100 Jahre Schweizer Design

Jenny Keller
8. Oktober 2014
Bild: Betty Fleck © ZHdK

Die Ausstellung beginnt mit einem Prolog im Vorraum zur Ausstellungshalle, wo Design gezeigt wird, bevor es so geheissen hat. Dann folgt die erste Werkbundausstellung als Start ins Kunstgewerbe und die Raumkunst, was später Design heissen sollte. Daneben zeigen zehn Podeste mit Sitzmöbeln aus zehn Jahrzehnten die Entwicklung des Designs quasi im Zeitraffer. «Das ist spannend, wenn man die Entwicklung so runterbrechen kann.», meint Arthur Rüegg, emeritierter Professor für Architektur an der ETH, Architekt, und passionierter Sammler von Möbelstücken von Le Corbusier und der Moderne. Er hat zahlreiche Monografien zum Thema herausgegeben, viele seiner Bücher sind längst vergriffen.
 
Auch wenn man meint, die Geschichte des Schweizer Designs zu kennen, bietet die Ausstellung viele Überraschungen und lebt von kleinen Details. Auf dem Podest der Vierzigerjahre findet sich zum Beispiel ein zeitgenössischer Stuhlentwurf von Inch Furniture. darauf angesprochen, sagt Arthur Rüegg, dass man mit diesen Unterbrechungen die Zuschauer anregen wolle, eigene Bezüge herzustellen.

Vor der Normküche: 1983 hat Arthur Rüegg die Siedlung Neubühl in Wollishofen umgebaut und eine alte Küche daraus gerettet. Bild: Betty Fleck © ZHdK

Für Arthur Rüegg ist es wichtig, dass Möbelentwürfe richtig eingeordnet werden in ihren Kontext und ihre Entwicklungsgeschichte. «Mich interessiert der Zusammenhang zwischen dem Design und dem grossen Ganzen, der Architektur oder dem gesellschaftlichen Kontext.» So bündeln in der Ausstellung dreissig thematisch aufgebaute Objektgruppen historisch relevante Entwürfe zu einem grossen Ganzen. Das Buch zur Ausstellung (s. Box) schaffe diese Einordnung fast noch besser als die Ausstellung selbst, meint der Co-Kurator und Bücherfreund.
 
Als Besucher kann man horizontal oder auch vertikal durch die Ausstellung gehen, und wird immer wieder auf Objekte von Arthur Rüegg stossen. Dieser zeigt auf den Klapptisch aus Stahlrohr von Werner Max Moser (1931) und sagt: «Das ist mein alter Salontisch, der hat immer so geklappert. Und hier ist mein Stuhl (der Steiger-Stapelstuhl von Embru), den ich am Poly hatte.»

Antonio Vitali, Spielfigur Fuchs, 1944, Museum für Gestaltung Zürich, Designsammlung. Bild: FX. Jaggy & U. Romito © ZHdK

Viele Objekte aus seinem Lager, das er sich mit Ruggero Tropeano teilte, gab Arthur Rüegg als Donation an das Schaudepot des Museums für Gestaltung, sofern diese die Objekte nicht schon hatten. «Das, was noch daheim und bei mir im Büro steht, ist immer noch in meinem Besitz – und ist natürlich die bessere Ware.» Er habe als Student mit dem Sammeln von Designstücken angefangen, damals waren die Trouvaillen vornehmlich Stücke aus dem Brockenhaus und beschränkten sich auf die klassische Moderne, auf Wohnbedarf-Möbel. Diese Sammlung wurde immer breiter und existiert neben einer weiteren Sammlung von Stücken von Le Corbusier.
 
Er sammle auch Objekte von Herzog & de Meuron, denen er verbunden sei, da sie Studenten waren, als Rüegg an der ETH assistiert hatte. Als Beispiel eines Designobjekts, das aus der Zeit entstanden sei, zeigt er die Leuchte, die von H&deM für das Haus Hebelstrasse 1987/88 entworfen worden ist. Als Antwort auf die Neu-Lancierung der Sparlampe haben die Architekten eine Art Fackelträger aus Kupfer und Alu gemacht, in dem der Transformator bereits integriert war.

In der Ausstellung vermitteln einige detailgetreue Rekonstruktionen und Fotografien die damaligen Präsentationsweisen und Wohnwelten. Grafiken, beispielsweise von Max Bill für Wohnbedarf, zeigen auch die visuelle Kommunikation über die Produkte. Arthur Rüegg sammelt auch Alltagsgegenstände, um die Sinnlichkeit eines ganzen Interieurs zeigen zu können. So sieht man viele Keramiken aus seiner Sammlung und er erzählt, dass dummerweise das schönste Teegeschirr von Fritz und Helene Haussmann von 1933 seine Frau gefunden habe, die es dann auch benutzen wollte. «Und prompt ging eine Teekanne zu Bruch. Es hat also ein dafür und dagegen, Designklassiker zu gebrauchen.»
 
Wie Arthur Rüegg zu seinen Designstücken kommt, sei sehr unterschiedlich. Das Crossair-Service, ebenfalls in der Ausstellung, habe er von einem Flug nach Leipzig mit der ehemaligen Fluggesellschaft. «Mir gefiel das Geschirr, so habe ich die Stewardess gefragt, ob ich das Service haben könne, und sie hat mir ein noch eingepacktes Service mitgegeben und gemeint, Moritz Suter wäre es eine Ehre.»

Eternit AG, Gussform zu Strandstuhl von Willy Guhl, 1954, Museum für Gestaltung Zürich, Designsammlung. Bild: FX. Jaggy & U. Romito © ZHdK

Sein Lieblingsstück in der Ausstellung nennt er «eine Ruine» und stammt natürlich von Le Corbusier: Der Prototyp des «Grand comfort» war am Salon d’Automne erstmals zu sehen und wurde von Thonet – im Gegensatz zu den anderen gezeigten Möbelentwürfen – nicht gekauft. Es gibt also nur Prototypen dieses Sessels, und der von Athur Rüegg hat einst Pierre Jeanneret gehört und stand auf dem Balkon von dessen Erbin, wo er vor sich hin gerostet hat, bis Arthur Rüegg ihn in den 1980er-Jahren gerettet und in sein Schlafzimmer gestellt hat. An diesem Prototyp lässt sich ablesen, dass Heidi Weber, die den Grand confort dann herstellen liess, eigentlich falsche Verbindungen des Stahlrohrs anfertigte. Ein spannendes Detail, aus das man als Besucher wohl aber nur bei einer Führung aufmerksam wird.
 
Ein Besuch der Ausstellung ist dennoch zu empfehlen. Um das Gezeigte einzuordnen, sollte, wie von Arthur Rüegg empfohlen, auch die Publikation gelesen werden, die als wertvolles und übersichtliches Nachschlagewerk eigentlich in keiner Büchersammlung fehlen darf.

100 Jahre Schweizer Design
Hrsg. Museum für Gestaltung Zürich
Lars Müller Publishers
21,6 x 32,4 cm, 352 Seiten, ca. 700 Abbildungen, Hardcover (2014)
ISBN 978-3-03778-440-2
CHF 65.00

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