Neuer Pilgerort für die Kunst

Susanna Koeberle
22. Mai 2018
Die Riesenskulptur von Monika Sosnoswka wurde schon Anfang 2017 installiert. Eröffnet wird das Museum am 2. Januar 2019. (Foto: Susanna Koeberle)

Ein Museum als Pilgerort zu bezeichnen, ist gar nicht so verkehrt. Zumal Kunst schon immer die Funktion innehatte, den profanen Alltag zu übersteigen und dem Menschen Einblicke in die Sphäre des Heiligen, des Irrationalen zu gewähren. Allerdings scheinen das Rationale und das Irrationale gerade, was die Kunst betrifft, heute durchaus kompatibel zu sein. Gerade die Entwicklungen auf dem Kunstmarkt führen dieses Paradoxon vor. Auch Museen werden aus wirtschaftlichen Gründen gebaut. Sie sind vielerorts zu Publikumsmagneten geworden, die eine Region für den Tourismus attraktiv machen können. Ob das beim Unterengadiner «Muzeum Susch», dessen Eröffnung nun für Anfang Januar 2019 bekannt gegeben wurde, der Fall sein wird, steht auf einem anderen Blatt geschrieben. Fest steht, dass das Engadin in den letzten Jahren zum Tummelfeld für Kunstliebhaber aller Couleur avanciert ist. Das Bündner Hochtal wurde bereits im 19. Jahrhundert für den Wintertourismus entdeckt, nun soll also der Kunsttourismus folgen. Künstler zieht das spezielle Licht des Engadins jedenfalls nicht erst seit Kurzem an.
 

Bereits jetzt laufen Kunsttransporte auf Hochtouren. (Foto: zvg)

Dass nun ausgerechnet eine Sammlerin aus dem Ausland das etwas weniger mondäne Unterengadin zur Örtlichkeit für ihr Museumsprojekt erkoren hat, mag erstaunen. Allerdings war Susch historisch schon immer ein Durchgangsort und befand sich auf der alten Pilgerroute nach Santiago de Compostela. Die polnische Unternehmerin und Sammlerin Grazyna Kulczik kannte das Engadin schon länger als Touristin (sie und ihr verstorbener Exmann besassen eine Villa in St. Moritz) und erwarb vor einigen Jahren eine ehemalige Brauerei aus dem 12. Jahrhundert, das zu einem Kloster gehörte, mit dem Vorhaben diesen Komplex in ein Museum zu verwandeln. Sie versteht ihr Museum nicht nur als neues Zuhause für ihre umfangreiche Kunstsammlung – die sowohl feste Installationen umfassen wie auch in kuratierten temporären Ausstellungen präsentiert werden soll – sondern auch als Labor für Austausch und Forschung.

Das Symposium «Disputaziuns Susch» fand bereits einmal statt und soll weitergeführt werden (inwieweit dieses Format die seit 2010 existierenden «Engadin Art Talks» ergänzen soll, wird sich zeigen). Das «Instituto Susch», das in Zusammenarbeit mit der Basler Hochschule für Kunst und Gestaltung entsteht, wird sich Genderfragen in der Kunst und Wissenschaft widmen. Ebenso ist eine Erweiterung des bestehenden Tanzperformance-Programms in Polen geplant, das auch die Möglichkeit einer Residenz in Susch bieten soll («Temporars Susch»). Das Ganze klingt vielmehr nach einem Campus als nach einem Museum im traditionellem Sinne. Was auch die Frage nach der Verankerung im lokalen Kontext aufwirft. Dass Kulczyk keinen Alien in die Gegend platzierte, sondern bestehende Bausubstanz (allerdings sehr aufwendig) renovieren liess, kann als Reverenz an die Schönheit und Unberührtheit dieses Tals gelesen werden. Sie beauftragte mit dem Projekt auch ein Büro, das bereits Erfahrungen in der Gegend besitzt. Chasper Schmidlin (der Engadiner Wurzeln besitzt) und Lukas Voellmy respektierten bei ihrem Entwurf den Bestand und ergänzten die Bauten mit subtilen architektonischen Eingriffen. Bereits letztes Jahr wurde die Riesenskulptur der polnischen Künstlerin Monika Sosonowska ins Haus eingepasst und man konnte bei der Besichtigung der Baustelle einen ersten Eindruck der Räumlichkeiten gewinnen. Wir werden an dieser Stelle weiter berichten, wenn das Bauwerk fertig gestellt sein wird.
 

Für den Umbau mussten komplizierte Bohrungsarbeiten durchgeführt werden. Der Plan zeigt die Grösse des Komplexes. (Grundriss: zvg)

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