Hindernisse sind Möglichkeiten

Elias Baumgarten | 31. Januar 2025
Foto: © Roman Keller

Baugesetze regeln, was und wie gebaut werden darf. Sie schützen unsere Gesundheit, sorgen für Sicherheit und bewahren das Stadtbild. Doch manchmal sind die Bestimmungen so streng, dass sie das Bauen sehr erschweren und die Arbeit von Architektinnen und Architekten verkomplizieren. Diese Erfahrung machten auch Thomas Hildebrand und sein Team: Die Architekten erhielten den Auftrag, ein Wohnhaus an der Zürcherstrasse in Basel zu bauen, einer wichtigen Verkehrsachse, über die der Durchgangsverkehr rollt und das Tram rattert. Der Ersatzneubau sollte eine nur knapp über acht Meter breite Lücke im Blockrand zwischen zwei unmittelbar anschließenden Nachbarhäusern füllen. Wegen der hohen Lärmbelastung durften an seiner sonnigen Straßenfassade keine Wohnräume angeordnet werden. Würde man sie jedoch deswegen an der Gebäuderückseite einrichten, blickten sie zwar auf einen ruhigen Hinterhof mit Garten, bekämen aber, nach Norden ausgerichtet, nie direktes Sonnenlicht ab.

Erker-Treppe

Die Zürcher Architekten ließen sich von der verzwickten Situation nicht beirren. Sie setzten sich intensiv mit den Basler Bauregeln auseinander und fanden in ihnen schließlich den Schlüssel zu einer maßgeschneiderten Lösung: Weil das Baugesetz Erker und Balkone erlaubt, entwarfen sie ein offenes Treppenhaus, das etwas über die Baulinie hinausgeschoben ist. Die Metallkonstruktion ragt oberhalb des Erdgeschosses über den Gehsteig. Links und rechts entstehen zwei stimmungsvolle, sonnenbeschienene Nischen. Die eine bildet den Eingang zur Wohnung, die andere kann als heller Arbeitsplatz genutzt werden. Eine pfiffige Lösung: Eine Pufferschicht schützt so vor dem Straßenlärm, und gleichzeitig können die Bewohner die schöne Lichtsituation auf der Südseite doch genießen.

Das Baugesetz erlaubt, dass an der Zürcherstrasse Erker und Balkone auf einem Drittel der Fassadenbreite über die Baulinie ragen. (Foto: © Roman Keller)
Die offene Treppenanlage auf der Straßenseite ist aus Metallblechen konstruiert. (Foto: Roman Keller)
Nur ein Raum – oder doch viele?

Im Erdgeschoss sind Atelierräume eingerichtet, in denen demnächst ein Immobilienmakler sein Büro eröffnen wird. Darüber befinden sich vier Studios und eine zweistöckige Attikawohnung, die zu beiden Seiten über Balkone auf zwei Ebenen verfügt. Die Studios bestehen jeweils aus einem einzigen Raum ohne Innenwände, der durch einen Kern mit Aufzug und Badezimmer zoniert ist. Obwohl die Wohnungen klein sind – sie messen rund 80 Quadratmeter – bieten sie vielfältige Raumqualitäten, sodass dennoch der Eindruck von Größe und Weitläufigkeit entsteht. Im vorderen Teil der Wohnung, der an den Eingangsbereich und den Arbeitsplatz mit Blick auf die geschäftige Zürcherstrasse anschließt, wird gewohnt und gegessen. Weiter hinten dockt eine Küchenzeile seitlich an den Kern an. Auf der Rückseite der durchgesteckten Wohnung geben große Fenster den Blick in den Hof und auf die Stadt frei. Dieser Bereich ist der ruhigste und eignet sich hervorragend als Schlafzimmer. Von hier tritt man auf einen geräumigen Balkon, der an schönen Tagen zum Lesen und Grillieren einlädt.

Die großen Balkone auf der Nordseite blicken zum grünen Hinterhof und auf die Stadt. (Foto: © Roman Keller)
Holzoberflächen prägen stimmungsvoll die Innenräume. (Foto: Roman Keller)
Haltung baut Rendite

Zur Behaglichkeit der Wohnungen tragen viele Holzoberflächen bei: Oberhalb eines Betonsockels ist das Haus aus dem Naturbaustoff konstruiert. Zwölf massive Holzstützen – sechs auf jeder Seite – tragen die Decken aus Balken und gestapelten Brettern. Sogar der Kern besteht aus Holz. Die Bauherrschaft, die in Pfäffikon am Zürichsee das Immobilienunternehmen 8stogg betreibt, hatte sich aus ökologischen Gründen für diese Bauweise entschieden. Doch bei allem Idealismus ist das Haus für sie auch ein Renditeobjekt, und so sollten die Baukosten niedrig bleiben. Damit die Wirtschaftlichkeit nicht zulasten der Architekturqualität geht, veredelte Thomas Hildebrands Team die Standardküchen mit selbst entworfenen Holzgriffen und gestaltete die kleinen Bäder mit kräftig blauen Fliesen zu schicken Wohlfühlorten. Die Fußböden bestehen aus geschliffenem Anhydrit – eine kostengünstige und verglichen mit herkömmlichem Estrich umweltfreundlichere Lösung. Trotzdem lief nicht alles auf Anhieb glatt: Die Ausführung wurde in die Hände eines Totalunternehmers gelegt, der nicht alle Konstruktionsdetails wie von den Architekten gezeichnet umsetzte. Die Folge sind wenige Schönheitsfehler, die aber bald korrigiert sein werden.

Die zweistöckige Attikawohnung ist zurückgestuft. Für die kleinen Räume entschädigen Balkone auf je zwei Ebenen zu beiden Seiten. (Foto: © Roman Keller)
Schlichte Schönheit

Thomas Hildebrand und die Bauherrschaft verbindet ihre Begeisterung für die japanische Kunst und Kultur: Sie lernten sich in einer japanischen Kunstgalerie kennen. Ihr Holzhaus weckt ästhetisch – also mit seiner Formensprache, den Texturen und den sorgfältig inszenierten Ausblicken – durchaus Erinnerungen an die japanische Architektur. Vor allem aber scheint es für eine andere Wohnkultur und Lebensphilosophie gemacht: Die sehr schlicht, aber behaglich gestalteten Wohnungen eignen sich nicht für Menschen, die einen aufwendigen Lebensstil pflegen und Unmengen an Kleidungsstücken, Sportgeräten und Hausrat besitzen. Wer dagegen in der Einfachheit einen Wert, ja Schönheit erkennt, wie es die Japaner tun, ist in der Zürcherstrasse 91 genau richtig.

Blick auf die Hoffassade (Foto: © HILDEBRAND)
Grundriss 3. Obergeschoss (© HILDEBRAND)
Schnitt (© HILDEBRAND)

Projektinformationen Wohnhaus Woodstogg
 
Standort
Basel, Kanton Basel-Stadt, Schweiz
 
Bauherrschaft
8stogg AG, Pfäffikon
 
Architektur
Hildebrand Studios, Zürich
 
Vergabe
Direktauftrag

Vorgestelltes Projekt 

spektrum

Pflegeheim Du Lac St. Moritz

Verwandte Artikel