Mühsam, ja – aber noch immer aktuell

Inge Beckel
24. September 2015
Aus dem Büroprofil von Fabienne Hoelzel, Fabulous Urban.

Oberassistentinnen gibt es 32,8%; auf Bachelor-Niveau liegt der Frauenanteil bei 44,5%, wiederum bezüglich des Departements Architektur (D-Arch) der ETH Zürich. Die Zahlen sind dem Gender-Monitoring 2013/141 entnommen, das die Stelle für Chancengleichheit an selbiger Hochschule seit 2009/10 jährlich zusammenstellt. Bei der jüngsten Erhebung kann das Departement Bau, Umwelt und Geomatik einen Anteil von 17,2% aufweisen und jenes der Biologie einen von 19,2%. Dasjenige der Gesundheitswissenschaften und Technologie liegt mit 26,1% an Top-Position. Im best dotierten Departement schafft die ETH Zürich damit gerade mal ein gutes Viertel Professorinnen.
 
Schlechte Repräsentation: ein Zerrbild
Und im Departement Architektur liegt der Frauenanteil auf Führungsebene einer Professur also bei – schlappen – 12%. Nun fand erst kürzlich ein Kolloquium mit dem Titel «Historic Building Research and Conservation» statt, wobei es sich um Berufungsvorträge für die Nachfolge von Uta Hassler handelte. Unter den 5 Eingeladenen war eine Frau.2 Hassler ist eine der 4 Frauen der 37 Professuren am D-Arch.

Sie ist mühsam, diese Debatte, ja. Und es handelt sich keineswegs um eine Neuigkeit. Dennoch bleibt sie aktuell, leider. Seit Jahrzehnten wird ganz generell der tiefe Frauenanteil in leitenden Positionen beklagt. Vom Thema Lohnungleichheit einmal ganz zu schweigen.3 Auch in Architektur und Städtebau wird das Missverhältnis je grösser, desto «höher» respektive einflussreicher und besser bezahlt eine Stelle oder Position ist. Geht es um Macht und Einfluss, bleibt mann lieber unter sich.

Befragt man nun derlei Statistiken, geht es, wie gesagt, um mehr als nackte Zahlen. Es geht ganz grundsätzlich um die Vertretung der Frauen, um ihre Repäsentation in Positionen, die die Gesellschaft und Umwelt massgeblich mitgestalten. So stehen die oben genannten Prozentzahlen den 50,55% gegenüber, die Frauen in der Bevölkerung ausmachen.4 Begreift man Architektur und Städtebau – die gebaute Umwelt – als Ab- oder Spiegelbild einer Gesellschaft, so muss man ohne Übertreibung von einem veritablen Zerrbild sprechen.

Aus dem Büroprofil von Barbara Neff und Bettina Neumann, neff neumann.

Mehr und andere Schwerpunkte setzen
Der quantitative Frauenanteil und ihr Einfluss auf die Gestaltung unserer Umwelt klaffen also leidlich auseinander. Als Akteurinnen und gestalterisch massgebend Verantwortliche sind Frauen damit massiv untervertreten. Nun kann man sagen, die gebaute Umwelt müsse primär gut gestaltet sein. Das ist richtig, dem ist sicherlich zuzustimmen. Die Frage aber ist, ob diese Umwelt insgesamt etwas anders, allenfalls gar etwas besser gestaltet wäre, wenn mehr Frauen in verantwortlichen Positionen im Planungs- und Bauprozess involviert wären.

Die Umfrage5, die John Hill von World-Architects unter ausgewählten Architekturbüros durchgeführt hat, die von Inhaberinnen geführt werden (die Interviews sind in unserem eMagazin 38|15 auf Deutsch erschienen), hat gezeigt, dass jedenfalls gewisse Frauen meinen, dem sei so. Während etwa die Amerikanerin Winka Dubbeldam auf die Frage: «Haben (die meisten) Frauen im Vergleich zu (den meisten) Männern eine andere Herangehensweise an Architektur?» antwortete, «Ich wüsste nicht, welche!», gibt es jedoch auch andere Stimmen.

Da wird beispielsweise gesagt, dass Frauen beim Entwerfen die Schwerpunkte anders setzen. Oder dass der weibliche Ansatz die Berücksichtigung von mehr abweichenden Meinungen erlaubt, bevor man zu einer Entscheidung gelangt. Dass Männer ihre Arbeit stärker von der technischen Seite angehen. Oder dass die alltags- und familienorientierte Sicht bei Frauen mehr im Vordergrund steht. Die Belgierin Christine Conix spricht gar von einem «emotionalen Quotienten», der ein jedes Gebäude hat. Und diese Emotionen, sagt Conix, werden meistens von Frauen in den Architekturprozess eingebracht.
 
Unterschiedliche Erfahrungen führen zu Vielfalt und Komplexität
Gleichzeitig ist klar, Frauen sind keine homogene Gruppe – genauso wenig wie es Männer sind. Entsprechend denken, fühlen und arbeiten Frauen unterschiedlich. Das ist aber just der Punkt. Indem die Palette jener, die an der Gestaltung der Umwelt beteiligt werden, vielfältiger wird, kann auch die Umwelt vielfältiger, ja «bunter» werden. Jede Architektin und jeder Planer arbeitet vor dem Hintergrund respektive mit dem «Rucksack» der eigenen, persönlichen und situativen Erfahrungen. Disziplin, Ausbildung, Praxiserfahrung – das ist die eine Seite der Arbeit. Die eigene Person mit ihrer jeweiligen Lebensgeschichte und -erfahrung, das ist die andere. Alles zusammen wirkt auf die Arbeit ein.

Werden die Einflüsse vielfältiger (und lässt man sie zu!), werden Architektur und Städtebau komplexer. Sie werden teilweise wohl auch chaotischer, unübersichtlicher und dichter, ebenso facettenreicher, sinnlicher und lebensnaher. Vergegenwärtigt man sich nun etwa die wiederkehrend auftauchenden Klagen6 über Monotonie in der Architektur, so darf man die These wagen, dass eine grössere Repräsentation der Bevölkerung unter den Architekturschaffenden zu weniger Gleichförmigkeit und entsprechend mehr Vielfalt wie Komplexität führen würde.

Nochmals, es geht nicht allein ums Quantitative, um Zahlen, Anteile, Löhne und Anzahl Professorinnen. Obwohl diese sehr wichtig sind. Es geht ebenso ums Nicht-Messbare. Anders gesagt, ums Qualitative. Beispielweise um Dinge oder Momente wie Lebensnähe und Alltagsferne, um Abhängigkeiten und um Eigenständigkeit. Oder darum, wie technische Innovation gewichtet wird? Wie Atmosphäre? Teamarbeit und Vernetzung? Oder wie wichtig ist es, dass der eigene Name im Vordergrund steht? Oder wie gut eigene Interessen und Anliegen vertreten und in der Folge durchgesetzt werden? Etwas, das Frauen oft schmerzlich fehlt.

Aus dem Büroprofil von Zita Cotti, Zita Cotti Architekten.

Vorbilder tun not
Nun muss man einräumen, dass bei Fragen nach dem Verhältnis der Frauen in Architektur und Städtebau heute schon da und dort «der Schuh drückt». Schadet doch ein zu grosses Ungleichgewicht dem Wohlbefinden manch eines Verantwortlichen. Ein zu grosses Ungleichgewicht kann überdies dem Image wie auch dem Ergebnis in international durchgeführten Ratings schaden – schliesslich leben wir im Jahre 2015.

Das Thema ist unbestritten ein vielschichtiges. Entsprechend viele Antworten gibt es – wozu sicherlich jene der schwierigen Vereinbarkeit von Familie und Karriere gehört –, warum so wenige Frauen in Toppositionen von Architektur und Städtebau und generell in Gesellschaft und Umwelt gestaltenden Positionen zu finden sind. Doch geht es zuguterletzt genau um diese Umwelt und Gesellschaft, die Spiegelbilder unserer Gesellschaft sind. Welche Bilder also wollen wir sehen? In welcher Gesellschaft leben? Und wie soll unsere Umwelt gestaltet sein?

In den kommen Monaten und Jahren steht die Neubesetzung vieler Professuren am Departement Architektur der ETH Zürich an.7 Es ist also der Moment, sowohl Image als auch Repräsentation der Institution zu heben. Denn es kann schlichtwegs nicht sein, dass im Jahre 2015 so wenige Frauen ordentliche Professorinnen sind. Zudem geht es um Vorbilder. Professorinnen sind Vorbilder für junge Studentinnen. Um schliesslich endlich vorwärts zu kommen, muss man vielleicht sogar auf das unbeliebte Mittel einer Quotenregelung greifen. Zumindest so lange, bis sich die Verhältnisse verbessert haben.


Anmerkungen
1 Gender-Monitoring der ETHZ, 2013/14, hier
2 Kolloquium «Historic Building Research and Conservation», Hönggerberg, ETH Zürich, 21./22. September 2015
3 Lohnungleichheit gemäss Bundesamt für Statistik, hier
4 Bevölkerung nach Geschlechtern gemäss Bundesamt für Statistik, hier
5 John Hill, «A Short Survey of Women in Architecture», auf: World-architects.com, 13. April 2015, hier; zur deutschen Fassung gehts hier.
6 Vgl. exemplarisch Felix E. Müller, «Können Schweizer Architekten denn nur langweilig bauen?», in: NZZaS, 20. Mai 2012
7 Vgl. dazu auch Susanne Schindler, 33 zu 4. Mehr Frauen an die ETH Zürich!, in: Werk, bauen + wohnen, 6/2015, S. 48. Oder Michael Kuratli, Falsch gebaute Karriereleiter, in: ZS, Zürcher Studierendenzeitung, 18. September 2015, hier.


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