Eine Einladung der besonderen Art

Susanna Koeberle
16. August 2019
Nina Willimann und Mayumi Arai vor ihrem temporären Zürcher Domizil (Foto: Willimann/Arai)

Sie sitzen in einem Schaufenster im Kreis 5, als ich zufälligerweise in der Gegend bin und aus purer Nostalgie die Strasse entlanggehe, in der meine erste Wohnung lag. Der leere Raum, die mit Chipstüten gefüllte Auslage, ein Stapel Flyer, der ein Kunstprojekt ankündigt, und die beiden exakt gleich angezogenen jungen Frauen machen mich neugierig, ich trete ein. Wir kommen ins Gespräch. Das Duo Willimann/Arai besteht aus Nina Willimann und Mayumi Arai. Die beiden Künstlerinnen aus Zürich respektive Tokyo arbeiten seit 2015 zusammen. Sie agieren bei ihren Aktionen und Performances im öffentlichen Raum, ein wichtiger Teil ihrer künstlerischen Praxis ist dabei die Interaktion mit anderen Menschen. Das ist auch bei «The gift exercice» so, einem von drei sogenannten «umbrella»-Projekten des Duos. Das Projekt besteht aus einzelnen ortsspezifischen Settings, welche sie «Invitations» nennen. In Zürich sind die beiden Künstlerinnen mit dieser Aktion noch bis Sonntag anwesend. Willimann/Arai führen ihre künstlerische Forschungsarbeit an unterschiedlichen Orten durch, mehrheitlich im asiatischen Raum. Von Zürich geht es dann wieder nach Tainan (Taiwan), wo sie nach der zweiwöchigen Residenz in der Limmatstadt erneut mehrere Wochen verbringen werden; dort ist der Fokus ein ganz gezielter, ihre Präsenz ist Teil einer längeren Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit Taiwans. Doch worum geht es eigentlich bei «The gift exercice»? 

Die Verdoppelung schafft eine neue, dritte Persönlichkeit. (Foto: Susanna Koeberle)

Willimann/Arai besiedeln (meist auf Einladung) einen Raum (meist in einer fremden Umgebung) und richten sich dort temporär ein. Dieses Sicheinrichten kann allerdings erst durch das Inbeziehungtreten zu Nachbar*innen und Interessierten stattfinden. Denn die Räume werden vor ihrem Eintreffen entweder gar nicht benutzt (wie etwa bei ihrem Projekt in Japan) oder haben eine andere Funktion (wie der Buchladen in Zürich). Die Künstlerinnen sind also auf alles Lebensnotwendige oder zumindest zum Leben Nützliche wie Möbel, Kochutensilien sowie Geschirr angewiesen. Auch Esswaren sind willkommen. Im Tausch gegen die geliehenen Güter bieten sie verschiedene Dienste an wie Japanischunterricht, Hilfe im Haushalt, ein Abendessen oder Familienfotos. Sie singen auch einfach das Lieblingslied einer Person. Die Gegenleistung wird immer neu verhandelt und mündet in einem Vertrag. So kommen sie mit der Bevölkerung ins Gespräch, und es finden vielschichtige Formen der Kommunikation statt. Einzelne Menschen würden sogar mehrmals vorbeikommen und einfach nur schwatzen wollen, berichten sie. Hinter der Beziehung zwischen Gastgeber und Gast stünden aber zugleich auch Machtstrukturen, denn die Rollen seien nie klar verteilt, erzählen die beiden im Interview, das wir als Tausch gegen verschiedene Objekte vereinbaren. 

«Trophy»-Fotografie mit den Künstlerinnen und der Journalistin. (Foto: Willimann/Arai)

Durch diese Form des Austausches lernen sie etwas über die lokalen Befindlichkeiten und Gewohnheiten. Zudem erfahren sie etwas über die Bedeutung der Gastfreundschaft im jeweiligen kulturellen Kontext, das macht ihre Arbeit zu einer quasi ethnographischen Recherche. Dabei begegnen und vermischen sich individuelle und universelle Aspekte. Dieses komplexe Setting ist für beide jedes Mal eine besondere Herausforderung, in der das Fremde und das Eigene aus immer neuen Blickwinkeln betrachtet werden kann. Das schafft einen spannenden Rahmen: sowohl für die Beziehung mit Unbekannten wie auch untereinander. Schliesslich ist ihr unterschiedlicher kultureller Hintergrund Teil ihrer hybriden Identität als Duo. Dieses setzt sich nicht aus der Summe zweier Einzelindividuen zusammen, sondern bilde ein Drittes, sagen sie. Das mache für sie auch das Wesen ihrer Zusammenarbeit aus. Durch die Verdoppelung (gleiche Kleidung, gleicher Haarschnitt) und Angleichung entsteht eine Art Kunstfigur, die Person «Willimann/Arai». Dieses Heraustreten aus der Egohülle ermöglicht erst eine kreative Distanz und kreiert eine Figur, die auch ihre Gesprächspartner*innen zum Nachdenken anregt. Wer keine Zeit mehr hat, die beiden im Kreis 5 zu besuchen, kann sich auch Ende September im Haus Konstruktiv im Rahmen der Werkschau 2019 ein Bild ihrer Arbeit machen. 

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