Warum scheiterte das Guggenheim Helsinki?

Juho Nyberg
1. Dezember 2020
Der Südhafen ist Helsinkis Gesicht nach aussen. Mit der Idee eines dominanten Museumsneubaus einer amerikanischen Kette ausgerechnet hier konnten sich die meisten Finnen nicht anfreunden. (Foto: Juho Nyberg)

Das Scheitern der Marke Guggenheim in Finnland hat das Interesse betriebswirtschaftlicher Forscher der Aalto-Universität geweckt. Die Ergebnisse ihrer Arbeit sind dieses Jahr im Journal of International Business Studies publiziert worden. Im Titel ist die Rede von einer «organisatorischen Stigmatisierung beim Eintritt in ausländische Märkte», was zunächst sehr abstrakt klingt. In der Einleitung wird sogleich auf ideologiegetriebene Reaktionen der lokalen Bevölkerung hingewiesen. Gegner*innen des Projekts hätten hauptsächlich moralistisch und ideologisch gegen das Museum argumentiert und dabei die amerikanische Herkunft der Stiftung und das Franchising-Modell als Hauptkritikpunkte ins Feld geführt. Damit steht die Museumskette nicht alleine: Starbucks in Italien oder McDonald’s in Frankreich haben ähnliche Erfahrungen machen müssen. Nun, dass die Italiener nicht auf eine amerikanische Kaffeekette gewartet haben, versteht sich beinahe von selbst. Und das Verhältnis der Franzosen zu Fast Food lässt sich ähnlich betrachten. Doch wie ist die Abneigung der Bevölkerung der finnischen Hauptstadt gegenüber der Guggenheim Stiftung zu erklären?

Bedeutung des Museums

Kunstmuseen nehmen im Zusammenhang mit der Globalisierung eine besonders widersprüchliche Stellung ein. Einerseits dienen sie als Plattformen für den Austausch von Kunstwerken aus aller Herren Länder, andererseits bilden sie immer auch einen Teil der nationalen Identität. Entgegen der in Amerika vorherrschenden Tradition, nach der Museen hauptsächlich von wohlhabenden Personen oder Familien gestiftet und somit als Privatsache angesehen werden, ist es in Finnland gängige Auffassung, Museen seien explizit Allgemeingut und somit antielitär. Der Staat ist für einen Grossteil der Museen verantwortlich, was zugleich auch Künstler*innen eine gewisse Einkommenssicherheit garantiert. Dies zeigt sich nicht zuletzt darin, dass in Finnland gut 1000 Museen für eine Bevölkerung von nur rund 5,5 Millionen Einwohner*innen zugänglich sind, womit es das Land auf die höchste Pro-Kopf-Museumsquote in ganz Europa bringt.

Saunen und Schiffe sind zwei zentrale Elemente des finnischen Lebens. (Foto: Juho Nyberg)
Planung im Stillen

Der erste Schritt für das Guggenheim Helsinki wurde hinter verschlossenen Türen gemacht: Die Guggenheim Stiftung überzeugte die Stadt Helsinki im Jahr 2011, eine Machbarkeitsstudie für ein Museum in Auftrag zu geben – für über eine Million Euro. Finanziert wurde diese überwiegend aus Steuergeldern, aber auch von einigen lokalen Stiftungen. Bereits gesetzt war, dass die geschätzten Baukosten von 130 bis maximal 140 Millionen Euro sowie ein eventueller Landkauf ebenfalls von der Stadt übernommen werden sollten. Die Studie blieb zunächst – wie auch der Entscheid des Stadtrats, sie zu finanzieren – geheim. Sie wurde schliesslich im Januar 2012 veröffentlicht, und zugleich schlug man den Südhafen als Standort für das neue Museum vor.

Womit wir beim nächsten Problem wären: Der Südhafen Helsinkis ist ein traumhafter Ort und das Gesicht der Stadt zur Welt. Die Ankunft mit dem Schiff ist ein eindrückliches Erlebnis. Das Hafenbecken ist rundherum gesäumt von prachtvollen Bauten. Neben historischen Gebäuden wie dem Stadthaus und dem Amtssitz des Präsidenten ist hier prominent auch das Enso-Gutzeit-Haus von Alvar Aalto zu sehen. Nicht, dass die Bevölkerung dies als eine unveränderliche Skyline begreifen würde – in jüngster Zeit wurde ein Schwimmbad mit Sauna im Hafen erstellt –, aber ein Museum aus Amerika? «Ei, kiitos» – nein, danke.

Kansalaistori mit Bibliothek Oodi und Museum Kiasma (Foto: Vadelmavene via wikimedia, CC BY-SA 4.0)
Falsche Lage?

Das Selbstverständnis der Finnen wurde mit dieser Studie also gleich mehrfach erschüttert. Zum einen war da die fehlende Transparenz der Entscheidungsfindung bis hierher, zum anderen der heikle Vorschlag zum Standort. Gewiss wäre wesentlich weniger Opposition erwachsen, wäre ein weniger prominenter Bauplatz ausgesucht worden, etwa zwischen dem Hauptbahnhof und dem Finlandia-Haus, das ebenfalls von Alvar Aalto stammt. Mit dem dort bereits gebauten Museum Kiasma von Steven Holl und der Oper hätte ein kultureller Hotspot erweitert werden können. Mittlerweile sind in unmittelbarer Nähe die neue Zentralbibliothek Oodi und das Amos Rex Museum eröffnet und von der Bevölkerung im Sturm erobert worden.

Tatsächlich wurde die Machbarkeitsstudie von der Stadtregierung im Mai 2012 abgelehnt – wenn auch denkbar knapp mit acht zu sieben Stimmen. Neben den emotionalen Aspekten haben wohl auch andere Gründe dazu beigetragen, etwa die Lizenzgebühren über 20 Jahre, die Helsinki an die Guggenheim Stiftung zu entrichten gehabt hätte oder die von der Boston Consulting Group erstellte Schätzung der Besucherzahlen von 530 000 Menschen jährlich, die ziemlich aus der Luft gegriffen war beziehungsweise auf heiklen Annahmen basierte. Im Vergleich dazu wiesen die zwei grössten Museen in Helsinki gemeinsam nur 361 000 Besucher*innen pro Jahr aus.

Zu viel des Guten: Das Museum als Leuchtturm wurde nicht goutiert. (Visualisierung: designguggenheimhelsinki)
Wettbewerb und Entscheidung

Trotz der Ablehnung schien das Interesse der Stiftung ungebrochen und so lancierte sie im Herbst 2013 einen internationalen Architekturwettbewerb – dies im Gegensatz zu ihrer üblichen Vorgehensweise, nach der sie stets ein Architekturbüro direkt beauftragt. Dazu wurden weitere Konzessionen gemacht, etwa die Verpflichtung, eine eigenständige Kunstsammlung anzulegen und so auf die vormals erwogene Zusammenarbeit mit dem Helsinki Art Museum zu verzichten, sowie die Bereitschaft, Lizenzgebühren durch private Spenden zu decken. Hingegen wurden die erwarteten Besucherzahlen noch leicht nach oben korrigiert, was von vielen als «bestenfalls spekulativ» angesehen wurde und für weiteren Unmut sorgte.

Der Stadtrat beschloss allen Zweifeln zum Trotz mit zwei Dritteln der Stimmen, die prominent gelegene Parzelle am Hafen für das Projekt zu reservieren, womit der Wettbewerb abgehalten werden konnte. Rekordverdächtige 1715 Beiträge wurden eingereicht, sechs davon wurden in einer zweiten Runde überarbeitet. Schliesslich gewann das französisch-japanische Büro Moreau Kusunoki Architectes. Sein Entwurf sah neun eingeschossige Pavillons als Ausstellungsräume vor, dazu eine Art Leuchtturm als zusätzliche Attraktion, was wiederum die Emotionen hochkochen liess. Das Projekt blieb in der Folgezeit stets auf der Kippe. Die Stadtregierung stimmte ihm auf Basis des Wettbewerbs knapp zu, doch das letzte Wort hatte der Stadtrat. Und nach stundenlangen Diskussionen fiel dessen Ablehnung letztlich deutlich aus: 53 Ratsmitglieder votierten gegen die Idee – nur 32 dafür. 

Klare Meinung zum Guggenheim Helsinki (Foto: TTKK via wikimedia, CC BY 3.0)
Helsinki ist kein Einzelfall

Der Verlauf in Helsinki mag besonders turbulent gewesen sein – dass das Danaergeschenk eines Guggenheim Museums aber nicht gut ankommt, ist schon mehrfach vorgekommen: In Salzburg, Hong Kong, Taichung (Taiwan), Rio De Janeiro und Guadalajara sind Projekte für Guggenheim Museen gestoppt worden, in Abu Dhabi wurden die Bauarbeiten nach Fertigstellung der Fundamente eingestellt. Offensichtlich wird der Brand durchaus kritisch angesehen. Nicht in allen Fällen freut man sich über den mittlerweile sprichwörtlichen Bilbao-Effekt, so der denn überhaupt eintritt. Das Konzept der Internationalisierung und des Museums-Franchisings wurde massgeblich von Thomas Krens, der von 1988 bis 2008 Direktor der Guggenheim Stiftung war, entwickelt und vorangetrieben. Von Anfang an war darin angelegt, dass die «beschenkte» Stadt die Bau- und Lizenzkosten zu tragen habe.

Insofern sind die angeblich ideologiegetriebenen Reaktionen der Gegnerschaft in Helsinki oder andernorts durchaus verständlich, zumal ja die Befürworter*innen selbst ausser schöngerechneten Aussichten auf wirtschaftlicher Ebene stets kaum etwas zu bieten haben. Es bleibt der Eindruck eines primär wirtschaftlich motivierten Geschäftsmodells mit kulturimperialistischer Färbung.

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