Transformationen zwischen Lust und Stückwerk

Eduard Kögel | 3. Juli 2025
Die kirgisisch-schweizerische Architektin Saikal Zhunushova ist eine Expertin für das einfache Bauen mit Naturmaterialien. Das Berliner Publikum forderte sie auf, mit Konventionen zu brechen und Spaß zu haben. (Foto: © Anke Illing)

Im Rahmen des in ganz Deutschland mit 256 Veranstaltungen stattfindenden Women in Architecture Festivals 2025, kurz WIA25, organisierten die Architektinnen aus dem Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) in Berlin ein ganztägiges Symposium. Es trug den Titel »Synapsen – Synergien – Synthesen«, und diskutiert wurde in drei Gesprächsrunden über Sichtbarkeit und Expertise, die Stadt von morgen und Ästhetik und Identität. Dazu hielten jeweils drei Architektinnen oder Planerinnen einen Impulsvortrag. Die Veranstaltung wurde von Marietta Schwarz vom Deutschlandfunk Kultur moderiert. Alle Vortragenden haben Erfahrung in der Baupraxis, sind aber auch in Forschung und Lehre tätig, wo sie selbst neue Erkenntnisse generieren. 

Gruppenfoto der Rednerinnen des Symposiums »Synapsen – Synergien – Synthesen« (Foto: © Anke Illing)
»Women in Architecture – Sichtbarkeit und Expertise«

In der ersten Gesprächsrunde berichtete die aus Kirgistan stammende und in Lausanne praktizierende Architektin Saikal Zhunushova von ihren interkulturellen Erfahrungen. Ihre Experimente mit unterschiedlichen ökologischen Baumaterialien, zum Beispiel Textil und Wolle, erproben mit forschendem Design neue Verwertungsketten, testen aber auch eine neue Ästhetik. Mit ihrem kleinen Team arbeitet Zhunushova in der Schweiz und in Kirgistan und realisiert in beiden Ländern Projekte, die nicht immer in vorgegebene Schubladen passen. Als zweites sprach die Berliner Architektin Johanna Meyer-Grohbrügge über einige ihrer Projekte in Berlin und Umgebung. Sie zeigte unter anderem ein räumlich beeindruckendes, transparentes Baugruppen-Haus in Berlin sowie die Transformation einer Bauruine auf dem Land, deren charakteristische Form in der Erneuerung – trotz Abriss des Bestandes – das Ergebnis wesentlich beeinflusste. Die dritte Referentin, die renommierte Architekturvermittlerin Nicola Borgmann aus München, musste kurzfristig krankheitsbedingt absagen. 

In der Diskussion ging es darum, wie junge Frauen und Studentinnen ermutigt werden könnten – die im eigentlich gut gefüllten Raum im Metropolenhaus jedoch nur in kleiner Zahl vertreten waren. Generell wurde einmal mehr festgestellt, dass es für Frauen in der Baubranche nach wie vor geschlechterspezifische Hürden gibt. Das ist allerdings auch außerhalb der Architektur der Fall und somit eine gesamtgesellschaftliche Frage. In der Diskussion kam der Hinweis, es sei wichtig, heute die Vorbilder für morgen zu generieren. Doch es wäre auch wichtig, die Lebenswege der unzähligen und oft bislang kaum von der Architekturgeschichtsschreibung berücksichtigten Architektinnen des 20. Jahrhunderts nachzuzeichnen, um die strukturellen Herausforderungen und vielleicht auch ihr Scheitern oder ihren Rückzug aus der Architektur besser zu verstehen. Denn ja, es braucht Vorbilder und Mentorinnen, aber eben auch ein Ende des heroischen Narrativs zugunsten kollektiver Verantwortung und Solidarität. Allerdings sollte darüber nicht überhört werden, was Saikal Zhunushova dem Publikum riet: Vergesst die Konventionen und habt Spaß! 

Johanna Meyer-Grohbrügge zeigte ein gelungenes Baugruppen-Projekt in Berlin und die Transformation einer Bauruine auf dem Land. (Foto: © Anke Illing)
»Transforming the Urban – Stadt von morgen (für alle)«

Die zweite Runde öffnete den Diskurs »für alle« und nahm gesamtgesellschaftliche Themen aus der Fachperspektive in den Fokus. Die Stuttgarter Architektin und Stadtplanerin Martina Baum sprach über die Stadt als Netzwerk adaptiver Prozesse, in denen alte Fragen immer wieder neu beantwortet werden müssen. Eine lernende Planung und die Fähigkeit, Unterschiede auszuhalten, werde in einer diversen Gesellschaft immer wichtiger, sagte sie. Die Stadt repräsentiere heute verschiedene politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen, die in ihrer Transformation zur Kultur sichtbar werden. Das schließt Einfamilienhausgebiete, Gewerbeparks und verwaiste Innenstadtquartiere ein. Dynamik und Stabilität sind laut Martina Baum dabei zwei Faktoren, mit denen in einer lernenden Planung der starre Masterplan ersetzt werden müsse.

Die Frankfurter Architektin und Stadtforscherin Paola Alfaro d’Alençon berichtete über ein Forschungsprojekt zu Wohnungsfragen, bei dem die Lage in Deutschland und Chile verglichen wurde. Es ging dabei um die Frage, wie die Menschen sich beteiligen können, und darum, ob die Planenden wirklich möchten, dass möglichst viele Menschen – womöglich mit sich widersprechenden Zielen – in die Prozesse eingebunden sind. Denn viele unterschiedliche Akteure, die mitunter nur temporär mitwirken, verlangen nach einem neuen Planungsverständnis: Um Beteiligung und Coproduktion wirklich zu leben und erfolgreich zu gestalten, ist zu akzeptieren, dass die Planung womöglich nie ganz abgeschlossen ist.

Der dritte Impuls kam von der Kölner Architektin Ragnhild Klußmann. Sie sprach über die Transformation des Bob-Campus in Wuppertal: Die Montag Stiftung Urbane Räume hat eine ehemalige Industrieanlage übernommen und in einem aufwendigen Dialog mit der Nachbarschaft ein Bauprojekt entwickelt, das dem Gemeinwohl zugutekommt. Mit der Umsetzung des Vorhabens ist der Aushandlungsprozess aber noch nicht abgeschlossen – im Gegenteil: Die Quartierentwicklung soll auch in Zukunft dynamisch bleiben und gemeinschaftlich gestaltet werden.

Während Klußmann in der anschließenden Diskussion sagte, ihr Projekt in Wuppertal wirke in die gesamte Gesellschaft, und Alfaro d’Alençon darauf verwies, dass Entwürfe durch Beteiligung besser würden, sieht Baum im Zerfall gesellschaftlicher Strukturen und in der wachsenden Segregation eine Herausforderung. Deshalb seien die Ergebnisse solcher Aushandlungsprozesse oft der kleinste gemeinsame Nenner, der zudem einen sehr robusten Rahmen brauche. In der Realität würden die meisten Projekte nicht in Coproduktion entstehen und ohne Beteiligung geplant, weil Bürgerinnen und Bürger oft schlicht die Kapazität fehle. Die Logik der Marktentwicklung, der Rendite und eine neoliberale Immobilienwirtschaft, in der Grundbedürfnisse wie das Wohnen finanzialisiert werden, machen aus Baums Sicht eine politische Reaktion erforderlich. 

Podiumsdiskussion mit Reem Almannai, Nanni Grau, Christa Kamleithner und Marietta Schwarz (Foto: © Anke Illing)
»Update Baukultur – Ästhetik und Identität«

In der dritten Runde plädierte dann die Münchner Architektin Reem Almannai leidenschaftlich für die Pflege des Bestands und für politisches Engagement. Sie unterschied zwischen einer schwarzen Transformation, die auf die Inwertsetzung historischer Bausubstanz aus ist, und einer bunten Transformation, die Immobilien durch kontinuierliche Pflege und aktive Aneignung nutzbar hält. Der ständig wachsende Raumverbrauch pro Person führe zu immer mehr Bauvolumen und resultiere in dem heute gepredigten Rezept »bauen, bauen, bauen«. Eine Umverteilung der vorhandenen Raumressourcen und bewusster Verzicht fänden dagegen keine gesellschaftliche Akzeptanz. Deswegen seien politische Eingriffe nötig.

Die Berliner Architektin Nanni Grau folgte mit einem Werkvortrag, in dem sie eine Ästhetik der Bricolage und der Ruine vorstellte, die in einer fragmentierten Gesellschaft jedoch lediglich eine subkulturelle Nische füllen kann. Für ihre unkonventionellen Umbauten propagiert sie eine mehrfache oder geteilte Autorenschaft, mit der unscharfe Räume entstünden. Architektinnen müssen ihrer Meinung nach loslassen lernen und die Aneignung durch die Nutzenden als Teil der Konzeption verstehen. 

Der dritte Vortrag kam von der Architekturhistorikerin und Kulturwissenschaftlerin Christa Kamleithner, die über Verdrängung in Zürich sprach. In der Limmatstadt sollen zurzeit Siedlungen aus den späten 1920er-Jahren durch verdichtete Neubauten ersetzt werden. Anschließend interpretierte sie die Berliner Hausbesetzungen der späten 1970er-Jahre als Akt der Selbstermächtigung, der schließlich mit der IBA-Altbau (1987) zu einer behutsamen Stadterneuerung geführt habe.

Der schwierige Weg aus der eigenen Blase

In der anschließenden Diskussion ging es um die Kommunikation mit der Bevölkerung und der Politik. Welche Vorschläge sind akzeptabel, sollen die vielen derzeit unterbelegten Einfamilienhäuser in Zukunft besser genutzt werden? Wie werden ökologische Themen von der Politik aufgegriffen? Und wann werden Architektinnen und Planerinnen sowohl in der Gesellschaft als auch in der Politik mit ihren Anliegen und Vorschlägen ernst genommen? Ungelöst blieb bei der Debatte unter Expertinnen, wie man sich außerhalb der eigenen Blase Gehör verschaffen kann. Denn die von den BDA-Architektinnen konzipierte Tagung öffnete zwar die Debatte nach dem Eingangspanel zu Frauen in der Architektur klugerweise für eine inhaltlich-politische Auseinandersetzung, die vor dem Hintergrund von Klimawandel und Umweltzerstörung die gesamte Gesellschaft betrifft. Dennoch blieb man unter sich: An der Veranstaltung nahmen Männer und Menschen mit anderer Geschlechtsidentität nur in verschwindend geringer Anzahl teil. 

 

Knapp 60 BDA-Architektinnen aus den Landesverbänden Berlin und Brandenburg zeigen noch bis zum 17. Juli rund 200 Projekte in der Berliner BDA Galerie. Zeitgleich sind die vorgestellten Bauten und Entwürfe auf 200 Litfaßsäulen und Plakatwänden im öffentlichen Raum Berlins und Brandenburgs zu sehen. 

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