Catherine De Wolf: «Man muss lernen, KI zu seinem Vorteil zu nutzen»

Katinka Corts
18. September 2024
Catherine De Wolf (Foto: Nicole Davidson)

Während manche Planende noch fürchten, durch KI-basierte Programme und Werkzeuge ihre Arbeit zu verlieren, lässt sich Catherine De Wolf nicht beirren. Die junge Assistenzprofessorin der ETH Zürich betrachtet die Kreislaufwirtschaft im Bauen in fünf Abschnitten und implementiert digitale Arbeitsweisen in jeden dieser Prozessschritte. So lässt sich schon heute die Erkundung und Analyse der vorhandenen Bausubstanz mithilfe von 360-Grad-Ansichten aus der Strassenperspektive (zum Beispiel aus Google Street View) vereinfachen, wenn automatisiert Baumaterialien erkannt und klassifiziert werden. Algorithmen lesen dabei die Bilder aus, gleichzeitig wird momentan der Erkennungsprozess optimiert. Je mehr der aufgenommenen Informationen verwertbar sind, desto besser gelingt es später, Muster zu erkennen und Bauteile für die Wiederverwendung zu katalogisieren.

Catherine De Wolf und ihr Team an der ETH Zürich (Foto: Giulia Marthaler)
«Die Leute haben immer Angst, dass der Architekt durch KI ersetzt wird. Ich denke nicht, dass es so sein wird. Vielmehr wird der Architekt durch einen anderen ersetzt werden, der KI benutzt.»

Catherine De Wolf

Am Lehrstuhl Circular Engineering for Architecture (CEA) entwickeln die Forschenden auch neue Methoden, mit denen die KI selbst lernen kann, möglichst genaue Daten zu erstellen. «Wissen wir zum Beispiel, dass ein Gebäudekomplex bald abgerissen wird, können wir die Materialien digital inventarisieren und für neue Gebäude bereitstellen», so De Wolf. Diese Arbeit manuell zu erledigen, würde den Vorgang verteuern und das Vorhaben womöglich unwirtschaftlich machen. Nach dem Abbruch von Bauwerken helfen digitale Methoden dabei, einzelne Baustoffe zu sortieren sowie Listen und Bauteilarchive zu erstellen. Auf diese wiederum können Planende neuer Projekte dann zugreifen und schliesslich für die Fertigung digitale Fabrikationsmethoden einsetzen. Sie sei neuer Technologie gegenüber niemals naiv und bedenke immer auch deren Gefahren, erklärt De Wolf. «Statt aber darin ein Problem zu sehen, setzen wir KI ein – sonst macht es jemand anderes.»

In der Entwurfsphase versteht De Wolf KI eher als kreativen Partner, als eine Art Co-Piloten. Denn für wirklich kreative Vorgänge können KI-basierte Programme zum aktuellen Zeitpunkt nicht eingesetzt werden, da sie stets mit vorhandenen, vorher eingegebenen Daten arbeiten. Gemeinsam mit ihren Mitarbeitenden nutzt sie die Möglichkeit, mit KI zu experimentieren und so auf neuartige, manchmal auch ungewöhnliche oder bisher undenkbare Ansätze zu kommen. «Die Programme ›denken‹ aber nicht wie wir, was hin und wieder zu ziemlich verrückten Gebäudeentwürfen führt», so die Ingenieurin.

Über digitale Ketten werden am Lehrstuhl CEA Alt- und Neubauten verknüpft. (Grafik: Deepika Raghu)

De Wolfs Doktorandin Vanessa Schwarzkopf arbeitet an einer generativen KI, die kreative Inputs entwickelt, die dann wiederum von Menschen auf ihre Tauglichkeit hin bewertet werden. Es sei eine Art Dialog mit der KI, und je mehr man sich mit ihr unterhalte, desto mehr «verstehe» sie, was man beabsichtige. «Vanessa zeigte uns einmal ein Beispiel aus der Modebranche: Der Künstler Robbie Barrat hatte eine KI beauftragt, eine Handtasche zu entwerfen. Auf dem Bild war eine Person zu sehen, die eine Handtasche am Bein trug», lacht De Wolf. «Natürlich dachten wir, das sei albern, aber auf so eine Idee wären wir nicht gekommen, weil wir vorgefertigte Bilder in unseren Köpfen haben. Ähnliches passiert bei Ideen für Möbel oder Gebäude.» 

Werden am Lehrstuhl Projekte aus wiederverwendeten Materialien entwickelt, eröffnet die Nutzung von KI neue Möglichkeiten. Muss man wirklich bei bekanntermassen effizienten Formen bleiben? Oder kann man auch Gewagteres erschaffen, wenn die Form mithilfe von KI entwickelt und optimiert wurde? Diese und ähnliche Fragen stellt man sich in Zürich und sucht Wege, von den neuen Technologien zu profitieren. «Wir merken, dass es bisher immer noch einen Menschen braucht, der dafür sorgt, dass alles gut steht und sinnvoll ist», sagt Catherine De Wolf. «Wir befinden uns aber auch noch ganz am Anfang, weil die generative KI ziemlich neu ist. Ich erwarte also, dass sich das sehr schnell weiterentwickelt.»

«Besser lernt man, KI zu seinem Vorteil zu nutzen. Denn dadurch werden einige Prozesse viel schneller und damit günstiger. Ansonsten ist man bald einfach teurer als andere, die KI nutzen.»

Catherine De Wolf

Studierende von Catherine De Wolfs Lehrstuhl zerlegen einen Musikpavillon und sortieren die Bauteile für die Weiterverwendung. (Foto: © ETH Zürich, Chair of Circular Engineering for Architecture, Buser Hill Photography)

Die hohe Entwicklungsgeschwindigkeit sei ihr besonders aufgefallen, als sie die Arbeit ihrer anderen Doktorandin, Deepika Raghu, las. Sie hat diese in nur drei Jahren verfasst und verteidigt sie demnächst. «Zwischen dem ersten und dem letzten Kapitel habe ich bemerkt, dass die KI sich sehr schnell weiterentwickelt hat», so De Wolf. «Was vor drei Jahren noch gängige Praxis war, macht man heute nicht mehr. Das ist faszinierend.» Neu gebe es etwa das Zero-Shot-Learning, bei dem eine KI neue Konzepte erkennt und erlernt, für die sie nicht direkt trainiert wurde, indem sie Wissen aus verwandten Beispielen oder Beschreibungen nutzt. «Diese Dinge waren vor drei Jahren unmöglich, weil es die Technologie noch nicht gab.»

Dieses Tempo hält auf Trab und zwingt dazu, sich ständig weiterzuentwickeln und zu lernen. Catherine De Wolf findet das aufregend: Es sei enorm spannend, so hautnah eine neue Technologie wachsen zu sehen. «Das ständige Dazulernen ist auch ein Grund, warum ich Professorin geworden bin», fasst sie zusammen. «Ich habe mit meinen Studierenden an der ETH genau das richtige Umfeld, um meine Forschung voranzubringen.»

 

Catherine De Wolf forscht als Assistenzprofessorin am Lehrstuhl Circular Engineering for Architecture der ETH Zürich. Sie ist Mitbegründerin mehrerer Unternehmen, darunter Anku und das DiCE-Labor. Außerdem ist sie Beiratsmitglied von Design++ sowie Dozentin am ETH AI Centre, dem Nationalen Forschungsschwerpunkt Digitale Fabrikation und an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA).

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