«Es wird oft dort verdichtet, wo es am wenigsten Sinn macht»

Liza Papazoglou
30. März 2016
Hardau und Industriequartier Zürich. Bild: © Roland Fischer, Zürich, Wikimedia Commons

Das Interview erschien ursprüngich in der Zeitschrift «Wohnen» vom März 2016, dem Organ der Wohnbaugenossenschaften Schweiz.

Das Thema «bauliche Dichte» wird landauf, landab seit Jahren ausführlich diskutiert. Weshalb also Ihre Studie zur «Akzeptanz städtischer Dichte»?
Weil ich festgestellt habe, dass trotz aller Fachdiskussionen wichtige Grundlagen zum Thema fehlen. Es geht kaum je darum, was eigentlich die Bevölkerung erwartet von Verdichtung, welche Befürchtungen und Sorgen sie hat.
 
Die Diskussionen drehen sich immer nur um Architektur und Städtebau, um planerische Rahmenbedingungen und Zonenpläne. Dabei stimmen die Zonenordnungen aus den 1960er-Jahren nicht mehr mit der heutigen Realität überein: Es hat genau dort am meisten Spielraum für Verdichtung, wo die Leute diese nicht wollen. Und dort, wo Verdichtung am besten akzeptiert wird, hat man oft gar keine Reserven mehr.
 
Nämlich?
Betrachtet man die Städte, gibt es die meisten Reserven am Rand, in den durchgrünten Wohnquartieren; landesweit gesehen verfügen vor allem die schlecht erschlossenen Gemeinden über Reserven. Genau dort aber macht Verdichtung gesellschaftlich, wirtschaftlich und mobilitätstechnisch gesehen am wenigsten Sinn. Für die Siedlungsentwicklung nach innen ist es enorm wichtig, dass man nicht einfach «Lücken» auffüllt.
 
In Ihrer Studie beleuchten Sie vor allem die Stadt Zürich. Was lässt sich da zur Verdichtung feststellen?
Es gibt einen Faktor, der für sich genommen sehr vieles erklärt – auch zur Akzeptanz. Es geht darum, wie stark man seine eigene städtische Identität einschätzt, also ob man sich als «urbaner Innenstädter» fühlt oder nicht. Weder Alter noch Einkommen, sondern die städtische Identität entscheidet, wie man wohnen möchte und welches Verhältnis zur Stadt man hat. Die Studie zeigt, dass «Innerstädter» generell viel offener sind; sie haben eine hohe Akzeptanz gegenüber Veränderungen, baulicher Dichte, Hochhäusern und sozialer Durchmischung. Doch nur ein Viertel der Leute, die in der Stadt wohnen, suchen das Städtische auch im Wohnumfeld; über vierzig Prozent aber fühlen sich wohl im unaufgeregten Wohnquartier.

Verdichtung auf dem Zwicky-Areal in Wallisellen, Planungsstand 2015. Bild: Zanoni Architekten, Zürich.

Sie definieren vier Wohnpräferenzen: «urbane» oder «Innerstädter», die an durchmischten, innerstädtischen Wohnlagen wohnen; «Dörfler», die in grün und dörflich geprägten Lagen eher am Rand leben; Pendler, die gut ans S-Bahn-Netz angeschlossen sind; «Verankerte», die nur in ihrem aktuellen Wohnquartier leben möchten und die in der ganzen Stadt vorkommen. Zu welcher Gruppe zählen Genossenschafter?
Sie bevorzugen überdurchschnittlich die grün geprägten Wohnzonen, sind also vom Typ her oft «Dörfler». Das hat wohl auch historische Gründe und damit zu tun, dass viele Familien in Genossenschaften leben. Dann gibt es auch viele «Verankerte», die nur in ihrem aktuellen Wohnumfeld wohnen möchten. Damit entsprechen Genossenschafter mehrheitlich einem konservativen, bewahrenden Profil. Sie sind denn auch skeptischer als andere Befragte gegenüber dem Bevölkerungswachstum. Die vielbeachteten innovativen Projekte in Zürich sind also kaum repräsentativ für die Mehrheit der Genossenschaften.
 
Was bedeutet das nun, wenn man locker bebaute Quartiere verdichten möchte, wo Genossenschafter leben, die wie Dörfler ticken und entsprechende Werte hochhalten?
In grünen oder Randzonen sollte man Massstabsprünge möglichst vermeiden. Sonst riskiert man die Akzeptanz. Wenn es vom Umfeld her passt, kann man aber durchaus aufstocken und höher bauen. In der Studie habe ich gefragt, welche Form der Verdichtung man vorzieht. Genossenschafter haben viel deutlicher als alle anderen gewünscht, dass man auf der gleichen Grundfläche in die Höhe bauen soll. Verdichtung ist für sie solange akzeptabel, als grosszügiger Aussenraum erhalten wird. Aktuell wird beispielsweise bei einem Projekt bei der Europabrücke in Zürich Altstetten genau das realisiert: Dort werden dreistöckige durch siebenstöckige Bauten ersetzt, wobei der Fussabdruck des alten Gebäudes erhalten bleibt.
 
Sie sind der Meinung, dass man in vielen Fällen auf die maximale Verdichtung verzichten sollte?
Ja. Gerade in locker bebauten Gebieten muss man nicht ans Maximum gehen. Hier ist übrigens der Vergleich mit den von mir erstmals untersuchten Landgemeinden Niederglatt, Niederhasli und Oberhasli interessant. In den letzten Jahren sind viele kleine Gemeinden im Kanton unglaublich stark gewachsen, viel dynamischer noch als Zürich. Trotzdem gibt es dort grosse Vorbehalte bei der Verdichtung – aber andere: sie betreffen vor allem die Zuwanderung von Ausländern und Ortsfremden. Da fragt es sich schon, ob solche Gemeinden wirklich der Ort sind, wo man am meisten verdichten muss. Auch wenn man theoretisch ganze Wiesen zubauen könnte, macht es keinen Sinn, prinzipiell die Reserven auszuschöpfen. Man sollte Rücksicht auf die Befindlichkeiten nehmen.
 

Paradebeispiel der Verdichtung und der gemischten Nutzung: Die Genossenschaft Kalkbreite. Bild via pension-kalkbreite.net

Bei der Frage danach, was Wohnsiedlungen leisten sollten, haben Sie herausgefunden, dass die Nachfrage nach Arbeitsräumen gering ist. Gerade aktuelle Genossenschaftsprojekte sehen aber vermehrt solche Angebote vor. Müsste man umdenken?
Die Nachfrage wird in der Tat überschätzt. Die Studie zeigt, dass für viele der Arbeitsweg wichtig ist; ist er auch noch so kurz – er schafft willkommene Distanz zwischen Zuhause und Arbeit. Ansonsten decken die Leute den Bedarf an Arbeitsraum im privaten Wohnraum ab. Für gemeinsame Arbeitsräume im Wohnhaus interessieren sich einzig Junge und Leute mit wenig Geld oder Platz. Man muss daher entweder mit entsprechenden Konzepten arbeiten, die den privaten Wohnraum bewusst zugunsten gemeinsamer Räume verknappen, oder schlicht weniger solcher Räume planen.
 
Interessant ist auch, dass Genossenschafter zwar angeben, Gästezimmer, Gemeinschafts- und Bastelräume ihrer Siedlung zu nutzen. Gleichzeitig greifen sie aber häufiger auf professionelle Angebote etwa von Quartierzentren oder Restaurants zurück. Überschätzen Genossenschaften die eigenen Einrichtungen?
Man könnte das so sehen. Oder vielleicht schätzen Genossenschafter auch einfach die Wahlmöglichkeit durch das vielfältige, attraktive Angebot in der Stadt. Sie nutzen es jedenfalls rege.
 
Sie ziehen also den Schluss, dass die Überlagerung aller Tätigkeiten in einer Siedlung nicht den Bedürfnissen der Städter entspricht.
Ja, weil man in Städten sowieso viele Möglichkeiten auf kleinem Raum hat. Da muss man wirklich nicht alles in der eigenen Siedlung anbieten. Man sollte auch nicht unterschätzen, dass Gemeinschaftlichkeit nicht nur erwünscht ist, sondern auch Grenzen hat. Viele wünschen sich zwar eine gute Nachbarschaft, wollen aber auch eine gewisse Distanz und nicht ihre ganze Freizeit mit Nachbarn verbringen. Es ist wichtig, da eine gute Balance zu halten. Man sollte verschiedene Bedürfnisse abdecken, auch die nach Ruhe und Rückzugsmöglichkeiten, die zum Beispiel für viele ältere Menschen wichtig sind. Auf Siedlungsebene heisst das, unterschiedliche Wohntypen zu schaffen, mit «introvertierten» und «extrovertierten» Einheiten.

Die Umfrage haben Sie im letzten Sommer in Zürich durchgeführt. Sind die Resultate auf andere Städte übertragbar?
Ich denke schon. Städtische Qualitäten etwa dürften überall ähnlich definiert werden. Zum Beispiel, dass man kurze Wege schätzt oder sich öffentliche Räume aneignen kann. Ähnlich dürfte auch die Akzeptanz städtischer Dichte je nach Wohntyp sein. Die Aussagen, die man für Quartiere einer bestimmten Prägung machen kann, gelten sicher auch andernorts. Ob die Verhältnisse allerdings überall gleich sind, kann ich nicht beurteilen.
 
Und inwiefern lassen sich die Befunde auf andere Siedlungsräume übertragen?
Die Unterschiede zwischen Agglomeration und Stadt sind doch recht gross. Städter sind in jeder Hinsicht mobiler und offener, auch gegenüber Veränderungen. Dies zeigt zum Beispiel die Wohnmobilität, also die Bereitschaft, umzuziehen. Sie ist bei jungen Städtern extrem, bei älteren immer noch ziemlich hoch und beträgt im Schnitt 62 Prozent. In Bülach und den ländlichen Gemeinden liegt sie demgegenüber bei nur 45 bis 48 Prozent. Oder die Einstellung zur Verdichtung: Grundsätzlich lehnen sie in der Stadt Zürich 33 Prozent ab. In Bülach sind es 51 Prozent, in Niederglatt 60 Prozent. Diese unterschiedliche Veränderungsbereitschaft ist signifikant. Wenn die Skepsis so viel grösser ist, muss Verdichtung umso behutsamer angegangen werden.
 
Was raten Sie den Planern?
Viele Gebiete werden nach Vorstellungen entwickelt, die dort nicht hinpassen. Planer wissen oft nicht, was die Leute wollen, sondern orientieren sich nach ihren eigenen Vorstellungen und Überzeugungen. Ein guter Planer aber kann Abstand nehmen und überlegt sich, was an einem spezifischen Ort sinnvoll ist. Das gilt natürlich auch für die Agglomeration. Es gibt Architekten, die sie um jeden Preis «verstädtern» wollen und finden, man solle auch in der Agglo Blockrandbebauungen erstellen, weil diese Räume gut definieren und das «Chaos» beseitigen. Aber die Leute in der Agglo schätzen vielleicht die undefinierten Zwischenräume. Mit der geschlossenen Bauweise macht man das kaputt. Das finde ich problematisch. Planer müssen umdenken und genau hinschauen, was die Leute wollen.
 
Wie machen sie das am besten? Man kann kaum für jedes Projekt eine Umfrage durchführen.
Am einfachsten ist es, bereits Testplanungsprozesse anders zu gestalten. Lädt man dazu Menschen ein, die ihm Quartier leben und es gut kennen, kann man schnell und effizient wichtige Einschätzungen abholen und erfahren, was die Qualitäten eines Ortes sind. Mit einem solchen Vorgehen erzielt man ganz andere Resultate. Das wird leider noch zu selten gemacht. Stattdessen sitzen die Architekten vor ihrem «Reissbrett» und planen aufgrund der Bilder in ihren Köpfen. Es liegt in der Verantwortung der Bauherren, diese Prozesse sinnvoller zu gestalten. Gerade Genossenschaften, die oft mit partizipativen Prozessen arbeiten, können solche Instrumente nutzen. Und zwar nicht einfach, damit am Ende an der Generalversammlung ein Projekt durchkommt, sondern damit es wirklich bedarfsgerecht ist und ins Umfeld passt.


Joëlle Zimmerli (35) ist seit 2011 Inhaberin des sozialwissenschaftlichen Planungsbüros Zimraum Raum + Gesellschaft in Zürich. Die studierte Soziologin absolvierte einen Weiterbildungsmaster in Gemeinde-, Stadt- und Regionalentwicklung und doktorierte 2015 in Planungs- und Architektursoziologie. Sie ist Dozentin und Projektleiterin an verschiedenen Hochschulen und berät Gemeinden, Genossenschaften und andere Bauträger zu Fragen räumlicher Entwicklung und zu Wohnformen.

 
Die Studie «Akzeptanz städtischer Dichte» ist Anfang März 2016 von Zimraum publiziert worden. Sie untersucht zum dritten Mal seit 2011 die Haltung der Zürcher Bevölkerung zur städtischen Dichte und zur Wohnqualität. Die standardisierte schriftliche Befragung fand im Sommer 2015 statt. In der Stadt Zürich wurden 5000 zufällig ausgewählte Personen angeschrieben, teilgenommen haben 1072. Zum ersten Mal wurde die Befragung auch in Bülach (303 Teilnehmende) sowie den ländlichen Gemeinden Niederglattt, Oberglatt und Niederhasli (352 Teilnehmende) durchgeführt.

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