Architektur ausstellen

Jenny Keller
10. März 2016
Bild: © La Biennale di Venezia

Wie soll man etwas ausstellen, das zu gross für den Ausstellungsraum, vielleicht privat und bewohnt ist? Darüber hinaus sollen räumliche Erfahrungen vermittelt werden, die ortsspezifisch und nicht transportfähig sind. Doch Architektur beschränkt sich ja nicht nur auf den gebauten Raum, sondern umfasst auch eine gesellschaftliche, politische, ökonomische oder ökologische Komponente. Insbesondere dieser Teil der Architektur muss vermittelt werden, denn er erschliesst sich nicht bei blossem Betrachten. Nur: wie macht man das? Auf den ersten Blick ein Ding der Unmöglichkeit.

Auf der anderen Seite gehören zur Architektur Pläne, Modelle, Bilder, Materialmuster, ja auch Dokumente und Korrespondenzen mit der Bauherrschaft oder den Handwerkern, die sehr wohl ausstellbar sind. Ihre Deutung ist jedoch einem Insider-Publikum vorbehalten, das Modelle versteht und Pläne zu lesen weiss – und ihnen im besten Fall auch einen ästhetischen Gewinn abgewinnen kann.

Doch dass man als Ausstellungsmacher – egal welches Thema man vermitteln will – die breite Masse anspricht, ist vielleicht der Traum des modernen Kurators, entspricht aber nicht der Realität. Das Museum mag zu den liebsten Bauaufgaben der Architekten zählen, aber es zieht immer noch eine kleine Bevölkerungsschicht an, auch wenn das Museum des 21. Jahrhunderts (in der Nacht) geöffnet und demokratisiert wird. Zwar prägen Museen das Stadtbild und das Wertbild von uns Bildungsbürgern in der westlichen Welt, was für uns jedoch selbstverständlich ist, bleibt ein Diskurs zwischen, sagen wir, Insidern. Man könnte es darauf hinunterbrechen: Ins Museum geht nur, wer liest. Der Rest besucht vielleicht den Museumsshop beim Eingang, ein Teil des Museums in unserer kapitalistischen Gegenwart, der an Wichtigkeit zugenommen hat, man schaue sich nur einmal die Entwürfe der neusten Museen an, die derzeit gebaut oder eröffnet werden.
 

Was bedeutet das für das Architekturmuseum? Andreas Ruby, der neue Direktor des Schweizerischen Architekturmuseums (SAM), hat letzte Woche erläutert, wie er in Zukunft in Basel (und in der ganzen Schweiz!) Architektur ausstellen will. Sein offizieller Arbeitsbeginn ist Anfang Mai dieses Jahres. Ruby, der bislang unter anderem mit Ruby Press in Berlin Bücher gemacht hat, scheint voller Freude über seine neue Aufgabe zu sein. Auch er will die Schwelle zum Museum eliminieren und das Museum für alle zugänglich machen. Der Kunsthistoriker gibt sich als Dilettant, als Amateur aus, der Architektur auch einem anderen Publikum als den Insidern erklären will. Er will diejenigen erreichen, die nicht wissen, dass Architektur eine Bedeutung hat für ihr Leben. Er sagt: «Architektur hat etwas Unvermeidbares».

Anstatt Modelle und Pläne will er räumliche Erlebnisse ausstellen. Die «Signs-of-life»-Ausstellung von Venturi Scott Brown in Washington 1976 kann man als Vorbild der 1:1-Erfahrung nehmen. Als eigenes Beispiel nennt Ruby die Ausstellung über Druot, Lacaton & Vassals Transformation der umgestalteten Tour Bois le Prêtre 2012 am Deutschen Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt. Dort schufen seine Frau Ilka und er reale Raumerfahrungen: Pflanzen, Möbel und raumhohe Bilder transportierten die umgebauten Wohnungen in der Tour Bois le Prêtre von Paris nach Frankfurt. Andreas Ruby dachte an den Smartphone-User und machte seine Ausstellung im DAM über Lacaton & Vassal zur perfekten Kulisse für die Selfie-Generation (das sind ja mittlerweile die 3 bis 75-jährigen): «Seht her, ich gehe ins Museum!»
 
Als Museum ohne Sammlung will er ausserdem die Schweiz und ihre in der Tat oft auffällig guten Bauten in einer App dem Publikum zugänglich machen. Das SAM soll so endlich «schweizerisch» und über Basel hinaus sichtbar werden.

Die Zukunft des SAM? Grafik: Something Fantastic

Andreas Ruby will also vom Sockel runtersteigen und das Museum zu den Leuten bringen. Gerade umgekehrt scheint es am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur an der ETH (gta) zu laufen, wo ebenfalls zwei Kunsthistoriker – seit nun zwei Jahren – dafür zuständig sind, Architektur auszustellen. Die ersten Ausstellungen am Hönggerberg schienen sogar das interessierte Fachpublikum zum Dilettanten zu machen. Obwohl Fischli/Olsen angekündigt haben, partizipative Ausstellungen machen zu wollen. Dies, indem man vermehrt mit den einzelnen Professuren und Instituten zusammenarbeit und nicht wie bisher die Arbeiten eines Schweizer Architekten monografisch abbilde. Was wir bisher sahen, waren Performances und Happenings, die sehr wohl die Studierenden miteinbezogen, auch humorvoll der Architektenwelt begegneten, sich aber stark in der Kunstwelt bewegten. Ein Insiderdiskurs und -zirkus, wie ihn Hans Ulrich Obrist vor zwei Jahren an der Biennale in Venedig 2014 schon aufführte. Das gta war damals auch beteiligt.

Dabei geht die Architektur bisweilen etwas unter, denn man kann nicht Architektur ausstellen, indem man sie weglässt. Ausserdem: Architekten beurteilen, urteilen gerne. Über die Architektur der anderen umso lieber. Es ist ihr Job, bei jeder Bauaufgabe ein Urteil zu fällen und Ihre Meinung als Entwurf zu manifestieren. Dem sollten auch Architekturausstellungen gerecht werden.
 

Abstimmungs-Performance, ETH, Lehrstuhl Christian Kerez, 2015. Bild: gta

Und was erwartet uns dieses Jahr in Venedig? Alejandro Aravena stellte die Architekturbiennale unter das Thema «reporting from the front», und versinnbildlicht sein Konzept mit dem Bild einer Frau auf einer Leiter (die Forscherin Maria Reiche in den 1970er Jahren in der Wüste von Peru). Die Frau auf der Leiter sehe zerstörtes Land, also verpasste Chancen der Menschheit, intelligent zu agieren. Auf den ersten Blick das Ende der Zivilisation und der Architektur. Aber sie sehe auch Zeichen von Hoffnung, einer Wende: Aravena will den Biennale-Besuchern neue Perspektiven zeigen, die ausstellenden Architektinnen und Architekten sollen von ihren Leitern runtersteigen und in einer Sprache kommunizieren, die verstanden wird. Das Bild ist einprägsam, was daraus gemacht wird, werden wir in einem Interview mit Christian Kerez, dem Schweizer Vertreter an der Biennale, später an dieser Stelle erläutern – und direkt von der Front in Venedig Ende Mai kommentieren.

Auch wenn sie Insidern vorbehalten sind und waren, Architekturausstellungen haben oft (Architektur-)Geschichte geschrieben. Die erste Bauhaus-Ausstellung in Weimar 1923 hat unsere Sicht auf das Bauhaus bis heute geprägt. Die Ausstellung «Modern Architecture: International Exhibition», 1932 im MoMA, bekannt als «The International Style», konstituiere die Moderne; die erste Architekturbiennale in Venedig 1980 von Paolo Porthogesi, «La presenza del passato», gelte als Beginn der Postmoderne; und die Ausstellung «Deconstructivist Architecture» von Philip Johnson und Mark Wigley im MoMA 1988 sei titelgebend für den Dekonstruktivismus in der Architektur, schreibt Margareth Otti in Architektur ausstellen.2

Schade, dass Aravena bisher immer alleine aufgetreten ist bei Biennale-Veranstaltungen und nicht im Kollektiv mit Elemental. Denn seine Botschaft an die heutige Architektur ist doch (auch), dass das Kollektiv die Arbeit macht und keine Einzelperson. Somit trüge er einen wichtigen Inhalt ohne kuratorischen Aufwand und ohne Szenografie bereits vor der diesjährigen grossen Architekturausstellung nach aussen.


Neuere Bücher zum Thema
 1) Architektur als Exponat – Gespräche über das Ausstellen, Jeannette Merker / Riklef Rambow (Hg.), Jovis, ISBN 978-3-86859-386-0
 
2) Architektur ausstellen – Zur mobilen Anordnung des Immobilen, Carsten Ruhl / Chris Dähne (Hg.), Jovis, ISBN 978-3-86859-287-0
 

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