Vrin damals - im Film

Manuel Pestalozzi
24. August 2015
Bilder: «Il project Vrin», Frames aus Christoph Schaub - Films on Architecture, Scheidegger & Spiess

Christoph Schaub ist ein Filmemacher, der sich wiederholt mit Architektur und Architekten auseinandergesetzt hat. Der 48minütige Film «Il project Vrin» aus dem Jahr 1999 ist Bestandteil der DVD-Sammlung «Christoph Schaub – Films on Architecture», die von Scheidegger & Spiess herausgegeben wurde.
 
Im Gegensatz zu Fotografien müssen Filme immer eine Geschichte erzählen. Wenn Architektur das Hauptthema sein soll und nicht einfach Kulisse, muss man sich gut überlegen, welchen Mehrwerkt das Medium im Vergleich zu einer Fotoserie bieten kann. Im vorliegenden Fall liegt dieser Mehrwert in der Einbettung der Architektur in den gegebenen Kontext. In Vrin sind dafür die Erfolgschancen vermutlich grösser als anderswo. Schaub nutzte sie vollumfänglich und mit Bravour.

Der Film ist kein Architekturfilm. Er dokumentiert nicht Bauten sondern – wie es der Titel ja sagt – ein Projekt: die Suche nach einer Antwort auf die Frage. Wie bewahrt ein Bergdorf seine Identität? Bezeichnenderweise beginnt er mit einer Probe des Dorforchesters in der Turnhalle. Der Taktmeister arbeitet mit seiner Truppe an der Erzeugung eines brachial tönenden aber harmonischen Gleichklangs – ein schönes Symbol für die Bemühungen dieser kleinen Gemeinschaft im Alpenraum.
 
Architekt Gion Caminada wird zwar nicht als Dirigent der Entwicklung von Vrin gezeigt, aber aus den Einstellungen und den Interviews mit verschiedenen Bewohnerinnen und Bewohnern des Dorfs geht schon hervor, dass ihm beim «Projekt Vrin» eine wichtige Rolle zufällt. Einerseits ist er der weltläufige Mitbewohner, der nicht nur Entwüfe zum Selbstbauen liefert sondern auch hilft, Bauvorhaben gegen Widerstände durchzubringen. Andererseits versöhnt er mit seinen Projekten aktuelle Wünsche und Bedürfnisse mit der traditionellen Bausubstanz des Dorfes.

Im Grunde genommen ist der Film eine Ode an die Unmittelbarkeit. In Vrin zerlegt der Jäger die geschossene Gemse gleich selbst in seiner Garage. Die Kinder helfen mit und sehen zu. Der Alphirt macht den Käse auf der Alp, verkauft und gegessen wird er in der näheren Umgebung. Und der Schreiner fertigt eine Fassade aus dem Holz der umliegenden Wälder, die in der Nachbarschaft aufgerichtet wird. Gion Caminada sieht man bei einem Steinhaufen, der sich über Jahrzehnte nach Aushubarbeiten angesammelt hat. Diese Steine will er für den Sockel des neuen Schlachthofs benutzen – und das tun die Bauarbeiter dann auch.
 
Manchmal erscheint der ideale Zustand des sich selbst genügenden Asterix-Dorfes etwas überzeichnet. Der Weg aus der Vergangenheit in die wohl erheblich von Landwirtschafts-Subventionen geprägte Gegenwart wird nicht thematisiert. Doch der Film dokumentiert eine Welt, die 1999 offenbar anständig in Ordnung war und sich anschickte, den Anforderungen der Zukunft nicht tatenlos ins Auge zu sehen sondern diese aktiv mitzuformen. Architekt Gion Caminada wird ohne viel Aufhebens weniger als Architekt denn als Citoyen resp. Dorfmitlgied in Szene gesetzt. Deshalb ist der Film auch wegen seinem Statement zur Rolle der Architektinnen und Architekten in der Gesellschaft ein sehens- und erhaltenswertes Kunstwerk.

Christoph Schaub – Films on Architecture
Mit Texten von Martin Walder und Christoph Schaub
1. Auflage, 2014
3 DVDs mit Begleitbuch
Filme in Originalfassung mit Untertiteln Deutsch / Englisch / Französisch. Spieldauer total ca. 320 Min., farbig
Begleitbuch: Text Deutsch und Englisch; gebunden, 24 Seiten, 14 farbige und 2 sw Abbildungen
14 x 19.5 cm
ISBN 978-3-85881-908-6
Scheidegger & Spiess
 
Die Edition kann vom Herausgeber derzeit nicht geliefert werden, ist aber im Fachhandel noch erhältlich.

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