Moderne Alchemie

Susanna Koeberle
21. Januar 2019
Die Ausstellung «Material Temptations» zeigt Werke von vier Designern. Bild: Marvin Zilm

Experimentelles Design hat einen schweren Stand. Häufig bleibt bei rein zweckorientierten Prozessen kaum Zeit für spielerisches und freies Gestalten. Zum Beruf des Designers gehört aber sowohl das gezielte Arbeiten im Hinblick auf ein vermarktbares Produkt, als auch die Freiheit, Neues und auf den ersten Blick Unzweckmässiges auszuprobieren. Manchmal liegt die Materia Prima solcher Experimente auch sehr nahe. Es braucht dafür gar nicht mal teure und seltene Materialien, sondern einfache und unspektakuläre Werkstoffe, die jeder und jede im Baumarkt-Laden finden kann. Das zeigt zurzeit die Ausstellung «Material Temptations» im temporären Projektraum von «Second Nature». Die neue Designplattform wurde von den beiden Kuratoren Giovanna Lisignoli und Martin Rinderknecht ins Leben gerufen. Die beiden Designspezialisten möchten dabei «konzeptionellen Designprozessen, die den Stellenwert von Design in unserem Alltag reflektieren, eine stärkere Präsenz und Öffentlichkeit geben», wie sie sagen.

«The Wicker Collection Stool» von Tino Seubert. Bild: Marvin Zilm

Die erste Gruppenausstellung zeigt Werke von vier jungen Designern, die in ihren Arbeiten das Potential von industriell vorgefertigten Materialen ausloten und damit ihre gestalterischen Visionen umsetzen. Wichtig ist dabei der Do-it-yourself-Aspekt, das heisst die Kontrolle über die gesamte Herstellung der Objekte. So hat etwa der deutsche Designer Tino Seubert  für seine «The Wicker Collection Stools» das Flechthandwerk erlernt – über Youtube-Videos notabene, wie er erzählt. Das geht nach einigen Anläufen und soll auch nicht perfekt aussehen. Die beiden unterschiedlich gefochtenen Hocker fallen eher durch den ungewohnten Mix zwischen den im Maschinenbau verwendeten Aluprofilen und dem uralten Handwerk des Flechtens auf. Und strahlen dadurch etwas «Wertiges» aus: Aus «Dreck» wird «Gold». Das ist nicht anders als in der Alchemie. 

​Geflochten hat Seubert auch einen Kabelteppich. Die dicken orangen Kabel werden durch Kabelbinder aus Plastik zusammengehalten. Damit das ganze als Fläche funktioniert, musste der Designer lange tüfteln und die einzelnen Stränge jeweils unterschiedlich überlappend miteinander verbinden. Ob man den Teppich heizen könne, ist die erste Frage, die einem spontan beim Blick auf das aparte Teil einfällt. Schliesslich kann man den Teppich auch einstecken. Eigentlich ist er nichts anderes als ein zum Objekt umfunktioniertes Verlängerungskabel und so gesehen ein ironischer Kommentar zu unserer Abhängigkeit von Strom. Wo ist die nächste Steckdose, fragen heute Menschen, noch bevor sie sich nach dem Weg zur Toilette erkunden. First things first.

«Cable Rug» von Tino Seubert. Bild: Marvin Zilm

Und wie man heute ohne aus dem Haus zu gehen, zu seinen Nahrungsmitteln kommt, kann man auch die Zutaten für einen Stuhl bestellen. Zum Beispiel bei Amazon. Das tat auch Phan Thao Dang für seinen «Amazon Prime Low Chair». Ein Eimer, ein PVC-Schlauch, ein Aluminiumprofil, eine Lendenwirbelstütze und etwas Kunstleder ordern, zusammensetzen und fertig ist das Möbel. Das Resultat: Ein Stuhl, der nicht nur erstaunlich bequem ist, sondern mit lustigen Markenklebern versehen als augenzwinkernde Fussnote zu unserer Konsumkultur gelesen werden kann.

​Die ausgestellten Objekte sind allerdings nicht nur ironisch gemeint, sondern widerspiegeln auch den ernsthaften Versuch, sich den Zwängen der Marktlogik zu widersetzen. Und gerade aus dieser trotzigen Geste kann auch Schönheit entstehen.
 

Andere Artikel in dieser Kategorie