Effiziente Planung in Holz

Nele Rickmann
28. November 2024
Die Holzhäuser der Siedlung Waldacker mit dem Tröckneturm im Hintergrund (Foto: Ladina Bischof)

Erst seit 2020 für die Einwohnerinnen und Einwohner von St.Gallen wieder zugänglich, bildet das Burgweiher-Areal gegenwärtig den grössten innerstädtischen Grünraum der Stadt. Auf ihm befindet sich der historische Tröckneturm von 1828, der als eines der Wahrzeichen von St.Gallen an die lang zurückreichende Textilgeschichte der Region erinnert. Geht man auf dem Gelände spazieren und folgt dem Weg an der Maria-Einsiedeln-Kapelle vorbei, erreicht man bald die zwei Wohnzeilen der neuen Siedlung Waldacker. In mäandrierender Form folgen die Zeilenbauten den Höhenlinien, schmiegen sich der Hanglage an und stehen mit ihren hölzernen Fassaden in Dialog mit den waldbedeckten Hügeln in der Ferne. Der Übergang zum Park ist fliessend. Als grüner Binnenraum zieht dieser sich zwischen den Häusern hindurch bis zur dahinterliegenden Ahornstrasse. Hier angelangt, schweift der Blick nochmals zurück zum Tröckneturm, der am Ende der Achse nach oben ragt.

Die Zeilenbauten der Siedlung Waldacker folgen den Höhenschichten und fassen einen grünen Hofraum für die Hausgemeinschaft. (Foto: Ladina Bischof)
Zelebrierter Grünraum

Entworfen wurde die Siedlung vom Zürcher Architekturbüro Oxid (ehemals Burkhalter Sumi). Der Fokus liegt auf dem grünen Binnenraum, der als Herzstück der Siedlung eine verbindende wie auch verteilende Funktion erfüllt. Spielplätze, Sitzbänke und eine Grillstelle laden nicht nur die Bewohnenden, sondern auch Spaziergängerinnen und Spaziergänger ein, hier zu verweilen. Für die Bewohner ist er darüber hinaus zentraler Erschliessungsraum – autofrei. Der Zugang zu den einzelnen Wohnungen erfolgt ausschliesslich über offene Treppenhäuser und Veranden. Insgesamt 110 Wohneinheiten haben die Architekten in sechs Häusern untergebracht, von denen je drei eine Zeile bilden. Jedes Haus wird durch zwei Treppenaufgänge erschlossen. Das scheint auf den ersten Blick etwas überambitioniert, denn der grüne Zwischenraum wird so von zwölf Treppenaufgängen dominiert. Doch die Verteilung durch zwei Treppen pro vier- und fünfgeschossige Hauseinheit führt zu einer Entlastung des Durchgangsverkehrs, sodass die Veranden, über die die Wohnungen erschlossen werden, als (fast) private Aussenräume funktionieren. Die Wohneinheiten haben darüber hinaus an ihrer gegenüberliegenden Seite einen gänzlich privaten Wintergarten.

Jedes der sechs Häuser verfügt über zwei Treppenaufgänge. So werden die Veranden, über die die Wohnungen erschlossen sind, nicht allzu stark frequentiert und funktionieren als (fast) private Aussenräume. (Foto: Ladina Bischof)

Beide Häuserzeilen werden von je zwei Knicken geformt und gegliedert. Das bricht einerseits ihre streng lineare Form und gibt den Blick zum Tröckneturm frei. Andererseits wird an den Knicken der Wechsel von einem Haus zum anderen und somit von einer Verandaschicht zur nächsten markiert. Entgegen dem Eindruck, die Veranden würden sich als Fassadenschicht wie Laubengänge über die gesamten Gebäudelängen ziehen, sind diese zur Unterstützung der Privatheit an den Knickpunkten getrennt und funktionieren je Hauseinheit separat. Halbrunde Enden der Veranden brechen an den Übergängen die streng lineare Form auf. Einzelne Lichthöfe, die in die Verandaschicht eingeschnitten sind, bringen hier zusätzlich Licht in die Wohnräume. Die Architekten liessen sich dabei von den Arbeitersiedlungen aus dem frühen 20. Jahrhundert in Mailand inspirieren, den sogenannten Casa di Ringhiera. Einen ersten Prototyp setzten sie bereits mit ihrem gleichnamigen Projekt in Bellinzona um, wo das Veranda-Prinzip für die Siedlung Waldacker erfolgreich erprobt wurde.

Die Veranden ziehen sich nicht wie Laubengänge entlang der gesamten Hausfassade, sondern sind für mehr Privatheit in kleinere Einheiten unterteilt. Eingeschnittene Lichthöfe machen die Wohnungen heller. (Foto: Ladina Bischof) 
Zertifikat Platin

Die Konstruktion der Wohnhäuser stellt ein weiteres identitätsstiftendes Merkmal der Siedlung dar: Sie besteht fast ausschliesslich aus Holz. Die Häuser wurden als erste Schweizer Holzbauten mit der höchsten Zertifizierungsstufe (Platin) des Standards Nachhaltiges Bauen Schweiz (SNBS) ausgezeichnet. Die Verwendung europäischer und Schweizer Hölzer senkt den CO2-Verbrauch im Bauprozess. Und dank der effizienten Planung der Architekten und Ingenieurinnen kann der Holzbau noch weitere Vorteile ausschöpfen. Die Zeilenbauten sind in Elementbauweise konstruiert und auf einem Raster ausgerichtet. Decken-, Wand- und Fassadenelemente wurden im Werk vorgefertigt und als Halbfertigteile auf der Baustelle montiert. Die sechs Häuser sind in ihrer Konzeption gleich, sodass auch die Bauelemente repetitiv produziert werden konnten. Diese effiziente Planung führte zu einem kurzen Bauprozess: Im Herbst 2020 wurde mit dem Bau der ersten Zeile begonnen, und zwölf Monate später konnten bereits die ersten Wohnungen bezogen werden.

Die Holzhäuser wurden aus im Werk vorgefertigten Decken-, Wand- und Fassadenelementen gebaut. (Foto: Ladina Bischof)

Eine kompakte Grundrissgestaltung und das Auslagern der Erschliessungszonen in den ungedämmten Aussenbereich führte zu weiteren energetischen Einsparungen, was sich in der guten Gesamtbilanz niederschlägt. Je besser konstruiert, desto energieeffizienter und auch preisgünstiger ist ein Bauvorhaben. Das spiegelt sich nicht nur in den Kosten, sondern auch in den Mietpreisen. Mit 1500 Franken Monatsmiete für eine 3,5-Zimmer-Wohnung in einem zertifizierten Neubau liegen die Preise der Holzsiedlung Waldacker unter dem Schweizer Durchschnitt. Mit einem letzten Blick auf den Tröckneturm in unmittelbarer Nachbarschaft wird deutlich: Holz ist nicht nur ein Baumaterial der Vergangenheit, sondern auch eines der wichtigsten für die Zukunft.

 

«Gutes Bauen Ostschweiz» möchte die Diskussion um Baukultur anregen. Die Artikelserie behandelt übergreifende Themen aus den Bereichen Raumplanung, Städtebau, Architektur und Landschaftsarchitektur. Sie wurde lanciert und wird betreut durch das Architektur Forum Ostschweiz (AFO). Das AFO versteht alle Formen angewandter Gestaltung unserer Umwelt als wichtige Bestandteile unserer Kultur und möchte diese in einer breiten Öffentlichkeit zur Sprache bringen. 

a-f-o.ch

Nele Rickmann studierte Architektur an der RWTH Aachen und der Bauhaus-Universität Weimar. Nach ihrer Masterarbeit zum Thema Architekturpublizistik trat sie 2022 in die Redaktion der archithese ein. Seither schreibt sie auch darüber hinaus über aktuelle Themen im Architekturdiskurs.

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