Arbeit am Kulturwandel
Zuweilen führen gesellschaftliche Debatten in eine Sackgasse: Statt Lösungen zu suchen, werden endlos Probleme gewälzt. Umso wertvoller war die zielgerichtete Podiumsdiskussion, zu der HPP Architekten im Rahmen des Women in Architecture-Festivals einluden.
Wehklagen mag sich kurzfristig gut anfühlen. Doch Veränderung gelingt nur mit handfesten Vorschlägen. Darum organisierten HPP Architekten zum Women in Architecture-Festival eine kritische und dabei sehr lösungsorientierte Podiumsdiskussion. Monica Schulte Strathaus, Managing Partner bei Ernst & Young Real Estate, und die Anwältin Simona Liauw, Partnerin bei der Kanzlei Kapellmann und Partner, erklärten, wie sie Führungsverantwortung übernehmen und gleichzeitig ein glückliches Familienleben führen. Sie diskutierten mit der Architektin Gesine Appel, Partnerin bei baut architektur, und ihrem schwedischen Kollegen Fredrik Larsson, Direktor des Stuttgarter Studios von White Architekter, sowie der Chemikerin und Marketingspezialistin Vanessa Papp, Brand Director der Kosmetikmarke Lancôme, warum nur wenige Architektinnen in Führungspositionen aufsteigen. Eine Situation übrigens, die Papp aus ihrer Branche kennt: Zwar hat sie viele Kolleginnen, doch in der Führung ist sie fast allein unter Männern. Der gelungene Abend zeigte, was sich in Zukunft ändern muss: Oft verhindern überkommene Glaubenssätze mehr Vielfalt in den Führungsetagen.
Monica Schulte Strathaus und Simona Liauw meistern Führungsaufgaben und Erziehung gemeinsam mit ihren Partnern. Beide Männer reduzierten ihre Arbeitspensen, um einen großen Teil der Hausarbeit und Kinderbetreuung zu übernehmen. Das Familienleben klappt so gut, doch einfach war es für beide Paare nicht: Die vermeintlichen »Karrierefrauen« mussten genauso abfällige Kommentare ertragen wie ihre Männer, die von Fremden auf dem Spielplatz zu hören bekamen, ein Kind gehöre zur Mutter. Monica Schulte Strathaus und Simona Liauw widerlegen die gerade in Deutschland noch verbreitete Vorstellung, Kleinkinder unter drei Jahren müssten unbedingt von der Mutter umsorgt werden. Doch auch andere verkürzte Sichtweisen sind falsch – etwa, die umfassenden Betreuungsangebote der DDR als progressiv zu verklären, wie es zurzeit häufig geschieht. Cornelia Zuschke, die aus Ostdeutschland stammt und Düsseldorfs Dezernat für Planen, Bauen, Wohnen und Grundstückswesen leitet, stellte klar, dass das SED-Regime Frauen als Arbeitskräfte dringend brauchte. Traditionelle Rollenbilder blieben trotzdem erhalten: Die Care-Arbeit mussten die ostdeutschen Frauen zusätzlich zur Werktätigkeit meistens allein erledigen.
Um trotz ihrer verantwortungsvollen Jobs für ihre Kinder da zu sein, müssen Monica Schulte Strathaus und Simona Liauw klare Grenzen setzen. Doch davor muss sich niemand fürchten: Wenn ein Kindergeburtstag gefeiert wird und sie deswegen zeitweilig nicht erreichbar ist, kündigt Simona Liauw das ihren Klientinnen und Kollegen offen an – ohne Ausflüchte und ohne schlechtes Gewissen. Das Ergebnis der transparenten Kommunikation: Verständnis und Rücksichtnahme.
Simona Liauw arbeitet nicht Vollzeit. Der Glaubenssatz, gute Chefinnen und Chefs müssten immer verfügbar sein, ist verkehrt – und er ist auch gar nicht mehr zeitgemäß: Die Mehrheit der jungen Frauen – und Männer – wollen ihre Zeit nicht nur der Arbeit widmen. Sie nehmen aus den verschiedensten Gründen keine Vollzeitstellen an, sei es, um Zeit für die Kindererziehung zu haben oder schlicht um das Lieblingshobby zu pflegen.
Wir müssen aus dem Kopf bekommen, dass Teilzeitarbeit Unzuverlässigkeit bedeutet: Dank guter Planung und verlässlicher Kommunikation merken Simona Liauws Klienten gar nicht, dass sie kein 100-Prozent-Pensum hat. Renato Turri, der das Podium zusammen mit HPP-Geschäftsführerin Claudia Berger-Koch moderierte, schlug vor, Teilzeitarbeit in Zukunft weniger starr zu denken: Jahresarbeitszeitmodelle könnten Menschen ermöglichen, Beruf und Privatleben individueller aufeinander abzustimmen. In Architekturbüros, warf Gesine Appel ein, erfordere diese Flexibilität allerdings eine neue Arbeitskultur: Die Akzeptanz geteilter Autorenschaft und Verantwortung muss noch wachsen.
Überraschend einig war sich das Podium darin, dass viele Frauen noch lernen müssen, sich mit gesundem Selbstbewusstsein und überzeugender Selbstsicherheit zu präsentieren: Das verhängnisvolle Wörtchen »nur« sollte tabu sein, wenn über die eigenen Leistungen gesprochen wird. Auch ist es verkehrt, darauf zu warten, dass Talent und Einsatz von selbst gesehen und gewürdigt werden. Oft bestimmen nicht die Leistungen über den Erfolg, sondern die Fähigkeit, seine Interessen zu vertreten.
Auf dem Weg in Führungspositionen helfen Mentorinnen und Mentoren. Dabei sind auch die Männer gefragt. Denn unter Frauen herrsche, gab Fredrik Larsson zu bedenken, mitunter ein harter Konkurrenzkampf. Einen guten Kommentar verfasste kürzlich Sigrid Brell-Cokcan auf LinkedIn. Zu einem Förderprogramm des Bundesministeriums für Forschung, Technologie und Raumfahrt, das die Sichtbarkeit von Forscherinnen verbessern soll, schrieb die Architekturprofessorin der RWTH Aachen: »Diskriminierung ist mir auch persönlich in allen Karrierestufen bekannt. Die Frage ist generell, wie kann ›Erfolg gegönnt werden‹! Aus meiner Sicht müssen eher Männer gefördert werden, die Frauen Erfolg gönnen können, bzw. Maßnahmen ergreifen, die Frauen den Erfolg ermöglichen!«
Bei allem Einsatz für mehr Diversität in der Arbeitswelt müssen wir jedoch unterschiedliche Wünsche und Ideale respektieren. Manche Familien möchten eine traditionelle Rollenverteilung leben, manche Paare teilen sich die Care-Arbeit und vereinen Elternschaft und Karriere, wieder andere wollen keine Kinder. Manche Menschen streben nach Führungspositionen, andere – Frauen wie Männer – haben keinerlei Interesse daran. Niemand sollte sich für seinen Lebensentwurf oder seine Karriereziele rechtfertigen müssen. Wichtig ist, dass sich Familien- und Berufsleben nach der eigenen Façon gestalten lassen. Dazu können Architekturbüros beitragen. Und mancherorts ist auch die Politik gefragt. Etwa in der Schweiz, wo ein Steuersystem ohne Individualbesteuerung und extrem teure Betreuungsangebote eine altmodische Rollenaufteilung aufzwingen.