Audienz bei Axel Vervoordt

Oliver Schmuki
10. Dezember 2015
Das Schloss 's-Gravenwezel, Wohnhaus von Axel Vervoordt. Bild: © Axel Vervoordt

Natürlich gibt es auf ’s-Gravenwezel, wie in jedem richtigen Schloss, eine Geheimtüre. An der richtigen Stelle gedrückt, lässt sich ein Teil eines Bücherregals wie ein Tor öffnen, womit Blick und  Durchgang freigegeben werden in ein Badezimmer. Wie für jeden anderen der zirka fünfzig Räume (die genaue Anzahl scheint niemand zu kennen) ist natürlich die Bezeichnung «Zimmer» eine Untertreibung. Für die Auswahl der Farben, Materialien und der darin vorhandenen Kunst zuständig ist Axel Vervoordt, 68, einer der Inneneinrichter unserer Zeit.
 

Bibliothek mit einem Werk von Lucio Fontana. Bild: © Laziz Hamani

Der Belgier, dessen Schloss aus dem 12. Jahrhundert sich, zwanzig Autominuten von Antwerpen entfernt, im flämischen Teil des Landes befindet, ist in einer Person Sammler, Händler, Innenarchitekt, Kurator, Restaurator, Kunstförderer und -vermittler. Er ist der «Grossmeister unorthodoxer Interieurs» und «König der leisen Farbtöne» (Architectural Digest). Ihn gehen Königsfamilien, Tycoons, Popstars und Politiker an, wenn sie ihre Räume verschönern wollen: Bill Gates, Sting, Madonna, Tom Ford, Steven Spielberg, auch Oligarchen aus Russland und Mitglieder alter europäischer Familien von Adel sind Kunden.

Die Mischung der Kunden ist, kann man sagen, bunt, dennoch mag Vervoordt das Wort «eklektisch» nicht. «Mein Geschmack umfasst mehrere Jahrhunderte, Kontinente und ökonomische Schichten. Ich liebe die Spannung zwischen verschiedenen Objekten und Kulturen», so schreibt er im Vorwort von «The Story of a Style» (Assouline, 2008), einem seiner Bücher, gefüllt mit eigenen Fotografien, viele davon auf ’s-Gravenwezel entstanden.

Das Kastell mit teilweise fast tausendjährigen Räumen ist Vervoordts Privatresidenz. Bereits der erste Eindruck im Foyer ist ein mächtiger: Überraschend bricht eine laute Händel-Kantate über den Besucher herein, umspült ihn. Sie beansprucht mehr Platz als die beiden endlos blauen, sich verdoppelnd an gegenüberliegenden Wänden aufgehängten Gemälde von Jef Verheyen, einem verstorbenen belgischen Maler und Freund Vervoordts. Der Rundgang durch die Räumlichkeiten ist eigentlich eine Reise um die Welt und durch die Zeiten. Fast jedes Zimmer ginge als Bibliothek durch – mit Magazinstapel (AD, National Geographic, L’Objet d’Art, Art + Auction) und Büchern («Timeless Interiors», «The Way of Lao Tzu», «Sardische Aquarelle»). Pol der Ruhe: das mit Sitzkissen zenbuddhistisch anmutende sogenannte Wabi-Zimmer im obersten Stockwerk. Und überall der Duft von Holz, das neben den vielen Kaminen im Haus gestapelt ist; den Brennstoff zerkleinert Vervoordt selbst – wenn er, der so zeitlos einrichtet, dafür Zeit findet.
 

Das Wabi-Zimmer im Schloss s'-Gravenwezel. Bild: © Laziz Hamani
Ein Schlafzimmer im Schloss von Axel Vervoordt. Bild: © Laziz Hamani

Was ihn abscheidet von der Masse an Einrichtern und Innenarchitekten, ist das, was er seinen Kunden in einem Satz anbietet: eine neue Perspektive. Das klingt milde, aber: «Kürzlich arbeitete ich in einem Haus von wichtigen Leuten in ­Amerika», sagt er. «Sie haben dort viele schöne Picassos, aber auch Zeichnungen ihrer Kinder, die irgendwie aussehen wie Picassos.» Die Kinderbilder hängte er zu den Originalen an die Bibliothekswand, allerdings mit einem entscheidenden Kunstgriff: «Die Rahmen der echten Picassos liess ich entfernen, so dass sie nicht mehr teuer, aber immer noch grossartig aussehen.» Axel Vervoordt beginnt zu lachen, wie ein schadenfreudiger Junge, fährt seinem Hund namens Inu (japanisch für «Hund») durchs struppige Fell und greift, ebenso zärtlich, zur Grünteetasse. Diesen beige-braunen, handgetöpferten Gegenstand wird er erst kurz vor Ende des Gesprächs wieder absetzen.

Konsequent ignoriert Vervoordt Trends und arbeitet scheinbar referenzfrei. Er greift nach dem, was bereits da ist, was aber erst in seinen Händen und durch die Verbindungen, die er schafft, zu etwas Neuem, Grossem und Ganzem wird. So wurden viele der Schlosswände mit Naturfarbe aus der Umgebung, also mit Schlamm, bemalt. Und einige der gewaltigen Föhren auf dem Anwesen wurden erfolgreich umgepflanzt. «Menschen, die ihren Reichtum zur Schau stellen wollen, kann und will ich nicht helfen. Und immer öfter widme ich mich jüngeren Klienten und kleineren Objekten.» Was auch immer er tut, das Resultat ist das Gegenteil von protzig.

Wer Axel Vervoordt und sein Unternehmen beauftragt, muss gewillt sein, sich in die Seele blicken zu lassen. Und zuzuhören. Auch Robert De Niro. Für dessen New Yorker «Greenwich»-Hotel hat er das Penthouse entworfen. Und was hat er, Axel Vervoordt, von dem Schauspieler lernen können? «Er ist äusserst bescheiden, intelligent, ein guter Zuhörer. Er könnte Japaner sein, da für ihn alles möglich ist, nichts ist ein Muss.»
 

Die Orangerie. Bild: © Sebastien Schutyser
Die Bibliothek auf 's-Gravenwezel. Bild: © Sebastien Schutyser

Das Unternehmen Axel Vervoordt beschäftigt an die hundert Leute. In persönlichen Kontakt mit den Kunden tritt Vervoordt nicht mehr bei allen Projekten, sein Name ziert aber die «Axel Vervoordt Home Collection» mit den ikonischen naturfarbenen Leinenbezügen von Sofas und Sesseln. Im Alter von vierzehn Jahren unternahm er, getrieben von einer Lust für Antiquitäten, erste Kaufreisen nach Grossbritannien mit dem Geld seines  Vaters, eines Händlers von Rennpferden. Er zahlte alles zurück, inklusive Zinsen. Mit zwanzig kam der Militärdienst. Vervoordt landete in einer Armeeapotheke und funktionierte diese zu einer Bar um. «Es dauerte nicht lange, und alle kamen zum Aperitif. Worauf ich sie in Bezug auf Einrichtungsgegenstände ausfragte und darüber, ob nicht vielleicht bei ihren Grossmüttern noch etwas auf dem Estrich liege.» Er kaufte intuitiv und kam über seine Kameraden zu den grossartigsten Objekten: Tafelsilber, Zeichnungen und auch zu seinem ersten Gemälde von René Magritte. «Das war meine eigentliche Berufung.» Heute werden seine Ausstellungen, wie die «Artempo» 2007 im Palazzo Fortuny in Venedig, heisser diskutiert als die eigentliche Kunstbiennale. Auch die von der Vervoordt-Foundation 2009 präsentierte «In-Finitum»-Exposition wurde sehr beachtet. Zeitgenössische Malereien und gewölbte Holztische neben ägyptischen und vorchristlichen römischen Skulpturen: So spaltete Vervoordt die Kritiker in Befürworter und Gegner, bloss gleichgültig liess die Schau niemanden – das grösste Kompliment an einen Gestalter.

Der Geschäftssitz, sozusagen das Hirn der Firma mit einem Jahresumsatz von über dreissig Millionen Euro, wurde im Jahr 2000 aus dem Schloss ’s-Gravenwezel ausgelagert. Die Mitarbeiterbüros befinden sich seitdem im nahegelegenen Wijnegem, in einer ehemaligen Destillerie und Mälzerei mit atemberaubendem Showroom und Ausstellungsobjekten von unschätzbarem Wert. Quasi-Geschäftsleiter ist der ältere Sohn, Boris Vervoordt, der bereits im Alter von sieben Jahren Interesse an den Geschäften gezeigt habe. «Die Finanzen, das Juristische und die Organisation, das alles erledigt heute er; ich sehe mir das nicht mal mehr an.» Der jüngere Sohn, Dick, leitet die Immobiliengeschäfte. Da dürfte es diese Tage genügend zu tun geben.
 

Auf dem sogenannten Kanaal-Areal (s. Video darüber), in der unmittelbaren Umgebung des Hauptsitzes, soll ein ganzes Wohnviertel entstehen, der Masterplan dafür stammt von Jens Aerts, ein Architektenteam (Bogdan Van Broeck, Coussée Goris, Michel Desvigne, Stéphane Beel) ist für die Architektur zuständig. Leitgedanke ist eine «menschliche Architektur», auf dem Konzept der «Grossräumigkeit» fussend und mit dem Ziel, die gesamte Fläche zu einer «grünen Oase mit der Dynamik einer ambitionierten Stadt» werden zu lassen, heisst es in der Broschüre.

Wie hinter den meisten erfolgreichen Männern steht auch hinter respektive, in diesem Fall, neben Axel Vervoordt eine Frau: May. Die beiden verstehen sich blind. Rudimentäre mündliche Beschreibungen ihres Ehemannes reichen May Vervoordt aus, um sich eine Wohnung, ein Haus vorstellen zu können und in Gedanken einzurichten. Sie ist verantwortlich für die Stoffe und Farben des Inventars und der Räumlichkeiten. Und für das Essen – selbst für das Mittagsmenü am Firmensitz. Ihr Buch «Zu Gast bei May Vervoordt» ist ein Kochbuch mit saisonalen, hauptsächlich ayurvedischen Speiserezepten. Die Bilder dazu wurden in Haus und Garten der Vervoordts aufgenommen.

Etwas weniger einfach selber zu Hause zuzubereiten ist der Stil von Axel Vervoordt. Vielleicht aber auch nicht. Seine zentralen Punkte, in a nutshell:  In Frage kommt nur, was echt ist, Klarheit (serenity)  besitzt und gleichzeitig mehr ist, als es gegen aussen vorzeigt. Ausserdem sollten, getreu fernöstlicher Philosophie, die Dinge, mit denen man sich umgibt, so aussehen, wie man selbst aussieht – respektive so, wie man aussehen möchte. Doch hinter diesem Entwurf lauert eine Gefahr. Man müsse sich immerzu die Frage stellen: «Will ich wirklich so aussehen?» Dann lacht er wieder. Und es klingt wieder, ein wenig, wie Schadenfreude.


Der Artikel erschien ursprünglich und etwas abgeändert im Magazin Stil der Weltwoche.

Buchtipp
Inspiration Wabi, Axel Vervoordt in Zusammenarbeit mit Tatsuro Miki, Jacoby Stuart
Mit einem Text von Michael Paul und 350 Farbfotos von Laziz Hamani.
256 Seiten | 21,5 x 27 cm
geb., Hardcover | durchgehend farbig
ISBN 978-3-941787-25-4

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