Erinnerung an einen Architekten, der ein Märtyrer war

Manuel Pestalozzi
9. September 2022
Dieses Modell zeigt den Ursprungszustand des Hauses Brutmann von Herbert Eichholzer. Die Architektur des Grazers schlug zwischen Moderne und regionaler Bautradition selbstbewusst und bisweilen mit Witz und Ironie Brücken. (Foto © eisenerZ*ART)

Der FreiRaum Eisenerz ist Teil eines Projekts, mit dem unter Mitwirkung der Bevölkerung leerstehende Flächen im Zentrum der Industriestadt im Norden der Steiermark bespielt werden. Regie führt dabei die Kunstorganisation eisenerZ*ART. Seit 2010 versucht sie im Rahmen des Projekts «re-design Eisenerz», optimistische Botschaften auszusenden. Denn Eisenerz, das 100 Kilometer von Graz entfernt liegt, ist eine Stadt in der Krise: Die Strukturen sind zu gross geworden, viele Gebäude stehen leer, die Bevölkerung geht drastisch zurück, und gerade junge Menschen verlassen die Gemeinde, die allmählich überaltert. Regelmässig organisiert eisenerZ*ART Veranstaltungen und Aktionen in und um Eisenerz.

Zum FreiRaum Eisenerz gehört auch das Haus Brutmann. Das Baudenkmal ist zum Freiheitsplatz hin mit einer gerundeten Ecke abgeschlossen. Es wurde in den 1930er-Jahren erbaut und beherbergte anfänglich einen eleganten Coiffeursalon. Entworfen wurde der Bau vom Architekten Herbert Eichholzer. Und ihm ist aktuell hinter den Schaufenstern des einstigen Salons die Ausstellung «Herbert Eichholzer – BLAUPAUSE» gewidmet. Die Eröffnung, zu der auch Prominenz aus Politik und Wissenschaft anreiste, fand bereits am 18. August statt. Dass dieser Architekt, der sein Berufsverständnis in schwierigsten Zeiten mit Fragen der Ethik verband, neu in Erinnerung gerufen wird, ist hochwillkommen.

Die Ausstellung in der österreichischen Stadt Eisenerz lässt das Werk und die Schaffenszeit des Architekten in der Steiermark Revue passieren. (Foto © eisenerZ*ART)
Engagierter Kosmopolit

Herbert Eichholzer wurde 1903 in Graz geboren und studierte an der dortigen Technischen Universität Architektur. 1927 gewann er einen speziell für Studierende ausgeschriebenen Wettbewerb, der zu einem öffentlichen Auftrag führte. Seine ersten Bauten konnte er noch während des Studiums realisieren. In den 1920er-Jahren unternahm er zahlreiche Studienreisen, die ihn unter anderem nach Bulgarien, Griechenland, Frankreich, Spanien, Italien, Kleinasien und Abessinien führten. In derselben Zeitperiode arbeitete er in Deutschland als technischer Leiter einer Firma, die erdbebensichere Häuser aus Stahlfertigteilen herstellte. Zudem war er Praktikant im Büro von Le Corbusier und Pierre Jeanneret, bevor er nach Graz zurückkehrte, wo er während der Wirtschaftskrise die Bauleitung des örtlichen Arbeitsamtes übernahm.

Doch es war eine Rückkehr in seine Heimat auf Zeit: Herbert Eichholzer arbeitete wenig später in Moskau. Dort gehörte er einer internationalen Planungsgruppe um den ehemaligen Frankfurter Siedlungsdezernenten Ernst May an und war in der Entwicklung neuer Wohnungstypen für die sowjetischen Zentren der Schwerindustrie tätig. Wieder zurück in Graz beteiligte er sich an einer Bürogemeinschaft und erhielt für sein Werk diverse Auszeichnungen. 

Eichholzer war darüber hinaus auch publizistisch tätig und wirkte an der ersten Ausgabe der Kulturzeitschrift Plan mit. Hinzu kam die politische Aktivität. Sein gesellschaftliches Engagement hatte eigentlich schon mit dem Beitritt zur Wandervogelbewegung während seiner Schulzeit begonnen. 1926 schloss sich Eichholzer der Vereinigung Sozialistischer Hochschüler an, der Studentengruppe der Sozialdemokratischen Partei. 1934 nahm er an den Februarkämpfen teil. 1938 verteilte er vor der Volksabstimmung vom 10. April im Auftrag der Sozialen Arbeitergemeinschaft Flugblätter gegen den sogenannten «Anschluss» Österreichs an das «Dritte Reich», den die Nationalsozialisten mit der Wahl nachträglich legitimieren wollten. Im selben Jahr musste er sich nach Triest in Sicherheit bringen. Von dort setzte er seine Flucht vor den Nationalsozialisten über die Schweiz nach Paris fort.

Exil, Widerstand und Ermordung

Bis ins Jahr 1940 hinein war Herbert Eichholzer ein Mitglied der politischen Exilgemeinde. Zuerst betreute er in Frankreich Flüchtlinge, anschliessend folgte er Clemens Holzmeister (1886–1983) in die Türkei, um dort in dessen Atelier zu arbeiten. Zugleich baute er mit der Architektin Margarete Schütte-Lihotzky (1897–2000) die Auslandsgruppe der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) in der Türkei auf. Später im Jahr kam er mit einer Rückreiseerlaubnis nach Graz, wo er in die Wehrmacht eintrat. Er hatte die Absicht, dort politisch tätig zu werden. Er verfasste Flugblätter mit, die auf Missstände und Verbrechen hinwiesen, etwa auf das «Euthanasieprogramm» des NS-Regimes, also die Ermordung von körperlich, geistig und seelisch beeinträchtigten Menschen. 1941 wurde er verhaftet. Über ein Jahr später verurteilte man ihn wegen Hochverrats zum Tode. Im Januar 1943 fand die Hinrichtung statt. Am Wohnort seiner Kindheit, der Schröttergasse 7 in Graz, erinnert heute ein Stolperstein an Herbert Eichholzers Schicksal. Zu seinen Ehren wird an der TU Graz alle zwei Jahre der Herbert Eichholzer Förderungspreis an begabte Architekturstudent*innen vergeben.

Herbert Eichholzer hinterlässt somit ein architektonisches und ein politisches Vermächtnis. Die beiden sind eng miteinander verknüpft. Seine Bauprojekte in der Steiermark zeugen sowohl von seiner Hinwendung zum Aufbruch, den die Moderne repräsentierte, als auch von seinem Respekt für den Bestand. Gerade in zentralen Bereichen des Siedlungsgebietes vermied er radikale Brüche und schlug gestalterische Brücken zur regionalen Bautradition. Das kann man auch am Urzustand des Hauses Brutmann erkennen. So waren seine Projekte in der Steiermark durchaus «bei den Leuten». Einen interessanten Rückblick auf das bewegte Leben und eine Einordnung des architektonischen Werks von Herbert Eichholzer liefern zwei Kurzfilme, die vor elf Jahren im Rahmen der «regionale10» im österreichischen Gröbming entstanden und noch auf YouTube abrufbar sind.

Herbert Eichholzers Projekte werden in der sehenswerten Schau anhand von Fotos und Originalplänen präsentiert. (Foto © eisenerZ*ART)
Kulturerbe der Steiermark

Die dokumentarische Ausstellung in Eisenerz konzentriert sich auf Eichholzers architektonisches Schaffen im Bundesland. «BLAUPAUSE» beleuchtet aber auch sein politisches Engagement in führenden Kreisen der Sozialdemokraten und später in der KPÖ. Seine politische Haltung wird am Mittwoch, dem 5. Oktober 2022, ab 18 Uhr im Zuge einer Diskussion im Volkshaus Graz erörtert werden. Die Rezeption des Kommunismus in der Vergangenheit und heute erscheine, so schreiben die Organisatoren dazu, angesichts der jüngsten weltpolitischen Entwicklungen und in einer Stadt mit einer kommunistischen Bürgermeisterin (Elke Kahr von der KPÖ ist in Graz seit November vergangenen Jahres im Amt) besonders brisant. 

Im Rahmen der Ausstellung gab und gibt es bis zum 29. September diverse Exkursionen von Graz nach Eisenerz und zu weiteren Wirkungsstätten Eichholzers in der Steiermark. Begleitet werden diese Ausflüge von Expert*innen und der Ausstellungskuratorin Alexandra Riewe. Auf der Website von eisenerZ*ART ist bereits ein lesenswerter Bericht über die erste Exkursion online. 

Es ist sehr erfreulich, dass jüngeren Generationen die Gelegenheit geboten wird, sich mit dem Werk, der Karriere, dem Mut und dem Selbstverständnis dieses bemerkenswerten Architekten auseinanderzusetzen, der für seine Überzeugungen sein Leben lassen musste. Die sehenswerte Ausstellung endet am 18. Oktober dieses Jahres.

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