Neues Leben auf dem Land?

Susanna Koeberle
30. Januar 2018
Das Schloss Tarasp, das vom Bündner Künstler Not Vital erworben wurde, konnte im Rahmen der EAT besichtigt werden. Bild: sk

Vergangenes Wochenende gaben sich an den siebten Engadin Art Talks (EAT) Künstler, Kuratoren, Architekten und eine bunt gemischte Kunst-Crowd in Zuoz ein Stelldichein. Bei dieser hochkarätigen Gesprächsreihe von Anfang an mit dabei waren der Kurator Hans Ulrich Obrist sowie die Organisatorin und Sammlerin Cristina Bechtler, neu dazu kamen im Verlauf der Jahre Daniel Baumann (Direktor der Kunsthalle Zürich), Bice Curiger (aktuell Direktorin der Fondation Vincent van Gogh Arles) und Philip Ursprung (Professor für Geschichte der Kunst und Architektur an der ETH Zürich). Geladen werden jeweils Referenten aus unterschiedlichen Disziplinen (Naturwissenschaftler fehlten dieses Jahr), die von fern und nah ins Engadin reisen, um über Themen zu reden und zu diskutieren, die das Globale und das Lokale zusammenführen. Das Motto der diesjährigen Ausgabe «Side Country Side» – ein schönes Wortspiel, welches dem zurzeit omnipräsenten Thema von Urbanität versus Nicht-Urbanität einen neuen Twist verlieh – lieferte Stoff genug für spannende Inputs und Debatten.

Künstler, Kuratoren, Architekten und eine bunt gemischte Kunst-Crowd (darunter auch Journalisten) fanden sich letztes Wochenende in Zuoz ein. Bild: zvg

Und hätte eigentlich auch genügend lokale Bezugspunkte hergegeben. Diesbezüglich happerte es allerdings: Man gewann den Eindruck, als seien den Organisatoren mit zunehmendem Bekanntheitsgrad der Veranstaltung der Fokus auf Internationalität oder zumindest auf grosse Namen wichtiger als die Verortung im lokalen Kontext. Paradoxerweise lieferte genau der bekannteste Redner, der niederländische Architekt Rem Koolhaas, diesen Link. Er habe nämlich, wie auch Obrist bei der Einführung des Beitrags betonte, just im Engadin die Beobachtung einer Verstädterung des Ruralen gemacht. Er untermauerte diese persönliche Beobachtung mit lustigen Bildern aus seinem Archiv, welche die Kolonialisierung der Bergregion durch Touristen (auch Schweizer) aufzeigte. Dass ja dieser Event selbst eine Form der Kolonialisierung darstellt, bei dem Spezialisten von auswärts über das Lokale verhandeln, ist wohl niemandem aufgefallen. Kurze Fussnote: Diese Form der Selbstreflexion ging übrigens auch Bice Curiger bei ihrem Vortrag über «ihr» Museum (beziehungsweise das von Roche-Erbin Maja Hoffmann) im «abgelegenen» Arles abhanden. Aber eben, genau um das Verwischen der Grenze zwischen Zentrum und Peripherie ging es ja, das legitimierte die Werbetrommel offenbar zureichend. Zurück zum Thema: Woher man kommt,  spielt schlussendlich keine Rolle, gerade in einer Gegend, die seit Jahrhunderten stark von Ab- und Zuwanderung geprägt ist. Und überhaupt, das Engadin wird gerade, was die Kunst betrifft, zunehmend internationaler. Soweit zum Setting. Nun zu einem kurzen Blick auf weitere architektonische Aspekte des Themas, die an den EAT 2018 präsentiert wurden.

Rem Koolhaas bereitet grad eine Ausstellung zum Thema «Countryside» im Guggenheim Museum von New York vor. Bild: zvg

Den Einstieg machte der Architekt Kashef Chowdhury, dessen Arbeit übrigens zurzeit auch im S AM gezeigt wird. Er sprach über verschiedene seiner Projekte und bettete diese in philosophische Gedanken über das Wesen von Landschaft ein. Dabei machte er auch darauf aufmerksam (diese Einsicht trat bei den meisten Referenten zutage), dass jede Landschaft auch als eine gebaute betrachtet werden kann. Insofern müssen wir unser Bild über unberührte Natur sowieso revidieren – ebenso die Fiktion des gegensätzlichen Paars «Natur-Kultur». Kashef Chowdhurys Bauten passen sich in die von Fluten bedrohte Landschaft ein und reagieren durch ihre nachhaltige Bauweise und ihre Materialisierung auf die klimatischen Bedingungen. Das Ergebnis sind wunderschöne Bauwerke, die der menschlichen Massstäblichkeit entsprechen, ohne Frage. Inwiefern eine solche, in den lokalen Traditionen verankerte Bauweise die Probleme der Zukunft lösen kann, sei dahingestellt. Es sind definitiv Häuser, die man gerne bewohnen würde. Was nicht auf die gigantischen Logistikzentren  der amerikanischen Internethändler (die man auch bei uns in Europa vermehrt baut) zutrifft, das zeigte der Vortrag von Rem Koolhaas. Diese Form von Architektur komme einer degree zero Architektur gleich – keine erbaulichen Perspektiven also. Er liess es sich nicht nehmen, den Kunstfreunden ans Bein zu pinkeln, als er diese Boxen mit der Land Art verglich, die zuvor von Philip Ursprung thematisiert worden war. Solche Bauten führen uns zumindest vor Augen, wie wenig digital das sogenannte digitale Zeitalter eigentlich auch ist. Und wie dringend notwendig ein Diskurs über aktuelle Entwicklungen in der Stadt und (!) auf dem Land ist.

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