst Gübeli Gambetti)
Grundriss Erdgeschoss (© Züst Gübeli Gambetti)
Grundriss Regelgeschoss (© Züst Gübeli Gambetti)
Schnitt (© Züst Gübeli Gambetti)
Umnutzung Bürogebäude »The Brick 80«
2024
Schärenmoosstrasse 80 
8052 Zürich, Kanton Zürich, Schweiz
 
Nutzung
Wohn- und Geschäftshaus
 
Vergabe
Direktauftrag
 
Bauherrschaft
Bauherrenvertretung: Wincasa AG, Winterthur
 
Architektur
Züst Gübeli Gambetti Architektur und Städtebau AG, Zürich
Sarah Maria Lechner, Gonçalo Magalhães, Martin Wenger, Felix Simons und Lea Nussbaumer
 
Fachplaner
Statik: K2S Bauingenieure AG, Wallisellen
Bauphysik: Michael Wichser + Partner AG, Dübendorf
Elektroplanung und HLKS: 3-Plan Haustechnik AG, Winterthur
Brandschutz: SafeT Swiss AG, Glattpark
Baumanagement: befair partners AG, Zürich
 
Kunst am Bau
Farbkonzept Fassade in Zusammenarbeit mit Thomas Rutherfoord, Winterthur
 
Ausführende Firmen
Schreinerarbeiten: Walter Bochsler AG, Urdorf
 
Energiestandard 
Minergie-P (PV-Anlage auf Dach, 30 E-Ladestationen)
 
Bruttogeschossfläche
14'638 m² oberirdisch und 7630 m² unterirdisch
 
Gebäudevolumen
49'320 m³
 
Fotos
Roger Frei, Zürich

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