Materialpool von Philippe Rahm

Susanna Koeberle
20. April 2018
Der «Effusivity Pool» kann noch bis zum 9. Mai besucht werden. Courtesy Philippe Rahm und Istituto Svizzero, Bild: Giulio Boem

Sie befassen sich oft mit wissenschaftlichen Aspekten von Architektur. Was stand bei diesem Projekt im Vordergrund?
In den letzten Jahren habe ich mich für das Thema Materialien interessiert. Welche Materialien werden beim Bauen für welche architektonischen Elemente verwendet? Was sind die Kriterien für die Wahl? Früher war diese Wahl meistens vom lokalen Kontext abhängig, man baute mit dem, was man vorfand. Ein Gebäude widerspiegelte seine Umgebung. Mit der Moderne kamen andere Kriterien hinzu.

Was hat sich verändert?
Architektur ist immer auch das Spiegelbild der Wissenschaft. Die Farbe Weiss zum Beispiel reflektiert das Licht, aber sie steht auch für Hygiene. Als in den 1950er-Jahren Antibiotika entdeckt wurden, verschwand Weiss wieder. Es kam die Zeit des rohen Betons. In den 1980er-Jahren war die Wahl des Materials immer mit einer bestimmten Metapher oder Referenz verbunden. Marmor etwa stand für Luxus und Geschichte, Ziegelsteine erinnerten an industrielle Vergangenheit. Materialien waren wie bestimmte Codes. Zugleich reflektierten sie immer den persönlichen Geschmack der Architekten.

Und heute?
Themen wie Klimawandel oder Ökologie sind zurzeit aktuell. Ich denke, das ist der richtige Zeitpunkt, die Wahl der Materialien unter neuen Aspekten zu betrachten. Wir Architekten müssen uns beim Bauen stark mit Fragen der Energie  auseinandersetzen. Bauten sind schliesslich mitverantwortlich für den Treibgas-Ausstoss.

Wie führten diese Gedanken zur Installation am Istituto Svizzero?
Mich interessieren hier das unterschiedliche physikalische Verhalten und die Eigenschaften von Materialien, also Themen wie Emissionsvermögen, Wärmeeindringkoeffizient oder Wärmeleitfähigkeit. Deswegen nenne ich das Projekt «Effusivity Pool». Es geht um die Frage, wie schnell Wärme von einem Material geleitet wird. Ich habe für diesen «Pool» vier verschiedene Materialien gewählt: Aluminium, Stein, Holz und Wolle. Nehmen wir an, die Temperatur des Raums und des Materials beträgt 20 und unsere Körpertemperatur 37 Grad Celsius. Je nach Effusivitätskoeffizient, also je nachdem, wie schnell, sich die Körperwärme auf das Material überträgt, fühlen sich die Materialien für uns unterschiedlich warm oder kalt an. Bei Wolle etwa ist diese Übertragung sehr langsam, deswegen fühlt sie sich warm an.

Was hat diese Erkenntnis für einen Einfluss auf Design und Architektur?
Wir müssen diese neuen Kriterien in unsere Arbeit integrieren. Es geht nicht mehr um eine kulturelle oder ästhetische, sondern um eine Efffusivität-Referenz. Möchte ich es in einem Raum kalt haben, wähle ich das entsprechende Material.

Aber passiert das nicht automatisch? Wie man an den Steinböden in den Häusern oder Kirchen hier in Italien sieht.
Ja, aber das war früher viel selbstverständlicher. Es gibt sogar in ganz alten Texten des römischen Architekten Vitruv solche Überlegungen. In Frankreich wurden diese Texte im 18. Jahrhundert ins Französische übersetzt. Später kamen narrative Codes hinzu. Man müsste wieder zurück zu diesen thermischen Kriterien, das ist auch der Gedanke hinter dieser Installation. Die Zeit ist reif für eine neue Etappe. Ich möchte den Blick wieder auf die Materialien in der Architektur und Innenarchitektur lenken.

Und das sollen die Leute in dieser Installation auch physisch erfahren können.
Ja, die Idee ist, dass man den «Pool» ohne Schuhe betritt, sich hinlegt und die Unterschiede spürt.

Weshalb diese blauen und pinken Leuchten hier oben?
Das hat mit der Physik der Farben zu tun. Die Wellenlänge der Farben hat einen Einfluss auf das Wasser, das ist ja auch das Prinzip beim Mikrowellenofen. Auf Terrassen sieht man häufig solche Infrarotleuchten; die sind sehr effizient, weil wir mehrheitlich aus Wasser bestehen. Also hat auch die Farbe des Lichts einen Einfluss auf unser Wärmeempfinden. Das ist der Grund für die beiden farbigen Lichtquellen in der Installation. Auch Farben werden in der Architektur je nach Region anders verwendet.

Bauen Sie solche wissenschaftlichen Erkenntnisse auch in Ihre Arbeit als Architekt ein?
Ja, ich habe in Frankreich den Wettbewerb für die «Maison de la Radio» gewonnen. Das Innere des Gebäudes soll öffentlich zugänglich sein. Wir arbeiten da stark mit dem Thema der Materialien und der Akustik.

Die vier Materialien fühlen sich ganz unterschiedlich an. Bild: Giulio Boem

Istituto Svizzero
Via Vecchio Politecnico 3
20121 Milano
Bis 21. April: 11 – 20 Uhr, 22. April: 11 – 18 Uhr
23. April bis 9. Mai: Montag – Freitag, 10.30 – 17.30 Uhr, Samstag, 14 – 18 Uhr

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