Es geht um die Bodenrechte

Inge Beckel
11. April 2019
Jennifer Duyne Barenstein, Corine Mauch, Claudio Acioly und Jacqueline Badran diskutieren auf diesem Podium. Bild: Johannes Dietschi © ETH Wohnforum – ETH CASE

Wohnen decke urmenschliche Bedürfnisse ab, meinte Ulrich A. Weidmann, ein Vizepräsident der ETH Zürich, in seinem Grusswort; konkret nach Sicherheit und Behaglichkeit auf der einen sowie nach Habitus und sozialem Status auf der anderen Seite. Bis zu einem Drittel der hiesigen Haushaltsbudgets wird für die Mieten ausgegeben. Wohnen stellt ein wesentlicher Faktor dar, der zur Segmentierung der Bevölkerung beiträgt. Was heisst: Wohnen ist eminent politisch und ein Spiegel der Gesellschaft.

Die Debatten kreisten vor allem um die Frage der Verdichtung. Bild: Johannes Dietschi © ETH Wohnforum – ETH CASE
Dichte

Ein vordringliches Thema im Wohnungsbau heute ist es, unseren Lebens- und Arbeitsraum lebenswert zu verdichten. Dazu gehörten beispielsweise kurze Wege, so meinte Weidmann weiter, der selbst ein Verkehrsplaner ist. Verdichten war denn auch ein zentraler Fokus in den Podiumsdiskussionen. Weijen Wang, Architekturprofessor in Hong Kong, berichtete über dortige Dichteverhältnisse, wo in einem einzigen «Stab»-Hochhaus so viele Menschen lebten, wie ein ganzes Dorf Mitteleuropas zählt. Derlei Dichten können bei uns nicht das Ziel sein und sie würden überdies von der Bevölkerung kaum getragen.

Auf hiesige Dimensionen zugeschnitten demgegenüber war etwa der Beitrag von Sibylle Wälty, Doktorandin und Wissenschaftliche Assistentin, die über das Verhältnis 500 zu 15’000 sprach: Denn lebten in einem Radius von 500 Metern mindestens 15’000 Menschen, kann ein vielfältiges Angebot an Läden und Restaurants bestehen. Oder jener von Tanja Herdt, Wissenschaftliche Projektleiterin am ETH Wohnforum, die das Thema Parzellierung ins Spiel brachte. So bringen kleine Parzellierungen viele verschiedene Bauträger in ein Quartier oder an einen Ort, womit unterschiedliche Perspektiven und Interessen zusammenkommen, was sicherlich zur Durchmischung beiträgt, jedenfalls hinsichtlich der Lebensstile. Die Frage nach der Rolle der Bauträger sprach auch Louis Schulz an, Partner des Büros Assemble in London, das sich mit der Gestaltung partizipativer Verfahren einen Namen gemacht hat. Er plädierte grundsätzlich dafür, dass Häuser respektive Wohnungen von ihren Besitzer*innen bewohnt werden. Woher diese kämen – aus dem In- oder Ausland – spiele für ihn keine Rolle, so lange diese ihr Eigentum selbst nutzten und folglich im Alltag konkrete, ‹handfeste› Verantwortung dafür trügen – und den Ort belebten!

Tanja Herdt (in der Mitte) sprach über Parzellierung. Bild: Johannes Dietschi © ETH Wohnforum – ETH CASE
Sicherheit

Dass Eigentümer ihre Immobilien nicht durchwegs selbst nutzen – wie es die Besitzer*innen von Einfamilienhäusern oder solche von Eigentumswohnungen in der Regel tun –, ist selbstverständlich, man denke an professionelle Investoren wie etwa die Pensionskassen. Mietwohnungen oder Büro- respektive Ladenräumlichkeiten bringen Renditen in Form der gezahlten Mieten. Als Folge der Negativzinsen jedoch, so hört man, kalkulierten beispielsweise letztere, und dies sicherlich nur als exemplarische Nennung, bei Neubauten einen möglichen Leerstand von zwei Jahren mit ein. Was heisst: Immobilien können auch dann rentieren, wenn sie leer stehen! Zumindest vorübergehend.

Damit kommen wir zu einem anderen Thema: Immobilien werden zu Aktiven, die Finanzierungen absichern – also zu materiellen Gegenwerten von an Börsen gehandelten Wertpapieren. Hier vollzieht sich, und dies schon seit rund zwei Jahrzehnten, ein gravierender Wandel, einer eigentlichen Umwälzung vergleichbar, die aber (noch) wenig spürbar ist. Dies war die Botschaft der Keynote, des Grundsatzreferats am diesjährigen Wohnforums, gehalten von Saskia Sassen, Soziologieprofessorin an der Columbia Universität in New York sowie profilierte und langjährige Stadtforscherin an der Schnittstelle zur Ökonomie. Sassen führte aus, wie die Millionen im Zuge der Finanzkrise von vor gut zehn Jahren in den USA bankrott gegangener Privathaushalte zu den so genannten asset-backed securities beitragen, also zu jenen bereits erwähnten, durch Aktiva abgesicherten Finanzierungen. Sassen konkretisierte, damals seien 15 Millionen Verträge für privates Wohneigentum abgeschlossen worden. Von den betroffenen 15 Millionen Haushalten hätten 14,5 ihr Haus oder ihre Wohnung verloren! Anders gesagt: Nur eine halbe Million konnte sich als Eigentümer halten. Weiter läge es gar nicht mehr im Interesse mancher Investor*innen, so Sassen weiter, dass die Immobilien vermietet würden. Wichtig sei vielmehr ihr materieller Gegenwert – für oftmals bekanntlich hochriskante Geldgeschäfte. Bauten sind, unter dieser Perspektive gesehen, materialisierte Sicherheiten bei Finanztransaktionen.

Das Interesse an der Veranstaltung war rege. Bild: Johannes Dietschi © ETH Wohnforum – ETH CASE
Boden

Was gleichzeitig wichtig wird, ist der Boden, auf dem eine Baute steht. Der Boden als eine Ressource, vergleichbar den Ressourcen Luft und Wasser. Und diese sind bekanntlich endlich. Und damit umkämpft. Hier knüpfte Jacqueline Badran an, Naturwissenschaftlerin, Ökonomin und Nationalrätin. Einleitend fragte sie ins Publikum, ob jemand wisse, wie hoch der Wert der Immobilien mitsamt dem Boden, worauf sie stehen, in der Schweiz sei? Genau wusste es niemand. Es sind vier Billionen, also 4’000 Milliarden oder eine Vier mit zwölf Nullen. Es handelt sich um das grösste volkswirtschaftliche Gut. Was heisst: Immobilien sind ein politisch hochbrisantes Thema: Deren Besitzer*innen entscheiden zu einem wesentlichen Teil über die Nutzung des Bodens. Immobilienbesitzer*innen verantworten – neben der öffentlichen Hand – zu einem Grossteil die Verfügbarkeit der zunehmend hart umkämpften Ressource Boden.

Saskia Sassen betonte, Europa mit seinen vielen, auch kleinen oder mittleren Städten nehme, vor dem Hintergrund weltweiter Entwicklungen, hierbei eine Sonderstellung ein. Die ganz grossen Umwälzungen vollzögen sich anderswo, in Afrika, Südamerika oder Asien. Doch zeigte sie eine Grafik, die – basierend auf Lebens- respektive Eigentumsverhältnissen westlicher Bevölkerungen – Folgendes verdeutlichte: Bis zum Ersten Weltkrieg war die Gesellschaft, jedenfalls im Westen, eine Feudalgesellschaft: Wenige reiche (Gross-) Grundbesitzer standen vielen grundsätzlich Armen gegenüber. Nach dem Zweiten Weltkrieg dann hatte sich eine starke Mittelschicht gebildet, mit dem Effekt, dass die Vermögen in der Bevölkerung relativ gut respektive breit verteilt waren. Diese Verteilung konnte sich bis gegen Ende des letzten Jahrhunderts halten. Wohin die Grafik nunmehr aber wieder deutlich weist, ist Richtung Feudalstruktur.

Das ist es, worauf Sassen mit dem Begriff der im Alltag unsichtbaren, jedoch gravierenden Umwälzung inhaltlich zielte. Es gilt achtsam zu sein bei allen Fragen nicht nur die Raumplanung, sondern auch Eigentums- und Steuerverhältnisse betreffend. Denn letztere wirken ebenso auf den Boden ein wie die Planung. Alle zusammen sind sie bodenwirksam – ergo: lebensraumwirksam.

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