Mehr Unordnung!

Jenny Keller
23. April 2018
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Die dem Buch «ausgegrenzt und abgewertet» zugrunde liegenden Daten und Analysen basieren auf Inge Beckels Dissertation, die sie 2010 an der ETH eingereicht und erfolgreich verteidigt hat. Die Architektur soll insgesamt wieder vielfältiger, differenzierter, bunter – und damit wohl ein bisschen unordentlich – werden, indem «das Andere» wieder zugelassen wird, schreibt die Autorin zu Beginn in ihrem Buch. Sie plädiert für ein «ganzheitliches» Bauen und legt in Exkursen in Architekturgeschichte und Geschichte des Städtebaus dar, wie die männliche Hegemonität in der Gesellschaft (und der Architektur) zu erklären ist, und wie wir uns von diesen Denkmustern lösen können. «In meiner Untersuchung steht das Anderssein im Zentrum der Überlegungen – primär das Anderssein sogenannt weiblicher Sphären», so Beckel. Die meist Frauen zugeordnete Emotionalität beispielsweise passe nicht in die – meist männliche – Sachlichkeit der neuen, modernen schwarz-weissen Welt.

Die Überlegungen sind wissenschaftlich belegt – es wird niemandem die «Schuld» zugeschoben –, und trotzdem ist das Buch angenehm zu lesen, dies sicher, weil Inge auch Journalistin ist, und weiss, wie man so schreibt, dass man verstanden wird, und dass niemand ausgeschlossen wird. Die Tatsache, dass sie viele Beispiele mit Abbildungen im Buch vereint, erhöht die Lesefreundlichkeit auch. – Nach der Lektüre von «ausgegrenzt und abgewertet» wird man die «Bauentwurfslehre» von Neufert, diese männlich-menschliche Normierungsbibel, mit anderen Augen betrachten, den Modulor einmal in der Grösse von 1 Meter 66 zeichnen, und es schade finden, dass man die Nähmaschine nach Gebrauch jedes Mal wieder im Schrank verstaut.

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ausgegrenzt und abgewertet
Standard versus Differenz in Architektur und Städtebau der Moderne
Inge Beckel
eFeF-Verlag
ISBN 978-906199-14-6

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