Was die Welt zusammenhält

Susanna Koeberle
9. März 2021
Der Designer Adrien Rovero entwarf für die San Francisco Design Week und die Firma PHC International eine Installation aus 120 aufblasbaren Sitzmodulen. Einige davon sind nun in Winterthur zu sehen. (Foto: Rinderknecht Design Consulting)

Dass die Welt in Atome gegliedert ist, wissen wir seit den Vorsokratikern. Was sie zusammenhält, wie sich Atome also zu Materie verbinden, war seither Gegenstand der menschlichen Neugierde. Dieser erforschende Blick auf die Welt findet nicht nur in der Wissenschaft statt. Auch beim Herstellen von Gegenständen muss sich der Homo Faber Gedanken machen, wie er Materie handhaben und einzelne Teile zu einem Gesamtobjekt fügen kann. Im Laufe der Zeit hat der Mensch verschiedene Formen und Strategien entwickelt, das zu tun, und bis heute ersinnen Tüftler*innen neue Methoden des Verbindens. Die Vielfalt der Verbindungstechniken in Design und Architektur genauer zu untersuchen, ist das Ziel eines Forschungsprojekts und einer Ausstellungsserie von Andrea Caputo und Anniina Koivu. 

Erstmals präsentierten die beiden Forscherinnen die Ergebnisse ihrer Recherche 2018 während des Salone del Mobile in Mailand. Die Ausstellung eröffnete eine unglaublich vielfältige Sicht auf die Welt der Gegenstände und offenbarte die Schönheit vernachlässigter Elemente, die unsere Welt zusammenhalten. 2019 folgte eine weitere Präsentation an der ECAL. Die Schau «U-Joints. Die Kunst des Verbindens, Part III», die nun im Gewerbemuseum Winterthur zu sehen ist, widmet sich den Techniken des Klebens und Verschmelzens und zeigt die grosse Bandbreite solcher Verbindungsarten. Die Anwendungsbereiche reichen vom Objektdesign über die Architektur bis hin zu Sport oder Medizin.

Die beiden Teile von «Long Neck and Groove Bottles» fügte die Designerin Hella Jongerius mit einem einfachen Plastikklebeband zusammen.  (Foto: Gerrit Schreurs)

Was zunächst etwas trivial klingen mag, ist im Gegenteil absolut faszinierend! Auch der dritte Teil der Schau erlaubt ein Eintauchen in Details, die sonst dem Auge verborgen bleiben. Denn bei den meisten Gegenständen sollen ja die Verbindungsstellen nicht sichtbar sein; Dinge sollen aussehen, als seien sie aus einem Guss. Nähte oder Bruchstellen gelten sogar tendenziell als unschön. Fast könnte man von einer Urangst des Menschen vor Nähten sprechen. Erinnern sie uns vielleicht an Wunden? Das zu analysieren, wäre eine längere Geschichte. Es gibt natürlich auch Arten des Verbindens, die so ästhetisch sind, dass sie sich nicht zu verstecken brauchen. Etwa bestimmte Steckverbindungen in Holz – in der Architektur gehört dazu der Strickbau –, die dann den Ausdrucks eines Objekts oder Bauwerks wesentlich prägen. 

Dieser Aspekt kann mitunter auch beim Kleben von Gegenständen zum Tragen kommen. So etwa bei der alten japanischen Technik des Kintsugi, bei der kaputtes Geschirr mittels golden gefärbtem Urushi (ein Naturlack) geflickt wird. Eine wunderschöne, solcherart reparierte Teeschale führt das in Winterthur beispielhaft vor. Es gibt im Gewerbemuseum allerdings nicht nur typisch museale Exponate zu sehen, sondern auch ganz banale Alltagsgegenstände – etwa eine Sammlung verschiedener Leime, die so an der Wand platziert ist, als handle es sich um eine Kunstinstallation. Beim Video zum Thema Klebstoffe wird man unversehens in die eigene Kindheit katapultiert. Damals stellte man selber Fischkleister her und klebte damit Zeitungsstücke zu abenteuerlichen Masken zusammen. Eigentlich sind wir ja alle Verbindungsspezialist*innen. Klebstoffe wurden schon früh aus organischen Materialien hergestellt; dazu eignen sich Bestandteile wie zum Beispiel Honig oder Eier. 

Der «Coiled Stool» von Jonathan Muecke besteht aus einem einzelnen Aramid-Carbonfaser-Schlauch, der in eine Holzform gewickelt und mit Epoxidharz fixiert wurde. (Foto: Delfino Sisto Legnani)

Wir erfahren in der Schau zudem, dass Klebstoffe auch für Neuerfindungen verantwortlich sind – etwa für Sperrholz. Auch in der Elektronik finden innovative Arten des Verbindens ihre Anwendung. Der zweite Schwerpunkt der Ausstellung führt verschiedene Schmelzverbindungen vor und schlägt damit auch die Brücke in die Zukunft. Dazu gehören Techniken wie das 3D-Drucken, beim dem das Verschmelzen direkt in das Herstellungsverfahren integriert wird. Das Thema ist auch in der Architektur aktuell. Neue Baumaterialien werden erforscht oder Fertigungsmethoden in der Robotik erprobt. Dass das Thema Verbindungen aber nicht nur technische Aspekte betrifft, sondern ebenso Folgen für das Aussehen von Dingen haben kann, zeigt, wie unendlich weit und offen das Feld ist. 

Die Künstlerin Marie Griesmar erforscht das fragile Gleichgewicht von Korallenriffen. Während ihres Stipendiums am Library Lab der ETH Zürich und bei der Gramazio & Kohler Research Group entwickelte sie Strukturen, die aus 3D-gedruckten Lehmziegeln bestehen. Sie sollen die Ansiedlung und das Wachstum von Korallenlarven begünstigen. (Foto: rrreefs)
Die Ausstellung im Gewerbemuseum (Kirchplatz 14, Winterthur) wurde verlängert. Sie ist bis 9. Januar 2022 zu sehen. Bitte beachten Sie, dass beim Besuch aufgrund der Corona-Pandemie Sonderregeln gelten.

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