Auf der Suche nach dem Stil

Jenny Keller
29. März 2018
Blick in die Ausstellung. Bild: Schweizerisches Nationalmuseum

Die technologischen Neuigkeiten waren vielversprechend zu der Zeit, doch die gestalterischen Ausformulierungen steckte noch in den Kinderschuhen. Das Problem war: Wie verbindet man die moderne Fertigung mit zeitgenössischer Gestaltung? Orientiert hat man sich an historischen Vorbildern? Es war die Zeit, in der enzyklopädisches Sammeln in Wissenschaft und Kunstgeschichte begann. Das Design wird geboren, denn mit den neuen Gebrauchsgegenständen, die für eine breite Bevölkerungsschicht erschwinglich wurden, nahm die Wichtigkeit der Erscheinungsform von Produkten zu. Viele Kunstgewerbeschulen entstehen in diesen 50 Jahren.
 
In fünf Themenbereichen versucht die Ausstellung «Auf der Suche nach dem Stil. 1850 bis 1900» der Epoche und der Stilfindung auf den Grund zu gehen. Dabei werden Protagonisten der jeweiligen Themenbereiche vorgestellt und über 300 Exponate gezeigt, insbesondere Textilien, Möbel, Zeichnungen und Gemälde, aber auch Alltagsgegenstände wie eine Massage-Dusche avant la lettre, ein Lift oder Velos, die kein Retro-Velmacher heute schöner herstellen könnte.

Le Corbusier (1887–1965), Arabisches Haus, um 1908. Graphitstift, Aquarell, Tusche auf Papier. Fondation Le Corbusier, Paris, © FLC/2017, ProLitteris, Zürich

Der Anfang macht die Architektur. Beziehungsweise der Städtebau. Metropolen wie Paris, London oder Wien haben in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihr heutiges Gesicht erhalten. Die Zuwanderung grosser Massen, angezogen von der Arbeit durch die Industrialisierung, musste bewältigt werden, Mietshäuser gebaut und Infrastruktur ausgebaut werden. Die Architekten Gottfried Semper und Eugène Emmanuel Viollet-le-Duc waren prägende Ideengeber; beide orientierten sich an vergangenen Epochen – Semper an der Antike und der Renaissance, Viollet-le- Duc an der mittelalterlichen Gotik. Sie kombinierten diese historischen Ideale mit neuen Techniken und Baumaterialien. Stahl, Beton und Glas prägten künftig die Architektur der Städte, die «Neo-Stile» werden geboren. Der Altbau des Landesmuseums ist selbst ein Zeitzeuge dieser Epoche, wurde es doch von Gustav Gull 1989 als neogotisches Schlösschen und eine der ersten Stahl-Beton-Konstruktionen der Schweiz erbaut.

Blick in die Ausstellung. Bild: Schweizerisches Nationalmuseum

Es ist eine dichte Epoche, reich an Anschauungsmaterial, wie man im Landesmuseum sieht. Die Ausstellung taucht tief in diese 50 prägenden Jahre ein und erzählt über Architektur, Kunst, Handwerk und Industrialisierung. Man kommt nicht umhin, sich an die eigenen Lehrjahre zu erinnern, wo das Studium «guter Beispiele» die eigene Entwurfsfähigkeit hätte beeinflussen sollen. Die Ausstellung selbst ist auch ausserordentlich lehrreich, so wird zum Beispiel im Themenbereich «Kunst» anhand vieler Schweizer Beispiele die Veränderungen in der bildenden Kunst aufgezeigt. In einer unglaublichen Dichte sind die Werke gehängt wie damals in einem Salon und wirken als kunsthistorisches Anschauungsmaterial in a nutshell. Gattungen (das Historienbild, das Portrait, das Stillleben) wurden brüchig und Überschneidungen waren auf einmal möglich. Zahlreiche Künstler verliessen die Akademien im 19. Jahrhundert und wandten sich neuen künstlerischen Idealen zu. Arnold Böcklin, Albert Anker, Ferdinand Hodler und weitere Schweizer Künstler liessen sich im Ausland inspirieren, aus- und weiterbilden und kamen mit neuen Ideen in die Heimat zurück.

Frank Lloyd Wrights Stuhlentwurf für das Peter A. Beachy House (1905) in Chicago hat japanische Einflüsse. Bild: jk

Die Arts-&-Crafts-Bewegung, der Japonismus, Orientalismus, Tapetenentwürfe, die erst mit der Erfindung chemischer Farbstoffe so möglich waren, ein Raum, inspiriert vom Basler Kunsthistoriker Jakob Burckhardt und Möbeldesigns von Frank Lloyd Wright beeindrucken in den weiteren Ausstellungsräumen und Musterzimmern, die durch hohe Stellwände, bedruckt mit Fotografien von Hausfassaden, räumlich begrenzt werden. Die gelungene Szenographie stammt von Atelier Brückner. So wird auch der Blick aus dem Museum inszeniert – so wie das Christ & Gantenbein mit ihren «Bullaugen», die die Sicht auf das alte Haus und die Stadt vorgesehen haben: An einer Stelle kann man auf einer Parkbank sitzend den alten Ginkobaum bewundern, der gepflanzt worden ist, als das Landesmuseum von Gustav Gull 1898 im neogotischen Stil eröffnet worden ist. Der Pavillon dahinter steht als Zeitzeuge und historisches Dokument ausserhalb des Museums im Platzspitzpark.


Auf der Suche nach dem Stil. 1850 bis 1900 
Landesmuseum Zürich
bis 15. Juli 2018
 
Die Ausstellung im Landesmuseum knüpft an die eben eröffnete Schau «Ideales Wohnen» im Museum für Gestaltung an. Dort werden Tendenzen des Schweizer Möbeldesigns ab dem 20. Jahrhundert präsentiert: Die beiden Ausstellungen sind mit einem Themenweg durch den Platzspitzpark miteinander verbunden. E-Guides stehen dafür kostenlos für das Smartphone zur Verfügung. Ausserdem ist es zwischen dem 23. März und dem 15. Juli möglich, sie mit einem Kombiticket (15 statt je 10 Franken) am gleichen Tag zu besuchen.

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