Forschen im Ring

Ulf Meyer
2. März 2021
Visualisierung © Herzog & de Meuron

Während Europa über die nicht eingehaltenen Lieferzusagen der Hersteller der frisch entwickelten Corona-Impfstoffe streitet, wird der neue Hauptsitz des internationalen Pharmakonzerns AstraZeneca in Cambridge eingeweiht – auch dies mit Verzug, hätte der Neubau doch ursprünglich zum jetzigen Zeitpunkt schon längst in Betrieb sein sollen.

Das näherungsweise ringförmige Gebäude wurde von Herzog & de Meuron entworfen. Es ist das neue Zentrum der CBC-Community – hinter dem Kürzel «versteckt» sich der Cambridge Biomedical Campus, ein Zentrum für Biomedizin am Rande der altehrwürdigen englischen Universitätsstadt. Der Neubau ist von drei Seiten her zugänglich und enthält neben diversen Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen den Hauptsitz des Unternehmens AstraZeneca, das derzeit in den Medien als Entwickler eines Corona-Impfstoffes Schlagzeilen macht.

Visualisierung © Herzog & de Meuron
Visualisierung © Herzog & de Meuron

Das Bauwerk erinnert an eine dreieckige Scheibe mit grosszügig abgerundeten Ecken. Seine Form folgt jener des Grundstücks. Die oberen Etagen liegen auf sechs rechteckigen Glaskästen, die zu drei Paaren gruppiert sind. Diese «Boxen» laufen durch alle Stockwerke und beherbergen Labors. Sie ermöglichen es Gruppen von Wissenschaftlern, dicht bei ihren Kolleginnen in der offenen Bürolandschaft nebenan zu arbeiten. Alle Labors und Büros haben Glaswände, welche die «Zusammenarbeit fördern», wie es von Architekten und Bauherrschaft heisst. Ob die Sichtverbindungen tatsächlich mehr Interaktion stimulieren, wird sich zeigen. In den Büroräumen bietet das Gebäude «alternative Arbeitsplätze». Darunter werden ruhige Kabinen und grössere Kollaborationsräume verstanden – ein Konzept, das mittlerweile hinlänglich erprobt und nicht mehr neu ist. Beim Blick auf die Bürogrundrisse fallen zudem die grossen Inselschreibtische auf, die sich mehrere Nutzende teilen und die in Reihen angeordnet sind. Zusätzlich natürlich belichtet werden die tiefen Räume unterdessen über das markante Sheddach des Gebäudes.

Der teilweise aufgeständerte Ring umschliesst einen intimen Innenhof als zentralen Treffpunkt. Vorbild dafür mögen die historischen Gebäude der Colleges im Zentrum von Cambridge sein, an denen sich vielfach eine vergleichbare Konfiguration findet. Rund um den Innenhof wurden Räume für Austausch und Treffen angeordnet, beispielsweise ein Café. 

Visualisierung © Herzog & de Meuron

Die Architekten, deren Entwürfe für den Konkurrenten F. Hoffmann-La Roche in Basel fortgesetzt für Furore sorgen, sagen, sie hätten medizinische Motive in ihren Entwurf einfliessen lassen: Der zentrale Flur diene als «Arterie» des Gebäudes und solle seinen «Kreislauf» sichern. 

Bei der Materialwahl haben sich Herzog & de Meuron bewusst zurückgehalten. Dadurch soll die Unterscheidung zwischen den einzelnen Bereichen des schwedisch-britischen Pharmakonzerns leichter fallen. Prägend sind die Böden aus Naturstein in den Eingangsbereichen, das Eichenparkett für die Haupttreppe und die Teppiche in den Büros. Die Böden in den Labors bestehen aus weissem Vinyl. Sichtbetondecken sollen die von Holz und Glas geprägte Innenraumgestaltung abrunden. 

AstraZeneca wird zukünftig Aufmerksamkeit nicht nur für die Forschung an Impfstoffen erhalten, sondern auch für die Architektur, in der diese stattfindet. Wie gut jene gelungen ist, kann erst abschliessend beurteilt werden, wenn Reisen und Besichtigungen wieder ungehindert möglich sind.

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