Fotografie und Propaganda im geteilten Deutschland

Nadia Bendinelli
4. April 2023
Eine Arbeiterin an der Montagestrasse zur Fertigung des Trabant P60. Die Aufnahme entstand zwischen 1962 und 1964. (Foto: © August Horch Museum)

Aus welchem Grund widmet ein Museum für Geschichte gerade der Industriefotografie eine Ausstellung? Eng mit der Werbung verbunden, zeigt dieses Genre wohl nicht den wahrheitsgetreusten Blick auf die Realität. Doch gerade deswegen sind die Fotografien, die zwischen 1949 und 1990 im Auftrag westdeutscher Unternehmen und ostdeutscher Betriebe entstanden, wichtige historische Dokumente. Sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik wurden sie politisch stark instrumentalisiert. Interessant ist dabei zunächst ein Blick auf die Auftraggeber: Die Volkseigenen Betriebe der DDR befanden sich im Staatseigentum. Dass die von ihnen beauftragten Fotografien die Ideale des Regimes vermitteln, ist wenig verwunderlich. Interessant aber ist, dass im Westen Ähnliches geschah: Die Werbebilder der Konzerne lassen erstaunliche Rückschlüsse auf Werte, Selbstbild und politisches System der Bundesrepublik zu.

Der Auftakt der Ausstellung ist der Kohle gewidmet, dem Motor der deutschen Industrie jener Zeit, deren beschwerlicher und gefährlicher Abbau die nationale Identität über lange Zeit mitprägte: Zu sehen sind dunkle Bilder kohlenstaub-geschwärzter Gesichter. Oft halten die Bergmänner Milchflaschen in Händen, denn das Getränk sollte die Lungen reinigen. Kurzum, die Fotografien erfüllen Klischees und Erwartungen. Auch in den vier weiteren Sektionen, die der Stahl-, Textil, Automobil- und Chemieindustrie gewidmet sind, werden überaus ästhetische Bilder präsentiert, die aber in ikonografischen Stereotypen gefangen bleiben. Sie glorifizieren die «Zusammenarbeit» von Mensch und Maschine, zeigen Kollegialität und Leichtigkeit. Das Scheitern, die Schwierigkeiten, die wiederkehrenden Konflikte zwischen Arbeitern und Ingenieuren oder die zuweilen widrigen Arbeitsbedingungen waren eben keine passenden Themen für eine gelungene Selbstdarstellung. 

Bergmann mit Grubenlampe, Saarbrücken, 1954 (Foto: Hannes Kilian © Deutsches Historisches Museum)
Waschkaue, Essen, um 1954 (Foto: Ludwig Windstosser © Museum für Fotografie)
Grosse Versprechen, Propaganda und Scheitern

Jede Innovation war zwischen den 1950er- und 1990er-Jahren von viel Euphorie und grossen Versprechen begleitet. Mit zahllosen Superlativen wurde jede technische Neuheit als «Revolution» dargestellt, die eine glänzende Zukunft in Aussicht stellte. Obwohl die Bundesrepublik und die DDR politisch weit voneinander entfernt waren, gab es in beiden Staaten doch dieselbe Grundannahme: Die Automatisierung werde all ihre Probleme lösen. In der DDR sollte der technische Fortschritt die Überlegenheit des sozialistischen Systems unter Beweis stellen. Etwas pragmatischer bot er ausserdem vermeintlich die Chance, dem permanenten Arbeitskräftemangel Herr zu werden. In der Bundesrepublik hingegen erhoffte man sich von der Automatisierung eine von menschlichen Fehlern befreite, perfekte und hocheffiziente Produktion. Bei den Menschen fand all das wenig Anklang. Bald schon glaubten viele im Osten den Fortschrittsversprechungen der Regierung nicht mehr, im Westen sorgte man sich, seinen Arbeitsplatz zu verlieren.

Am Ende wurden die Hoffnungen beider Staaten enttäuscht: Die Maschinen konnten weder komplett selbstständig arbeiten, noch waren sie frei von Fehlern. Sie bedurften ständiger Wartung und Reparatur. Ein gutes Beispiel dafür ist die bekannte Halle 54, die VW 1983 voller Stolz eröffnete. Konzipiert, um den Golf II komplett automatisch zu produzieren, schien sie zunächst allen anderen Fabriken überlegen zu sein – und das nicht nur in Deutschland. Doch aufgrund zahlreicher technischer Probleme musste der Betrieb häufig auf die parallel laufende manuelle Produktion umgestellt werden, um die Verluste niedrig zu halten. Nur wenige Jahre später wurde der Betrieb in der Vorzeigefabrik eingestellt.

Die Fotografien wurden nicht nur über beauftragte Publikationen breit gestreut, sie tauchten auch auf Briefmarken, in Büchern und Zeitschriften aller Art auf. Die Arbeiterinnen und Arbeiter verkörperten dabei stets die Arbeitskraft. Um das Individuum ging es nie: Die Menschen sollten Teil eines perfekt funktionierenden Organismus sein – im Osten wie im Westen.

Qualitätskontrolle im VEB Rohrkombinat Stahl- und Walzwerk Riesa, 1982 (Foto: Eugen Nosko © SLUB, Deutsche Fotothek)
Im Labor des VEB Filmfabrik Wolfen, 1967 (Foto: Wolfgang G. Schröter © SLUB, Deutsche Fotothek)
VEB Baumwollspinnerei Leinefelde, 1965 (Foto: Martin Schmidt © Deutsches Historisches Museum)
Karosserien im Volkswagen-Werk, 1968 (Foto: Werksfotograf © Volkswagen Aktiengesellschaft)
Die Darstellung von Frauen und sogenannten «Gastarbeitern»

Werden Frauen und ausländische Arbeitskräfte gezeigt, fallen deutliche Unterschiede zwischen den beiden deutschen Staaten auf. In der DDR wurde grosser Wert Parität gelegt, schliesslich ist die Gleichberechtigung der Geschlechter ein sozialistisches Ideal. Die Arbeiterinnen wurden in ihrer Arbeitseffizienz abgebildet. Das Bild der Frau blieb allerdings trotzdem an Stereotypen gebunden. Die an sie gestellten Erwartungen waren in der DDR besonders hoch: Sie sollte (politisch) gebildet sein – in den Fabriken wurden darum häufig Bibliotheken eingerichtet –, sich um den Haushalt kümmern, Sport treiben und natürlich ein gepflegtes Äusseres bewahren. Abgesehen von weltanschaulichen Idealen indes konnte man in der DDR auf die Arbeitskraft der Frau wegen des Personalmangels nicht verzichten. Auch darum werden Arbeiterinnen auf den ostdeutschen Fotografien häufig gezeigt. Die Arbeit in den Fabriken wurde ihnen schmackhaft gemacht. Die Bilder sollten vermitteln, dass die Betriebe weit mehr als bloss eine Arbeitsstelle zu bieten haben. Den Angestellten wurden grosse soziale Vorteile geboten: In der Arbeitsstätte konnten sie Lebensmitteln kaufen, zum Arzt gehen und an Freizeitaktivitäten teilnehmen. Die staatlichen Erziehungsangebote gaben den Frauen zwar die Möglichkeit, Arbeit und Mutterschaft zu vereinen, erlaubten dem Regime aber auch, die Jugend sehr früh zu indoktrinieren. Im Westen hingegen zog man es vor, ein konservatives, romantisiertes Bild der Hausfrau zu vermitteln, die sich um das Haus kümmert und die Familie umsorgt. Auf den bundesdeutschen Industriefotografien tauchen allenfalls Fotomodels als Schmuckobjekte auf – im Sinne des gelungenen Marketings. In beiden Fällen sollten wir uns allerdings bewusst machen, dass es sich um Fotografien handelt, die politische Botschaften zu vermittelten hatten. Wie die Lebensrealität aussah und in welchem Umfang die deutschen Frauen jener Zeit die vorgegebenen Ideale teilten, ist ein anderes Thema.

Ein deutlicher Unterschied offenbart sich auch bei der Darstellung ausländischer Arbeiterinnen und Arbeiter. In den 1950er- und 1960er-Jahren bemühte sich insbesondere die Bundesrepublik um «Gastarbeiter», um genügend Personal für ihre boomende Wirtschaft zu beschaffen. Obwohl die westdeutschen Fotografien vor allem den ökonomischen Erfolg feiern, der auch dank dieser Menschen möglich wurde, gab es durchaus Reportagen, die Integrationsprobleme und das Leben in der Fremde thematisierten. Allerdings führten diese Darstellungen oft zu Stigmatisierung. So bediente 1962 etwa die Reportage «Nix Amore in Castellupo» der Zeitschrift Stern über italienische Gastarbeiter rassistische Stereotypen. Die Fotografien aus den Volkseigenen Betrieben sollten derweil Ideale wie Völkerfreundschaft und Gleichheit transportieren. Doch sie können nicht verbergen, dass sich auch die DDR mit der Integration schwertat: Gesichtsausdruck und Körpersprache schwarzer Frauen, die sich offensichtlich überhaupt nicht wohlfühlen, zeigen auf einigen Aufnahmen, wie sehr Ideale und Realität auseinanderklafften. 

Blick in die Ausstellung «Fortschritt als Versprechen. Industriefotografe im geteilten Deutschland» (Foto: David von Becker © Deutsches Historisches Museum)
Wertvolle Zeitdokumente

Heute hat die Industriefotografie viel ihrer einstigen Bedeutung eingebüsst. Doch Aufnahmen, wie sie in Berlin gezeigt werden, haben eine neue Relevanz erhalten: Sie sind wichtige historische Dokumente. Sie ermöglichen uns, Hoffnungen, Menschenbild, Ideale und Strategien der beiden deutschen Staaten und damit einen Teil deutscher Geschichte besser zu verstehen. Indirekt machen sie zudem auf soziale Probleme und unerfüllte Versprechungen aufmerksam. Sie belichten zwei entgegengesetzte politische Systeme und die Art und Weise, wie sie ihr Selbstbild in einem der für ihre Identität vielleicht wichtigsten Felder transportierten: der Industrie.

Die Schau «Fortschritt als Versprechen. Industriefotografie im geteilten Deutschland» im Deutschen Historischen Museum dauert noch bis zum 29. Mai dieses Jahres. Begleitend ist eine interessante Publikation mit lesenswerten Beiträgen von Historikern und Fotografie-Experten erschienen.

Fortschritt als Versprechen. Industriefotografie im geteilten Deutschland

Fortschritt als Versprechen. Industriefotografie im geteilten Deutschland
Carola Jüllig und Stefanie Regina Dietzel für das Deutsche Historische Museum

256 Seiten
ISBN 978-3-7757-5426-2
Hatje Cantz
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