Hand anlegen

Inge Beckel
27. August 2015
Gleich zu Beginn des Studiums heisst's: Hand anlegen! Alle Bilder: uni.li

Im Jahre 1967 schrieb der Architekt, Architekturkritiker und Hochschullehrer Julius Posener den Aufsatz Apparat und Gegenstand. Darin meint er, sowohl die Welt der Apparate als jene der Gegenstände dienten uns. «Die Apparate indessen tun es auf eine indirekte und mysteriöse Art: indirekt, weil zwischen dem Druck auf den Knopf und dem Angehen des Lichtes ein unsichtbarer Aufwand von erheblichen Dimensionen liegt.»1 Das Licht erscheint uns heute harmlos. Was aber im Laptop genau passiert, dass, nachdem der Finger die T-Taste gedrückt hat, auf dem Bildschirm ein «T» erscheint – das verstehen nur die Wenigsten.

Gegenstände demgegenüber sind uns verständlich geblieben, sogar, was ihre Herstellung betrifft. Wenn wir wollen, sagt Posener, können wir die Herstellung eines Stuhls oder einer Tasse verstehen. Das Vertrauen Gegenständen gegenüber ist ein anderes als Apparaten gegenüber. Denn, lass ich eine Keramiktasse fallen, weiss ich, dass sie zerschellt. Warum aber ein Computer gelegentlich von einem Augenblick auf den andern aussteigt, ist meist nicht klar.

Letzthin habe ich gehört, dass Eltern, die mit ihren Kindern im Silicon Valley lebten, die Kinder überproportional oft in Rudolf Steiner-Schulen schickten.2 Sie wollten, dass ihre Kinder nicht nur mit Fingern Knöpfe drückten – oder Bildschirme berührten –, sondern mit den ganzen Händen arbeiteten. Im deutschen Wort be-greifen steckt ja das (mit der Hand) Greifen. Es geht also um mehr als um ein schnelles Berühren. In be-greifen steckt auch mehr als nur der Griff – be-greifen hat etwas von Verstehen.

Ein Resultat des Workshops mit der Gdansk University of Technology in Polen zum Thema Geflecht.

Lernprozess bewerten
Carmen Rist ist Modulleiterin Berufspraxis an der Universität Liechtenstein und am Institut für Architektur und Raumentwicklung für den Bereich Praxis zuständig. Sie sagt, der Standort Vaduz sei günstig für eine gute und intensive Zusammenarbeit mit Architekturbüros in Liechtenstein, der Schweiz und Vorarlberg, und vor allem mit Bauhandwerksbetrieben aus der Region.

In Vaduz werden konkret drei Programme angeboten, die Studentinnen und Studenten näher an die Praxis bringen. Schon während der Ausbildung haben die Vaduzer Hochschüler und Hochschülerinnen ein Bein in der Praxis. So ist im Bachelor-Studium die Berufspraxis zwingender Bestandteil der Ausbildung. Die Arbeit in einem Architekturbüro oder Betrieb kann stückweise über die Semester verteilt oder an einem Stück gemacht werden.

Nun ist es aber nicht nur ein Zertifikat, das verlangt wird und das bezeugen soll, dass die Studentin die ausgewiesene Zeit wirklich gearbeitet hat. In Vaduz wird – im Unterschied etwa zur ETHZ, wo Praktiken ebenfalls integraler Bestandteil des Architekturstudiums sind – der Lernprozess bewertet. Das heisst, der Student muss seine im Büro geleistete Arbeit einem Expertengremium präsentieren. Wird das Präsentierte als ungenügend bewertet, wird der Praxisteil wiederholt.

Integraler Bestandteil ist auch der Praxis-Workshop in der Einführungswoche ganz am Anfang des Bachelorstudiums, wo zusammen mit lokalen Betrieben ein reales Bauteil in Beton gegossen und am Ende der Woche ausgeschalt wird.

Bauen an den Siedlungen Tuass und Münz oberhalb von Triesen.

Workshops mit europäischen Partner-Unis
Das zweite Praxis-Angebot sind die von der EU geförderten Erasmus-Intensivprogramme. Im Rahmen einer Zusammenarbeit mit acht europäischen Partnerhochschulen wurden diese seit 2008 jeweils im Sommer als zweiwöchiger Workshop abgehalten. Koordinationsstelle war Vaduz, Carmen Rist hat diese zusammen mit Urs Meister, Architekt ETH und Professor an der Universität Liechtenstein, durchgeführt.

Im Rahmen dieser Workshop-Serie trafen sich die Partner-Unis 2008 mit Studierenden und Dozierenden an der Academie van Bouwkunst in Amsterdam zum Thema «Backstein», 2009 zum Thema «Stein» an der UCD Dublin in Irland, 2010 an der Royal Acadamy Copenhagen in Dänemark zum Thema «Beton», oder 2011 an der Sint-Lucas School of Architecture in Belgien zum Thema «Holz». Vor drei Jahren fand der Workshop an der Gdansk University of Technology in Polen statt. Hier war «Geflecht» das Thema. 2013 galt es den «Bewehrungsstäben»; Ort war die Universitat Polytécnica de Catalunya in Barcelona.

Letztes Jahr wurde der Workshop in den Liechtensteiner Bergen zum «Blockbau» abgehalten. In den Siedlungen Tuass und Münz oberhalb von Triesen auf 1400 bzw. 1700 m ü.M. konnten vier Heuhütten exemplarisch neu interpretiert und zu Ferienzwecken errichtet werden, die sich mit der Topografie und der Witterung genauso auseinandersetzen wie mit dem baulichen Erbe ihrer Nachbarschaft.

​Die erste Woche gehörte jeweils kleineren Experimenten mit dem behandelten Material und seinen Verarbeitungsmethoden sowie dem gegenseitigen Kennenlernen, die zweite Woche der gemeinsamen Erstellung eines grösseren Objekts. Die jungen Leute rekrutierten sich aus Vaduz und der jeweiligen Partner-Uni. Im Rahmen eines neuen Programms – genannt Erasmus+ – werden die aus der Workshop-Serie der Erasmus-Intensivprogramme gewonnenen Erfahrungen mit einem Design Studio verknüpft.

Seit Januar 2015 wird diese Kombination gemeinsam mit der Academie van Bouwkunst in Amsterdam und der Mackintosh School of Architecture in Glasgow erarbeitet. Dabei sollen im Laufe der drei Jahre an jedem Standort Workshops und Design Studios duchgeführt werden. Das Programm soll schliesslich zu einem festen Bestandteil des Curriculums werden. Die bisherigen Workshops beruhten auf Freiwilligkeit.

Summer School 2015, die in Zusammenarbeit mit dem Werkraum Bregenzerwald durchgeführt wurde.

Offene Sommerschule
Seit diesem Sommer 2015 gibt es das Programm Arts and Crafts – wobei hier nicht auf die englische Arts-and-Crafts-Bewegung des frühen 20. Jahrhunderts rekurriert wird, sondern auf Arbeitsmöglichkeiten im künstlerischen oder bildnerischen Gestalten einerseits und der Erarbeitung eines kunsthandwerklichen Gegenstands andererseits.

«Hands on in scale 1:1» nannte sich der Kurs der Summer School 2015, die in Zusammenarbeit mit dem Werkraum Bregenzerwald durchgeführt wurde. Dort steht noch bis zum Herbst das temporäre Zweiraum-Hotel – voll ausgestattet mit kleinem Bad und konfortablem Schlafbereich – das die Studierenden zusammen mit lokalen Handwerkern erbaut haben.

Im Unterschied zu den Erasmus-Intensivprogrammen, die für Studierende der Partner-Universitäten organisiert waren, können sich bei der Summer School Studierende aus der ganzen Welt anmelden. So nahmen diesen Sommer zahlreiche Hongkong-Chinesen teil oder Studentinnen aus Bulgarien und Costa Rica oder Studenten aus Kalifornien und Kanada. Auch sind Architektur-Touren Teil des zweiwöchigen Angebots.

Workshop in Dänemark zum Thema Beton.

Hands on oder Hand anlegen ist aktuell und zeitgemäss. Nicht nur, dass handwerklich orientierte Kurse boomen – man sehe sich beispielweise die Kurse vom Ballenberg an, die vom Mauerbau übers Polstern übers Kalken oder Weben oder Hobeln bis zum Glasmalen reichen (mehr hier) –, Hand anlegen kann einem die Welt ein kleines Stück be-greiflicher machen.


Anmerkungen
1Julius Posener, Apparat und Gegenstand (1967), in: Aufsätze und Vorträge 1931–1980, Bauwelt Fundament 54/55, Braunschweig 1981, S. 155.
2Gespräch mit Nina Rappaport, Zeigt her eure Arbeit, in: eMagazin, 15/15, hier (www.swiss-architects.com/architektur-news/hintergrund/Zeigt_her_eure_Arbeit_2738).

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