Eine eigenwillige Sicht auf Architektur

Susanna Koeberle
1. März 2019
«Isa Genzken», Kunsthalle Bern, Installationsansicht, © 2019, ProLitteris Zurich. Bild: Gunnar Meier 

«Fuck the Bauhaus» heisst eine Serie von Skulpturen von Isa Genzken. Die «Hochhäuser» bestehen aus kunterbunt zusammengesetzten Fragmenten aus dem banalen Alltag. Billige Versatzstücke aus dem Baumarkt, eine Pizzaschachtel, allerlei Krimskrams oder farbige Plastikstücke. Sie sind also eines nicht: dogmatisch. Und sie beweisen zudem, dass Isa Genzken gar nichts gegen Architektur hat. Im Gegenteil: Es gibt kaum eine zeitgenössische Künstlerin, deren Arbeiten sich so stark an die Architektur anlehnen und die sich so offensichtlich von Städten und ihren Räumen inspirieren liess. Das zeigt auch die Ausstellung in der Kunsthalle Bern sehr schön. Manchmal wähnt man sich sogar in einer Architekturausstellung, vor lauter Modellen (einzelne Projekte wurden tatsächlich realisiert, andere kamen nicht zustande). Schaut man genauer hin, sieht man mehr als «nur» Architektur und bemerkt dabei den scharfsinnigen Humor der Künstlerin, ihre präzisen Kommentare zum und ihre Vorschläge für den gebauten Raum; ihre Faszination für Grossstadtkultur, überhaupt für Städte. Für New York etwa, wo sie immer wieder Zeit verbrachte. 

Installationsansicht, © 2019, ProLitteris Zurich. Bild: Gunnar Meier 

Dem A&T-Gebäude des von ihr verehrten Architekten Philipp Johnson setzte sie kurzerhand Antennen auf. Frech? Durchaus, denn mit dieser einfachen Geste hinterfragt sie die Monumentalität des Entwurfs und benennt auch auf ironische Weise die Funktion des Gebäudes als repräsentatives Aushängeschild einer Kommunikationsfirma. Während den Anschlägen auf das World Trade Center war Isa Genzken in New York. Daraus resultierten später verschiedene Vorschläge für ein Ground Zero Memorial. Einen davon bekommt man auch in der Ausstellung zu sehen. Zwei Türme aus transparenten Plastikboxen, wie man sie von Shopdisplays kennt. Die Konstrukte stehen auf Holzplatten, die mit Rollen ausgestattet sind. Dieses Gefühl der Instabilität und Verunsicherung wird durch die roten und silbernen Klebebänder unterstützt, welche die einzelnen Teile zusammenzuhalten scheinen. Dazwischen sehen wir Fotos des kollabierenden World Trade Centers. Hier kommen Zorn und Zärtlichkeit zusammen, es ist eine Liebeserklärung, die zugleich humorvoll und pathetisch ist. Zu stehen kam in der Nähe des Ground Zero letztes Jahr ihre acht Meter hohe Rose aus bemaltem Stahl: eine Hommage an New York.

Installationsansicht, © 2019, ProLitteris Zurich. Bild: Gunnar Meier 

Die Bandbreite ihres langjährigen Schaffens, das verschiedene Medien mischt sowie Stilrichtungen umfasst, kommt auch in der Kunsthalleschau zum Tragen. Moden interessieren Isa Genzken nicht, sie pflegt eine eigene Sprache, kümmerte sich nicht um Strömungen und Zugehörigkeiten. Vielmehr wohnt ihrem Werk eine Radikalität und Kompromisslosigkeit inne, die allerdings nie verbissen daherkommt. So schlug sie 1988 eine permanente Intervention an der Aussenfassade des neu eröffneten Galeriengebäudes des Kölner Architekten Oswald Mathias Ungers vor. Die natürlich vom jenem untersagt wurde. Die bereits realisierte Arbeit stellte sie in ihrer Galerie aus (der Galerie Buchholz, die im selben Bau ansässig war) und gleich dazu auch die Korrespondenz mit ihm. Das Thema Fenster beschäftigte Isa Genzken lange; implizit ist darin auch die Frage nach der Wahrnehmung enthalten. Was sehe ich? Wie sehe ich es? Denn unsere Blicke sind immer ausschnitthaft, wie das die grosse Betonskulptur auf hohen Stahlfüssen im Soussol vorführt. Ein überdimensionaler Fensterrahmen aus Beton, der aussieht wie ein beschädigtes Haus. So ziehen sich auch das Fragmentarische und die Ruine wie eine Konstante durch ihr Werk. Und paradoxerweise offenbart die Künstlerin gerade durch dieses Prekäre und Provisorische unser tief verwurzeltes Bedürfnis nach Schutz. Diese Reflexionsebene hat Kunst der Architektur voraus.

 

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