Unmittelbar, dringend, ungeduldig: Nachruf auf Elisabeth Langsch

Susanna Koeberle | 27. Juni 2025
Elisabeth Langsch in ihrem Atelier (Foto: © Archiv Elisabeth Langsch)

Zu trinken gab es bei Elisabeth immer »Mäusegift«, so nannte sie das knallrote Getränk, das sie im Coop kaufte. Ihr Vater habe es so genannt, sagte sie mit schelmischer Freude, wenn sie das bittersüß schmeckende »Präparat« servierte. Meist kam auch selbst gemachtes Gebäck auf den Tisch, denn Menschen zu bewirten bereitete ihr bis zuletzt große Freude. Rot war zusammen mit Blau die Lieblingsfarbe der Schweizer Keramikkünstlerin, die am 5. Mai im Alter von 91 Jahren verstarb. Nie sah ich Elisabeth ohne roten Lippenstift, und auch ihre Kleidung war stets bunt und gewagt. Jedes Treffen mit ihr war etwas Besonderes. Die Gespräche, die ich im Rahmen der Arbeit an ihrer ersten, im April erschienenen Monografie mit ihr führen durfte, waren immerzu angeregt. Elisabeth Langsch erzählte gerne traurige und lustige Geschichten aus ihrem bewegten Leben. 

Sprach man sie auf ihre Arbeit als Künstlerin an, konnte sie auch resolut werden. Es schmerzte sie, dass sie lange als Kunstgewerblerin taxiert worden war. Denn Langsch arbeitete ausschließlich mit Ton, einem archaischen Werkstoff, den man – vor allem damals – nicht unbedingt mit Kunst assoziierte. Dies obwohl in den 1950er-Jahren, als sie das keramische Handwerk erlernte, viele Künstler damit arbeiteten. Allerdings waren es eben Männer. Sobald Frauen Hand an das irdene Material legten, wurde Kunstgewerbe, also angewandte Kunst, daraus. Dieser Unterschied kümmerte Langsch wenig. Schon zu Beginn ihrer künstlerischen Karriere war ihr Umgang mit Ton freimütig und unkonventionell. »Sie wiegt nicht ab, wagt aber viel«, schrieb Ludmila Vachtová in ihrem wunderbaren Text »unmittelbar, dringend, ungeduldig«, dem wir – die Herausgeberschaft bestehend aus Mara Tschudi, Sebastian Marbacher und mir – den Titel der Publikation entlehnten.

Elisabeth Langsch bei der Arbeit am Kachelofen mit Bank im Altersheim Regensdorf, 1984, Architektur: Tilla Theus, Zürich (Foto: © Marlen Perez)

1933 in Zollikon geboren und in Ostpreußen aufgewachsen, wusste Elisabeth schon früh, dass sie mit Ton arbeiten wollte. Als junge Frau stand sie bei der Bildhauerin Alice Guggenheim Modell. Mit ihr fuhr sie in eine Keramikfabrik im Tessin, um eine Schale zu brennen. Dort kam sie erstmals mit der faszinierenden Welt der Keramik in Kontakt. Ihr kamen die Handgriffe der Handwerker wie Zauberei vor, erzählte sie. Und das wollte sie auch können, zaubern. Später, als es um ihre Berufswahl ging, schaute sie bei der Keramischen Fachklasse in Bern herein. Dort erkannte sie den Geruch der Tonerde augenblicklich wieder und wusste sofort: Da will ich hin, das will ich lernen. Da Frauen damals nicht an der Scheibe zugelassen waren, schloss sie die Ausbildung als Keramikmalerin ab. Gleich danach wollte sie bei den Besten ihres Fachs weiterlernen. Deswegen klopfte sie, unerschrocken wie sie war, bei Pablo Picasso in Vallauris an. Der brauchte niemanden, also ging es flugs weiter nach Aix-en-Provence zu Georges Jouve, einer Autorität im Bereich moderner Baukeramik. Ein Jahr bei Guerrino Tramonti in Faenza schloss ihre Lehr- und Wanderjahre ab. 1958 eröffnete sie ihre eigene Keramikwerkstatt in Kilchberg. Statt »gediegene Vasen vorsichtig zu drehen» (Vachtová), erkämpfte sie sich ihre künstlerische Autonomie, indem sie einen Sprung in der Maßstäblichkeit vollzog und direkt den Weg in eine räumliche Arbeitsweise einschlug. 

»Schild«, 1985: Diese Arbeit besitzt mit einer Höhe von 70 Zentimetern eine ungewohnte Dimension. (Foto: © Archiv Elisabeth Langsch)

1958 gewann sie mit ihren großformatigen selbstgeformten Kacheln den SAFFA-Preis. Sie machte sich infolgedessen mit Baukeramik einen Namen und konnte bald darauf einige Wandbilder und Wandfriese umsetzen. Dass einige dieser frühen Arbeiten bei Umbauten entfernt wurden, spricht Bände. Dieses Schicksal drohte auch einer großen Wandarbeit, die sie 1964 für den Hauptsitz der Zürcher Kantonalbank realisieren konnte. Mithilfe eines befreundeten Architekten wehrte sich Langsch gegen das Entsorgen der tiefblauen Kacheln und erreichte immerhin, dass diese schließlich in die Tiefgarage der Bank verlegt wurden. Bitterkeit kam trotz solchen Rückschlägen nie auf bei ihr, dafür war Elisabeth zu positiv eingestellt dem Leben gegenüber. Sie war dankbar für alles, auch dafür, dass ihr Werk spät mit einem Buch geehrt wurde. 

Sie ließ unserem Team freie Hand und war auch augenblicklich von der spielerisch-gewagten grafischen Umsetzung der Grafikdesignerin Naima Schalcher begeistert. Sie hatte großen Respekt vor kreativer Arbeit und wusste aus eigener Erfahrung, dass Vertrauen die beste Voraussetzung für Kollaboration ist. Dass gerade jüngere Menschen einen Zugang zu ihr als Person und ihrem Werk fanden, ist bezeichnend. Der Kontakt zur Künstlerin kam zustande, als Sebastian Marbacher im Rahmen einer Ausstellung ein Werk von Langsch in der Sammlung des Museums für Gestaltung Zürich entdeckte. Von dem ungewöhnlichen Stuhlentwurf – der streng genommen kein Stuhl ist, sondern ein Thron – sogleich angetan, kontaktierte Marbacher Langsch und wurde von ihr zum Kaffee eingeladen. Daraus entwickelte sich eine Freundschaft.

Eine von Elisabeth Langschs »Sedia«-Arbeiten, die in den 1970er-Jahren entstanden. (Foto: © Wulf Brackrock)

Mit der Serie »Sedia« gab Langsch ihrem Wunsch Ausdruck, einen Platz in der Kunstwelt zu erhalten. Oder besser gesagt: Sie beanspruchte diesen Platz damit. So war Elisabeth Langsch: Gefühle ließ sie nicht lange sitzen, vielmehr handelte sie und setzte um. Sie nahm sich dabei die künstlerische Freiheit, planlos und intuitiv zu arbeiten. Doch zugleich war sie eine aufmerksame Beobachterin, die sich in den jeweiligen Kontext einfühlen konnte. Das war auch bei ihrer letzten Arbeit im öffentlichen Raum der Fall. Sie gewann für die Gestaltung der Terrasse an der Unitobler in Bern einen Wettbewerb, zu dem elf internationale Kunstschaffende eingeladen worden waren. Die sieben Musen, für die sie zwanzig Tonnen Ton verarbeitete, stehen bis heute dort. Mitautor Benedikt Loderer und ein Freund von Langsch lobt in seinem Beitrag, wie sie mit plastischen Mitteln in einem Hof eine räumliche Grenze gezogen habe. Damit schuf sie einen städtischen Raum, ohne ihn vollzustellen. Räume schaffen konnte sie auch ohne Kunst. Atmosphären des Willkommenseins etwa in ihrem letzten Zuhause im Seefeld. Nicht nur ihr Ofen, den sie nach dem Auflösen ihres Ateliers an die Werkstattschule im Ballenberg verschenkte, brennt weiter. Auch ihre Großzügigkeit und ihre Schaffenskraft werden den Himmel über und in uns stets mit Farbe füllen.

Der Kachelofen mit Bank zeigt exemplarisch das Dilemma der Einordnung von Elisabeth Langschs Schaffen. Der Ofen ist ein Gebrauchsobjekt und zugleich Kunst am Bau. (Foto: © Heinrich Helfenstein)

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