Wiener Moderne reloaded

Susanna Koeberle
30. November 2017
Zimmer von Roland Nemetz. Bild: Marisa Vranjes

Wenn man entscheidet nach dem Apéro an der Bar, das Hotel nicht mehr zu verlassen, dann ist das schon mal ein gutes Zeichen. Was in konkretem Fall nicht unbedingt heissen muss, dass man einen Drink zu viel hatte, sondern einfach auf dem gemütlichen Sofa sitzen blieb, im Salon etwas ass, Zeitung las und die schöne Stimmung genoss. So geschehen im Hotel «Altstadt Vienna», das auch mit seinem «Roten Salon» wirbt. In den grosszügigen, ausgedehnten Räumlichkeiten, in denen im Winter ein Chemineefeuer lodert, nehmen die Gäste auch das Frühstück ein. Am Nachmittag werden Tee und Kuchen serviert, abends sind neben den Drinks und den lokalen Weinen verschiedene Speisen erhältlich. Man fühlt sich schnell wie daheim in diesem Wiener Etablissement. Obwohl: Das ist nicht ganz korrekt oder muss präzisiert werden. Sich «daheim» oder «wie zu Hause» fühlen sind zwei verschiedene Dinge. In eine Stadt reist man ja um des Fremden und Neuen willen, nicht um das zu erleben, was man eh schon kennt. Deswegen sind Abstecher in neue Welten ja auch so spannend. Dass man sich für dieses Erlebnis nicht immer ins Getümmel der Stadt stürzen muss, ist ein Privileg, das nur wenige Unterkünfte auf Zeit bieten können.

​Das «Altstadt Vienna» bietet dies allemal. Man spürt schnell, dass hier viel Wert auf Stil und gutes Design gelegt wird – und das bis ins letzte Detail. Dazu gehört auch das Pflegen eines ungewöhnlichen Hotelkonzepts. Inhaber Otto E. Wiesenthal, der das Hotel vor 26 Jahren gegründet hat, startete sein Projekt mit wenigen Zimmern. Das Besondere daran ist nicht nur, dass sich die Anzahl der Zimmer seither mehr als verdoppelt hat, sondern auch, dass kein Zimmer dem anderen gleicht und er für die Interieurs jeweils mit verschiedenen Architekten und Designern zusammengearbeitet hat. Auch dass er im 1907 erbauten, typischen Wiener Gründerzeithaus Mieter ist, ist untypisch. Beim Betreten des Gebäudes hat man deswegen nicht das Gefühl, man sei in einem Hotel gelandet, eher bei Freunden in Wien zu Besuch. Vom gemeinsam genutzten Treppenhaus aus führen in den oberen Etagen Flure in die unterschiedlichen Zimmer. Im ersten Stock befinden sich die Rezeption und der eingangs erwähnte Salon. Das aparte Dekor der Wände, die Kunst, der man überall im Haus begegnet, sowie der modern gestaltete Eingang zur Rezeption, zeigen an, dass dies kein gewöhnliches Hotel ist. Dass dieser architektonische Eingriff mit seiner etwas übertrieben expressiven, geometrischen Form bereits etwas aus der Mode ist, ist eigentlich der einzige Minuspunkt, den man in Sachen Stil geben müsste. Aber das ist natürlich auch Geschmackssache. Und an der Befriedigung verschiedenster Geschmäcker mangelt es wahrlich nicht in diesem Haus.

Josef-Frank-Suite. Bild: Altstadt Vienna

Grosse Vielfalt
​Bei den Zimmern ist nämlich die Auswahl immens. Selbst ein emsiger Sammler schöner Dinge (das sieht man vor allem an den wunderschönen Exemplaren alter Leuchten) hatte Wiesenthal später die Idee, für die Gestaltung der Zimmer mit Architekten und Designern zu kooperieren. Für die ersten Architektenzimmer  beauftragte er den Südtiroler Matteo Thun, der seinen in dunklen Tönen gehaltenen Räumen einen Touch Exzentrik verlieh. Roter Samt und alte Kronleuchter erinnern an einschlägige Etablissements, was nicht verwunderlich ist, liess sich der Architekt doch von der berühmten Wiener Dirne Josefine Mutzenbacher inspirieren. Wer es lieber bunter und fröhlicher hat und hochwertiges Design schätzt, sollte die Josef-Frank-Suite testen. Der österreichische Architekt und Designer, der in den 1930er-Jahren aufgrund seiner jüdischen Herkunft nach Schweden ins Exil floh, gehört zu den wichtigsten Gestaltern des 20. Jahrhunderts. Seine Entwürfe werden heute immer noch von Svenskt Tenn vertrieben und hergestellt. 2016 lud Wiesenthal Jennie Pineus, Direktorin des Svenskt-Tenn-Interiordesign-Studios, nach Wien ein, um für das Altstadt Vienna ein Josef Frank Zimmer zu gestalten. Ein freundlicher, lichter Raum, der subtil mit Farben, Mustern und Materialien umgeht, und in dem man gerne auch tagsüber verweilt.

Zu den aktuellsten Neuzugängen gehören die vier von namhaften österreichischen Architekten und Designern gestalteten Zimmer: Adolph Krischanitz, Gregor Eichinger, Lilli Hollein und Markus Eiblmayr sowie Roland Nemetz (der auch für die Erweiterung des Salons verantwortlich zeichnet) liessen sich auf das Experiment Hotelzimmer ein und entwarfen teilweise speziell für die Zimmer eigene Stücke. Im Gespräch mit Lilli Hollein (Gründerin und Direktorin der Vienna Design Week) und ihrem Mann Markus Eiblmayer wird die Bedeutung von Design für die Stadt Wien deutlich. Die angewandten Künste haben in dieser Stadt eine lange Tradition. Kunst, Kunsthandwerk, Gestaltung und Architektur wurden in der Wiener  Moderne als Einheit angesehen. Auf diesem Humus gediehen etwa die Vereinigungen der «Wiener Werkstätte» und der «Wiener Secession» mit Namen wie Josef Hoffmann, Kolomann Moser, Otto Wagner oder Gustav Klimt, um nur die Bekannteren zu nennen. Dass diese kreative Energie nach einem zwischenzeitlichen Dornröschenschlaf seit einigen Jahren wieder in Bewegung gekommen ist, zeigt das Zimmer von Hollein und Eiblmayer.

Das Zimmer von Lilli Hollein und Markus Eiblmayer. Bild: Georg Bodenstein

Zeitgenössische Gestaltung
​Sie setzten bei ihrem Zimmer bewusst auf junges österreichisches Design gepaart mit Wiener Klassikern und internationalen Elementen. «Das Schöne an diesem Auftrag war, keinen Corporate Style umsetzen zu müssen, sondern ein Zimmer mit Charakter zu kreieren, an das man sich gerne zurückerinnert», sagt Hollein. Die Atmosphäre lebt von der Piero-Fornasetti-Tapete mit dem Wolkenhimmel, die etwas Dramatisches und zugleich Leichtes ausstrahlt. Die Leuchten stammen aus der historischen Werkstätte von Carl Auböck, die heute in der vierten Generation geführt wird. Den Teppich haben die beiden Wiener Kreativen speziell für diesen Raum entworfen; Diwan, Sekretär und Wandhaken entstanden als Kooperation zwischen der Vienna Design Week und Interio. Die Sessel sind ein Entwurf von Marco Dessi (Wittmann), der Luster mit dem für Wien typischen Spiegelmotiv ist vom Duo «ChmaraRosinke». Im Zimmer befindet sich auch ein markantes Gallery Piece von Tobias Menschhorn. Erwähnenswert sind auch die handgefertigten Badezimmerfliesen aus der Voralberger Manufaktur «Karak», die man hierzulande auch aus dem Hochhaus und dem Café «Salon» von Loeliger Strub in Zürich kennt. Gerade was die hohen Anforderungen an Qualität betrifft, scheinen sich das Hotel und die beiden Designer gefunden zu haben. Für das Entwerfen ihrer Hotelzimmervision liess man ihnen freie Hand. Das Resultat ist ein Einblick in die pulsierende Designszene Wiens.

Diese entdecken kann man übrigens zurzeit (und nur noch bis Ende Januar 2018) auch im temporären Designshop «Rienna» mitten im 1. Bezirk am Michaelerplatz. Verantwortlich für das Konzept ist das Kollektiv friendship.is in Zusammenarbeit mit Elli Schindler von apart. Dort findet man von Kleidern, über Objekte bis zu Seifen alles Produkte, die in Wien oder näherem Umkreis gestaltet und hergestellt wurden.
 

Der temporäre Designshop vereint junges Wiener Design. Bild: Ian + Ehm

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