Architektur ist keine Kunst

Jenny Keller
12. Juni 2014
Liam Gillick, «The F. Palace», 2014, Courtesy Galleria Alfonso Artiaco, Dominique Gonzalez-Foerster, «cedric & lucius», 2014. Bild: Pro Helvetia

In Anlehnung an den «Fun Palace» steht «Palazzo F» (Liam Gillick)  mit schwarzen Lettern auf der Mauer des Schweizer Pavillons. Darunter ist eine Neon-Schrift-Installation, die die Namen Cedric und Lucius gelb-blau zum Leuchten bringt (Dominique Gonzalez-Foerster). Im Innern stehen die Besucher in Gruppen um verschiedene Trolleys, auf denen Archivmaterial zu Lucius Burckhardt (1925–2003) und Cedric Price (1934–2003) ausgelegt ist. Studierende der ETH fungieren als Vermittler. Ein Dach über dem Eingang (Atelier Bow-Wow) erweitert den Pavillon nach oben.

«Intellektueller Trip»
Soweit der erste Eindruck des Schweizer Pavillons an der diesjährigen Architekturbiennale. Das, was auch noch einfach zu vermitteln ist, folgt nun: Der Schweizer Beitrag von Hans Ulrich Obrist benötigt einen Haufen Erklärungen und erschliesst sich den Besucherinnen und Besuchern nicht unmittelbar. Auch ist die Ausstellung im Innern nicht sehr fotogen. Hans Ulrich Obrist ist Co-Kurator der Serpentine Galleries in London und in der Kunst zu Hause, das merkt man bald. Die Pro Helvetia, die ihn als Kurator eingesetzt hat, war interessiert daran, wie Obrist Architektur ausstellt. Die Antwort wissen wir nun: indem er sie nicht ausstellt.

Alle Länder haben das Überthema «Absorbing Modernity 1914-2014» akzeptiert und in den meisten Fällen ist daraus ein Archiv der Bauten aus den letzten 100 Jahren entstanden. Oder im Falle Österreichs, ein Archiv aus 196 Parlamentsgebäude dieser Welt. So gesehen nimmt sich der Schweizer Beitrag immerhin die Freiheit, nicht ganz strikt Rem Koolhaas' Vorgaben zu folgen, was ein eher intellektuell-künstlerischer Ansatz ist. Jacques Herzog meinte bei der Pressekonferenz noch, Obrist habe aber nicht nur einen «intellektuellen Trip» konzipiert, doch man kann ihm nicht ganz Recht geben. Obrist verhält sich ein bisschen wie der Schüler (oder der Lehrer? Diente etwa Lucius Burckhardt als Vorbild?), der sich nicht an die Vorgaben hält. Das kann spannend sein, aber auch anstrengend.

Die Aussage im Schweizer Pavillon ist: Bei der Architektur geht es immer und vor allem um die soziale Interaktion. Bild: jk

Marathon
Die Preview-Tage im Schweizer Pavillon waren ziemlich anstrengend, auch weil Obrist einen Marathon veranstaltet hat. Das heisst, er holte etwa alle 15 Minuten einen anderen Freund und Kulturschaffenden (und davon gibt es scheinbar viele) aufs Podium, um sich mit ihnen über das Thema X oder Y zu unterhalten. Leider war die Akustik im Hof des Schweizer Pavillons nicht ganz gemacht für diese Talks, insbesondere, wenn unzählige Preview-Besucher am Rand stehen und sich sehen lassen oder sehen wollen. Ein Bienenhaus war es. Man wähnte sich eher an der Kunstbiennale, was nicht per se schlecht ist – aber eben, es war die Eröffnung der Architekturbiennale.
 
Obrist ist scheinbar in der ganzen wichtigen Welt vernetzt und stellt seine Entourage wie auch Cedric und Lucius (so nennt er die unsichtbaren Protagonisten des Schweizer Pavillons kollegial) den Besuchern nicht wirklich vor. Diese Haltung ist etwas arrogant. Dazu passt, dass er an der Pressekonferenz en passant erwähnt, dass Jacques und Pierre halt einfach die ersten Architekten waren, die er (Achtung, das Namedropping geht weiter) durch Bice Curiger vor Jahren kennengelernt habe.

Obrist während des Marathons. Bild: jk

Zum Glück kommen die Marathon-Mitläufer zum Teil in der zwar dünnen, aber dichten Publikation zum Schweizer Pavillon, gestaltet vom in der Szene hochgehaltenen Grafikbüro Norm aus Zürich, zu Wort. Bernard Tschumi fasst dort zusammen, was wohl die Intention des Teams um Hans Ulrich Obrists war: Bei der Architektur geht es immer und vor allem um die soziale Interaktion.

Die Talks im Hof des Pavillons transformierten den Schweizer Pavillon in einen performativen Ort von Happenings. Das soll auch weiterhin so sein. Die Summer School unter der Leitung von «dem Denker Italiens», Stefano Boeri, wird weiterhin Talks im Hof abhalten.

Die Liste der Gäste von Obrist ist lang. Bild: w-a

Weshalb Cedric und Lucius?
Der Beitrag von Hans Ulrich Obrist ist in Zusammenarbeit mit H&deM entstanden (einstiegen Burckhardt-Schülern), die die Idee mit den Archivtrolleys gehabt haben, die nun von Studenten und Studentinnen der ETH hervorgeholt werden, um uns Besuchern etwas über Lucius Burckhardt und Cedric Price zu erzählen.
 
Die Schweiz hat die Bauten von 1914 bis 2014 bereits ausreichend katalogisiert. Das mag ein Grund sein, weshalb der Kurator zwei sehr spezifische Personen, die in seinen Augen zu den visionären Denkern gehören und die moderne Architektur geprägt haben, rausgepickt hat. Cedric Prices «Fun Palace» sei eine konkrete Utopie, erklärt Obrist an der Pressekonferenz. Lucius Burckhardt hat immerhin einmal an der ETH gelehrt und die Bedeutung der Soziologie für die Architektur dort etabliert. Der Link zu Schweizer Architektur fehlt aber.
 
Weshalb nun aber nur Burckhardt und Price zusammen Präsenz im Schweizer Pavillon erhalten, erschliesst sich dem Besucher auch nicht wirklich. Price gehört scheinbar zu den Figuren, die Obrist seit Jahren begleiten. Obrist erklärt immerhin, dass Burckhardt und Price heute in Vergessenheit geraten seien, und er wolle sie im Schweizer Pavillon in einem Zeitalter der Information, das zu einem Zeitalter der Vergessenheit mutiere, den Besuchern wieder in Erinnerung rufen. Burckhardt soll ausserdem die Frage beschäftigt haben, wie man ein Archiv lebhaft gestalten kann.

Das lebendige Archiv. Bild: Markus Bachmann

Performative Installation
Obrists Schweizer Pavillon ist frei von formalen Gesten (abgesehen von nicht wenigen Kunstbeiträgen – haben wir Olafur Eliasson schon erwähnt, nein, nicht?) und hat daneben einzig eine konzeptionelle Aussage und einen inhaltlichen Anspruch. Trotzdem war der Pavillon an den zwei Preview-Tagen sehr gut besucht, wegen des Marathons, und sicher auch wegen Hans Ulrich Obrist selbst.

Jacques Herzog nennt die performative Installation, an der junge Leute beteiligt sind, ökologisch, denn es werde nicht mehr getan, als nötig. Müssen dann die Kunstbeiträge sein? Ökologisch wäre es, wenn die Pro Helvetia den Beitrag gleich für die Kunstbiennale 2015 stehen lassen würde. Vielleicht könnte man die beiden Personen Price und Burckhardt durch weitere anreichern. Denn diese beliebige Auswahl vertrüge durchaus Ergänzungen.

Weitere schweizerische Beiträge an der diesjährigen Architekturbiennale

Salon Suisse
Kuratiert von Hiromi Hosoya and Markus Schaefer
Palazzo Trevisan Degli Ulivi

Gotthard Landscape – The unexpected View
Die ETH Zürich und die Academia della Architettura in Mendrisio präsentieren das Forschungsprojekt.
Palazzo Trevisan DegliI Ulivi

Sacrificed Space
Mit Beiträgen von Fuhrimann Hächler
Palazzo Mora

Time Space Existence
Greutmann Bolzern, Capua Mann, Brauen Wälchli u.a
Palazzo Bembo

Treasures in disguise - Montenegrinischer Pavillon
Kuratiert unter anderem von Simon Hartmann, HHF, Basel
Palazzo Malipiero

Z-Club
der ZHdK mit Stephan Trüby, Co-Kurator der Architekturbiennale Venedig
25. Juli bis 31. Juli, täglich 21–24 Uhr
Palazzo Trevisan Degli Ulivi

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