Die Wege der Kunst

Susanna Koeberle
21. Februar 2022
Igshaan Adams, «Kicking Dust», Kunsthalle Zürich, 2022, Installationsansicht (Foto: Annik Wetter)

 

Wie man sich in einem Ausstellungsraum bewegt, trägt zur Wahrnehmung eines Kunstwerks bei. Sind die Wege vorgezeichnet oder werden die Besucher*innen eingeladen, sich frei zwischen den Werken zu bewegen? In Igshaan Adams’ Ausstellung «Kicking Dust» in der Kunsthalle Zürich gibt es keine hierarchische Gliederung des Raumes. Die raumfüllende Installation besteht aus liegenden und aufgehängten Teppichen sowie von der Decke baumelnden Artefakten. Man nimmt zunächst ein grosses Ganzes wahr, eine Art unscharfer Wolke, bestehend aus mehreren Elementen. Ist das der «Dust», von dem im Titel die Rede ist? Beim Besuch der Ausstellung fällt eines besonders auf: Der Raum besitzt eine stark entschleunigende Wirkung. Die Schritte werden gemächlicher, es fühlt sich so an, als würde man so leicht wie die schwebenden Skulpturen aus filigranem Draht und bunten Glasperlen. Mal stellt man scharf und sieht Fäden und Perlen, mal verschwimmt alles zu einem vibrierenden Körper. Dieses Wechselspiel zwischen klein und gross öffnet einen neuen Raum: Darin können Besucher*innen sich einfach der Erfahrung von Schönheit hingeben, aber es können durchaus auch Fragen zur Machart dieser Artefakte entstehen. Der handwerkliche Aspekt der Objekte wird dabei zur Metapher für die Suche nach Identität beziehungsweise für das Akzeptieren einer Mehrfachidentität.

Der südafrikanische Künstler sprach im Vorfeld der Eröffnung an den Engadin Art Talks über seine Arbeit und gab Einblick in seine Arbeitsweise. Das tat er allerdings nicht im «So-mache-ich-das-eben»-Modus, er vermittelte vielmehr ein berührendes Bild seines Werdegangs und liess das Publikum auch an intimen Gedanken und Geschichten teilhaben. Adams ist Ende der 1980er-Jahre, also während der letzten Phase der Apartheid, in einer segregierten Township in Kapstadt aufgewachsen. Als Kreole mit malaiischen Wurzeln wurde Adams als «Farbiger» klassiert. Diese Zuschreibung ist eine Form des Ausschlusses; diese Tatsache wird durch den Umstand unterstrichen, dass der Künstler als bekennender Homosexueller in einer gemischt religiösen Gemeinschaft gross wurde. Adams ist praktizierender Muslim wie sein Vater, seine Grossmutter mütterlicherseits, die ihn aufzog, ist Christin. Seine künstlerische Praxis kann als Versuch der Befreiung von seinem biografischen Hintergrund gelesen werden; sie ist aber zugleich eine Hommage an diese Mehrfachidentität. Neben ihrer politischen Konnotation ist seine Arbeit auch ein Kommentar zu einem männlich-weiss dominierten Kunstkanon. Mit anderen Worten: Seine Arbeit verwebt ein persönliches mit einem kollektiven Narrativ.

 

Igshaan Adams, «Kicking Dust», Kunsthalle Zürich, 2022, Installationsansicht (Foto: Annik Wetter)

 

Für Igshaan Adams ist Kunst nichts Entrücktes, sie ist Trägerin der Spuren, die das Leben hinterlässt. Adams Arbeiten widerspiegeln die verschiedenen Identitäten, die seine Geschichte prägen – dies allerdings, ohne ins Anekdotische oder Private zu kippen. Kunst übersteigt das Leben: Es ist genau ihre Künstlichkeit, die sie paradoxerweise zu einem Allgemeinplatz macht. Adams’ Werk richtet sich an alle. Denn wer kann von sich behaupten, nur aus einem «Stoff» zu sein? Genauso wie viele Fäden einen Teppich bilden, sind auch die Stränge eines jeden Lebens divers. Zusammen bilden sie gleichsam den Text des Lebens; diese Geschichte gleicht einem grossen Teppich. In der Familie des Künstlers war Handwerk omnipräsent, das Herstellen von Gegenständen geschah in erster Linie aus Not. Diese Atmosphäre prägte Adams stark, denn sie vermittelte ihm auch das Gefühl einer Gemeinschaft. Auch seine textilen Kunstwerke entstehen häufig im Kollektiv. In seinem Studio weben verschiedene Frauen an den Teppichen, und auch seine Familie hilft manchmal mit. Das Handwerk des Webens ist eine uralte Kulturtechnik, die etwas Universelles hat. 

 

Igshaan Adams’ kollektive Produktion in der A4 Arts Foundation in Cape Town, 2020 (Foto: mit freundlicher Genehmigung der A4 Arts Foundation)

 

Einzelne Teppicharbeiten, die in der Kunsthalle zu sehen sind, erzählen auch etwas über Räume, denn diese enthalten ja jeweils Spuren ihrer Benutzer*innen. Man könnte fast sagen, die Räume, in denen wir leben, seien Teile von uns. Grosse Körper, die aus den Körpern der Bewohner*innen bestehen. Inspiration für diese Serie von Textilarbeiten war der Besuch des Künstlers in verschiedenen Townships. Dabei beobachtete er die Spuren auf den Böden, die durch die jahrelange Nutzung entstanden waren. Sie sehen fast aus wie Wege in einer Landschaft. Der Bodenbelag wird zum Stellvertreter für die Geschichte der Menschen, die darin leben. Diese abstrakten «Bodenbilder» übertrug Adams in Teppiche. In seinen textilen Arbeiten wendet der Künstler verschiedene Strategien des Transfers an. Textilien werden zu Informationsträgern der unterschiedlichen Aspekte seiner Biografie. Wenn ich als Besucherin aber durch den Ausstellungsraum mit den Teppichen und den Glasperlenskulpturen gehe, zeichne ich meine eigenen Wege. Adams Kunst schafft eine Brücke zwischen Individuum und Kollektiv sowie zwischen unterschiedlichen kulturellen, gesellschaftlichen und religiösen Codes. 

 

Die Ausstellung «Kicking Dust» ist noch bis zum 22. Mai 2022 in der Kunsthalle Zürich (Limmatstrasse 270, 8005 Zürich) zu sehen.

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