Das Primat des Bildes?
Jenny Keller
10. Januar 2013
S AM Ausstellungsräume Bild: Tom Bisig
Die Ausstellung Bildbau im Schweizerischen Architekturmuseum (S AM) ist lehrreich - und das vor allem wegen der Texte, die die Bilder ergänzen.
Schon bei der ersten Tafel mit dem Einleitungstext erfahren wir, dass die Architekturfotografie nie ein reines Abbild, sondern immer eine Interpretation des Vorhandenen darstellt. Jedoch konstatieren die Kuratoren der Ausstellung Hubertus Adam und Elena Kossovskaja, dass das Bild in den (Architektur)Medien über den Text gestellt wird. Und man fragt sich, ob das denn schlimm sei angesichts vieler akademisch aufgeblasener Texte, die man auch bei bestem Willen und mit bester Absicht nur schwer zu Ende lesen mag.
Die Bildschau beginnt mit einer grossformatigen Aufnahme des Ricola Lagerhauses (Herzog & de Meuron) in Laufen von Thomas Ruff. Gerhard Mack schrieb darüber in einer lobenden Ausstellungsbesprechung in der vergangenen NZZ am Sonntag: «Der weltberühmte Fotograf der Düsseldorfer Schule ist dafür jedoch nicht eigens nach Laufen gereist. Er hat einen örtlichen Kollegen beauftragt, das Lagerhaus mit einer Plattenkamera in zwei Hälften zu fotografieren.» Danach wurde es am Computer zusammengesetzt, und das Bild, das überhaupt nicht der Realität entspricht, sagt nun mehr über das Gebäude aus, als es eine dokumentarische Aufnahme könnte. Mack: «Wir sehen das Konzept der Architekten, das realisiert wurde.»
Bald schon ändert sich der Rhythmus der Ausstellung, und in den zweiten und dritten Räumen finden sich kleinere Fotografien von Gebäuden Schweizer Architekten (40 an der Zahl), die wegen der Abwesenheit geeigneter Wände zur Hängung der Bilder an weissen Metallstangen montiert wurden. Auch das zweite Bild zeigt das Ricola Lagerhaus, jedoch viel unprätentiöser, ohne Rahmen und kleinformatiger in einer Fotografie von Margherita Spiluttini. Man sieht: Das Medium Fotografie (und seine Präsentation) hat einen grossen Einfluss auf das abgebildete Gebäude und dessen Rezeption. Die Hängung an den weissen Metallstangen wirkt etwas technisch, nicht atmosphärisch-künstlerisch - wohingegen die grossen Bilder von Ruff, Binet, Danuser und Sugimoto in einem eigenen Raum auf dunklem Hintergrund viel mehr hermachen.
«Demut und Selbstbewusstsein» fallen bei diesem Gebäude zusammen, meint Gerhard Mack. Und genau das symbolisiere die Fotografie von Christian Vogt.
Magischer Moment
Auf weissen Litfasssäulen finden interessierte Besucher Hintergrundinformationen zur Fotografie. Dort erfährt man beispielsweise, dass bereits 1856 eine Debatte über die Realitätstreue der Fotografie geführt wurde, da der Künstler Henry Peach Robinson das Bild einer sterbenden Dame aus fünf Negativen zusammengesetzt hat. Man sieht, wer über Architekturbilder redet, kommt nicht umhin, die Fotografie und ihre Geschichte als solches zu beleuchten. In der Anfangszeit der Fotografie hat man den Fotoapparat im Anwendungsgebiet der Malerei benutzt. Somit sind Aspekte der Überhöhung, der Täuschung, des Weglassens nicht erst seit dem «iconic turn» (Boehm) und der jüngeren digitalen Wende ein Fakt.
Den nüchternen Verkaufsargumenten - beispielsweise der Grösse der Räume, dem Raumprogramm, der städtebaulichen Verortung im Kontext - werden Komponenten (Himmelfarbe, Personen, Kunstwerke, Möbel) beigefügt, die eine Stimmung transportieren, um beim Betrachter ein suggestives, emotionales Moment auszulösen. Das ist jedoch nichts Neues. Schon Shulman, der Vater der Architekturfotografie, wusste um den magischen Moment seiner Fotografien: «Meine Fotografien bilden nicht lediglich das Materielle ab, sie fügen ihm das hinzu, was im allgemeinen ungesehen bleibt.»
Andreas Fuhrimann, Gabrielle Hächler Architekten und Künstlerhaus am Fusse des Üetlibergs, Zürich, 2003. Bild: Valentin Jeck
Und natürlich kommt dann auch das Rendering und dessen fiktive Wirklichkeit zur Sprache. Auch die peinliche Tatsache, dass die Zeitschrift Wallpaper 2009 den Italiener Antonino Cardillo als einen von den 30 talentiertesten Jungarchitekten vorgestellt hat - seine «Bauten» existieren jedoch nur als Bilder (s. rechte Spalte).
Marketing für Architekten
Man kommt zum Schluss, dass das Bild von Architektur letztendlich zu Marketingzwecken da ist, früher sei in den Heften noch publiziert worden, was die jeweiligen Redaktionen als vorbildlich erachteten, heute handle es sich dabei um vom Architekten abgesegnete, in Auftrag gegebene Bilder. Peter Zumthor wird in diesem Zusammenhang erheiternd zitiert, dass er die Bilder seiner Architektur nur machen lässt, weil man ihn für Ausstellungen und Kataloge danach fragt und er nicht als «unzugänglicher Spinner» dastehen möchte.
Die grossen Bilder auf dunklem Hintergrund zeigen Bauten von Herzog & de Meuron und von Peter Zumthor. Das ist keine Vorliebe der Kuratoren, sondern der Tatsache zuzuschreiben, dass die Basler Architekten mit Weltruhm 1991 unter anderem Thomas Ruff (einen Künstler und keinen Architekturfotografen) beauftragen, ihre Gebäude für die damalige Architekturbiennale abzulichten. Etwa zur gleichen Zeit findet Peter Zumthor in Hans Danuser seinen Hoffotografen - wie in der klassischen Moderne findet wieder eine künstlerische Auseinandersetzung mit der Architekturfotografie statt, um die Absichten der Entwerfer bildlich darzustellen.
Die «digitale Herausforderung»
Was uns natürlich aufgefallen ist, ist der Abschnitt «Schweizer Architekturzeitschriften». Die Ausstellungsmacher (darunter der ehemalige Chefredaktor einer Architekturzeitschrift) schreiben von der «digitalen Herausforderung», auf die es zu reagieren gelte. Onlineportale wie Swiss-Architects.com (!) oder Hochparterre.ch deckten mit Nachrichten und Bildstrecken das primäre Informationsbedürfnis ab und seien auch hinsichtlich der Geschwindigkeit den Printmedien überlegen. Dann folgt die seltsame Schussforderung, dass es nur wenigen Anbietern gelinge, im Netz genügend Geld zu verdienen, um seriösen Journalismus zu betreiben; das Internet werde aber den Markt der Architekturzeitschriften nachhaltig verändern. Hören wir hier einen Generationenkonflikt heraus, bei dem ältere, gestandene Journalisten der «brave new world» nicht ganz über den Weg trauen - so wie einige Architekten die perfekten Renderings an Jurierungen verbieten wollen? Mag sein - doch das wäre dann wieder ein anderes Thema.
Peter Zumthor Steilneset, Memorial for the Victims of the Witch Trials in the Finmark Vardø, Norwegen 2011. Bild: Bjarne Riesto
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